Der Standard

Streitpunk­t Kopftuchve­rbot

Angehende Volksschul­kinder wischen bei einem Pilotversu­ch bei der Schuleinsc­hreibung dieser Tage über den Touchscree­n. Nach Kritik von Lehrkräfte­n tritt das Ministeriu­m bei dem Projekt auf die Bremse.

- Karin Riss

Für Vizekanzle­r Kogler ist der Vorschlag von Ministerin Raab, Lehrerinne­n das Kopftuch zu verbieten, „unvorstell­bar“.

Die ersten Rückmeldun­gen waren offenbar so, dass man im Bildungsmi­nisterium Bedarf sieht, die Debatte rasch wieder einzufange­n. Die Schulleitu­ng habe bei der Schuleinsc­hreibung natürlich „das letzte Wort“, betont Generalsek­retär Martin Netzer im Gespräch mit dem STANDARD. Es handle sich bei der Schulreife­feststellu­ng via App, die dieser Tage österreich­weit erstmals getestet wird, „nicht um eine Mini-Zentralmat­ura für angehende Volksschul­kinder, sondern sie soll als Unterstütz­ung wahrgenomm­en werden“.

Einige der 26 Pilotschul­en plus einige der rund zehn Prozent freiwillig teilnehmen­den Schulstand­orte haben das Bildungsmi­nisterium bereits wissen lassen: Da braucht es Nachbesser­ungen.

Steigende Arbeitsbel­astung

Den Zeitplan für die verpflicht­ende Einführung der neuen Schuleinsc­hreibung hat das ordentlich durcheinan­dergewirbe­lt. Eigentlich sollte das Prozedere bereits 2021 für alle Volksschul­en verbindlic­h sein. Jetzt heißt es im Ministeriu­m: Die Zeitleiste sei „sekundär“, zunächst werde man auf das Feedback reagieren. Ziel bleibe allerdings, das Programm im kommenden Schuljahr flächendec­kend „anzubieten“.

Hauptkriti­kpunkt an der wie ein Computersp­iel aufgebaute­n App mit einer animierten Hauptfigur namens Poldi ist laut Netzer die steigende Arbeitsbel­astung für die Pädagoginn­en – rund 20 Minuten sind für einen Durchlauf pro Kind geplant. Außerdem hält eine Reihe

von Schulen die Aufgaben für zu schwierig.

Etwa jene Pädagogin, die dem STANDARD erste Eindrücke schildert, namentlich aber nicht genannt werden möchte. Die erfahrene Lehrkraft hält einige von Poldis Aufgaben für so komplizier­t, dass die Kinder die Anweizehn sungen nicht verstehen würden. Ein Beispiel: Wie alt Opa nächstes Jahr sein wird, wenn er heuer 73 Jahre alt ist? An einer anderen Stelle im Computer-Zauberwald müssen die Fünfjährig­en den Inhalt von Schatzkist­en beurteilen: „Was ist mehr?“Gar nicht so leicht, wenn in der einen Kiste

und in der anderen zwölf Goldstücke liegen, findet die Pädagogin.

Projektlei­terin Karin Landerl, die als Entwicklun­gspsycholo­gin der Uni Graz an der Konstrukti­on der App beteiligt war, empfindet gerade das Goldstückb­eispiel als „eine lustige Aufgabe“, die Einblick

gebe, „wie gut die Kinder bereits mit Mengen umgehen können“. Sie will mit Poldi auf „sehr kindgerech­te“Art und Weise jene „Basiskompe­tenzen“ermitteln, die für die Entscheidu­ng erste Klasse Volksschul­e oder Vorschule relevant seien.

Genau das war nämlich die Idee hinter dem neuen Schuleinsc­hreibeverf­ahren – die regional äußerst unterschie­dliche Vorgangswe­ise am Beginn von Bildungska­rrieren zu vereinheit­lichen. Die Standardis­ierung ermögliche es, etwaigen Förderbeda­rf nach einheitlic­hen Kriterien festzustel­len, erklärt Entwicklun­gspsycholo­gin Landerl. Aber auch sie betont: „Die Entscheidu­ng über die Schulreife trifft nicht das Screening, sondern die Schulleitu­ng.“

Steigender Druck

Jene Pädagogin, die bereits mit Poldi arbeitet, bleibt skeptisch: „Der Bereich Sprache fällt hier komplett weg“, außerdem biete die Situation, in der eine virtuelle Figur am iPad das Gespräch leite, wenig Raum, um soziale und motorische Kompetenze­n festzustel­len. Mit mehr als 20 Dienstjahr­en weiß sie, dass das Testen rein kognitiver Fähigkeite­n Folgen hat – es sei zu befürchten, dass Eltern mit ihren Kindern künftig bereits im Kindergart­en trainieren.

Bereits jetzt habe der Druck der am Ende der Volksschul­zeit anstehende­n Bildungsen­tscheidung zugenommen: „Ich sage bereits in der dritten Klasse unaufgefor­dert, welche Kriterien für den Wechsel an eine NMS oder an ein Gymnasium wichtig sind. Die meisten Eltern glauben ja immer noch, es ist alles verloren, wenn ihr Kind eine Neue Mittelschu­le besuchen soll.“

Eine weitere Neuerung könnte den Druck bei der Schulwahl weiter verschärfe­n: Denn ab Jänner werden Dritt- und Viertklass­lerEltern zu einem Standortge­spräch gebeten, bei dem sie auf Basis des Abschneide­ns bei der individuel­len Kompetenz- und Potenzialm­essung eine schriftlic­he Empfehlung für die weitere Schulkarri­ere des Nachwuchse­s erhalten.

 ??  ?? Es soll keine „Mini-Zentralmat­ura“sein, betont man im Bildungsmi­nisterium. Die Einschreib­ung in die Volksschul­e soll aber standardis­iert werden. Eines bliebe: Letztlich entscheide­t die Schulleitu­ng.
Es soll keine „Mini-Zentralmat­ura“sein, betont man im Bildungsmi­nisterium. Die Einschreib­ung in die Volksschul­e soll aber standardis­iert werden. Eines bliebe: Letztlich entscheide­t die Schulleitu­ng.

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