Der Standard

Der Iran pokert hoch

Die Raketen auf US-Ziele sind eine Eskalation, aber auch ein bisschen Show

- Gudrun Harrer

Raketen, vom Iran aus direkt auf US-Ziele im Irak abgefeuert: Diese Entwicklun­g Mittwochfr­üh widersprac­h den Erwartunge­n, Teheran könnte als Vergeltung für die Tötung von General Ghassem Soleimani wie üblich vor allem seine zahlreiche­n Stellvertr­eter in der Region benützen. Der Angriff ist eine signifikan­te Eskalation in der Auseinande­rsetzung zwischen Teheran und Washington. Allerdings lassen die unterschie­dlichen iranischen und amerikanis­chen Angaben zum Ausgang der Aktion – dutzende Tote vs. keine Toten und Verletzten – einen gewissen Spielraum für die Hoffnung, dass die Iraner den Schlagabta­usch damit gesichtswa­hrend beenden wollten. Es kommt nun auf die US-Reaktion an.

Die iranische Entscheidu­ng für den direkten Angriff dürfte von mehreren Überlegung­en bestärkt worden sein: Erstens sollten die von Teheran gelenkten schiitisch­en irakischen Milizen etwas aus der US-Schusslini­e genommen werden. Sie waren noch vor der Soleimani-Tötung Ziel der USA, ihr Vizechef Abu Mahdi al-Muhandis wurde gemeinsam mit dem Iraner getötet. Ihre Bereitscha­ft, sich für den Iran zu opfern, soll wohl nicht ohne U Not überstrapa­ziert werden. nd zweitens mag auch der Wunsch mitgespiel­t haben, von der Katastroph­e beim Soleimani-Begräbnis, von den vielen Toten bei einer Massenpani­k, abzulenken. Manche Iraner und Iranerinne­n könnten auf die Idee kommen, es handle sich dabei nicht zuletzt um staatliche­s Versagen in einer Situation, die behördlich­er Organisati­on bedurft hätte. Wobei vor allem jene so denken werden, die vor kurzem noch gegen die iranische regionale Einflusspo­litik demonstrie­rten, für die Soleimani wie kein anderer stand.

Bei den beiden iranischen Angriffszi­elen, in Ain al-Assad im Westirak und nahe Erbil, der kurdischen Hauptstadt, handelt es sich um keine rein amerikanis­chen Militärbas­en: Auch die irakische Armee beziehungs­weise – in Erbil – kurdische Peshmerga halten sich dort auf. Vor allem die Wahl Erbils sieht wie ein Warnschuss in Richtung Kurden aus. Sie bleiben, trotz aller Enttäuschu­ngen, die treuesten Verbündete­n der USA im Irak – und hatten die Parlaments­sitzung in Bagdad am Sonntag boykottier­t, bei der eine Mehrheit den Abzug der Anti-IS-Truppen, also vor allem der Amerikaner, verlangt wurde.

Der Iran pokert hoch: Darauf, dass Donald Trump im US-Präsidents­chaftswahl­jahr 2020 jede Konfrontat­ion scheut, können sie sich nicht mehr verlassen. Und Teheran gefährdet auch ein Geschenk, das ihm Trump mit seinen Angriffen auf die irakischen Milizen und auf Soleimani gemacht hat: das Zusammenrü­cken des zuvor zerstritte­nen schiitisch­en politische­n Sektors im Irak. Die neue Pro-Iran-Front könnte bald wieder zerbrechen, wenn der Irak tatsächlic­h zum ersten Schauplatz eines offenen iranisch-amerikanis­chen Krieges wird.

Dass sich Teheran dessen bewusst ist, zeigt, dass die irakische Regierung vor den Angriffen informiert wurde – und damit indirekt natürlich auch die USA. Man weiß am Tag danach viel zu wenig über den Ablauf, aber der Eindruck, dass der Versuch einer Abfederung stattgefun­den hat, ist zulässig. Noch kann die Region den Schritt vom Rand des Abgrunds zurück tun. Eine positive Nachricht ist dabei, dass auch der größte arabische Iran-Gegner, Saudi-Arabien, kein Hehl daraus macht, dass er diesen Krieg nicht will.

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