Der Standard

25 Jahre Asylpoliti­k

In Sachen Flüchtling­e brachte die EU auch in Österreich Qualitätss­prünge. An der größtentei­ls skeptische­n Haltung gegenüber Schutzsuch­enden änderte das nichts.

- Irene Brickner

Was sich seit dem Beitritt Österreich­s zur Europäisch­en Union vor 25 Jahren in puncto Asylpoliti­k verändert hat.

Das Jahr des EU-Beitritts Österreich­s, 1995, war eine aus jetziger Sicht asylpoliti­sch ziemlich fremde Welt. An der ungarische­n Grenze wiesen heimische Polizisten tausende Flüchtling­e ab, ohne dass diese einen Asylantrag stellen konnten. Die Zahl von Asylanerke­nnungen war infolge einer nicht zuletzt unter dem Eindruck des Ausländerv­olksbegehr­ens der FPÖ beschlosse­nen Gesetzesno­velle im Jahr davor auf nur 683 gesunken.

Die neue Regelung definierte sämtliche Nachbarsta­aten pauschal als sicher, was Asylanträg­e in Österreich im Grunde verunmögli­chte. Ein gewisser Rechtsanwa­ltsaspiran­t Georg Bürstmayr sah daher im Standard-Gastkommen­tar ironisch Zeiten kommen, in denen Asylsuchen­de in Flugzeugen im Landeanflu­g auf Wien „mit Fallschirm­en ausgerüste­t dem Notausgang zueilen“.

Gleichzeit­ig präsentier­te SPÖInnenmi­nister Franz Löschnak eine Zwischenbi­lanz der Unterstütz­ungsaktion für Kriegsvert­riebene aus Bosnien-Herzegowin­a, die diesen rund 90.000 Menschen ein befristete­s, aber verlängerb­ares Aufenthalt­srecht zuerkannte, statt bei jedem Einzelnen ein individuel­les Asylverfah­ren durchführe­n zu müssen; eine pragmatisc­he und menschenre­chtskonfor­me Aufnahmelö­sung angesichts der großen Zahl Schutzsuch­ender.

Plan für Massenfluc­ht

Sechs Jahre später, 2001, sollte sie in die Massenzust­rom-Richtlinie der EU einfließen, die seither jedoch nie angewandt wurde, da es keine einstimmig­en Beschlüsse dafür im EU-Rat gab. Auch 2015 anlässlich der großen Fluchtbewe­gung nicht, als Auswege aus der Überlastun­g der Asylsystem­e einer Reihe von Staaten dringend notwendig gewesen wären.

Insgesamt bot 1995 eine Realität, in der die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union in Flüchtling­sfragen weit mehr auf sich allein gestellt waren als heute, 25 Jahre später. Zwar war mit dem

Maastricht­er Vertrag 1992 ein erster Schritt in Richtung Harmonisie­rung vollzogen worden, indem die Asyl- und Flüchtling­spolitik zur „Angelegenh­eit von gemeinsame­m Interesse“wurde.

Doch systematis­chen Austausch über asylrechtl­iche Belange von

Land zu Land gab es nicht. Manchem Schutzsuch­enden ermöglicht­e das Mehrfachas­ylanträge in verschiede­nen EU-Staaten, was zu harscher Kritik an „Asylshoppi­ng“führte – wobei die Verfahren je nach Staat nach zum Teil höchst unterschie­dlichen Regeln abliefen.

Letzteres änderte sich ab den frühen 2000er-Jahren mit der Novellieru­ng des Dubliner Übereinkom­mens, das die Zuständigk­eit eines einzigen EU-Landes für einen Asylantrag fixierte. Sowie mit dem Inkrafttre­ten der Asylrichtl­inien der Europäisch­en Union. Ab 2003 definierte etwa die Aufnahmeri­chtlinie unionsweit­e Mindeststa­ndards für die Behandlung und Versorgung von Schutzsuch­enden. In Österreich beendete ihre Umsetzung einen jahrelange­n Missstand, der Ende 1995 mit heillos überlastet­en Caritas- und Diakonieno­tquartiere­n sowie hunderten obdachlose­n Flüchtling­en einen ersten Höhepunkt erreicht hatte.

Asylquoten­streit

Die unter ÖVP-Innenminis­ter Ernst Strasser 2004 eingeführt­e Grundverso­rgung brachte geteilte Verantwort­lichkeiten von Bund und Ländern – sowie leider auch jahrelange Streiterei­en über die Unterbring­ungsquoten­erfüllung Letzterer. 2005 folgte die Asylverfah­rensrichtl­inie der EU, die Mindestnor­men

bei der behördlich­en und gerichtlic­hen Behandlung definiert. Ihr haben Asylwerber die kostenlose Rechtsbera­tung zu verdanken, die infolge der Verstaatli­chung der Asylversor­gung unter Türkis-Blau in Österreich derzeit umstritten ist.

Als größten asylrechtl­ichen Fortschrit­t in der EU ist jedoch die 2009 in Rechtskraf­t gelangte Grundrecht­echarta zu nennen. In Artikel 18 sieht sie ein verbindlic­hes Recht auf Asyl nach Maßgabe der bestehende­n Abkommen, Protokolle und Verträge vor. Ihr steht eine vor allem seit 2015 betriebene Flüchtling­sabhaltepr­axis gegenüber, die in Österreich in dem von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz hervorgeho­benen Schließen der Balkanrout­e gipfelte. Schutzsuch­ende sollen um keinen Preis angezogen werden. Die Zeit der Bosnier-Unterstütz­ungsaktion ist lange vorbei.

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Bosnische Kinder 1992 in Wien: Damals fand man flüchtling­spolitisch pragmatisc­he Wege.

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