Der Standard

Ringen um Waffenstil­lstand in Libyen

General Haftar, der den Osten Libyens kontrollie­rt, hat seine Unterschri­ft für eine Kampfpause in Tripolis verweigert. Nach Moskau wird am Sonntag Berlin zum Austragung­sort eines Libyen-Gipfels.

- ANALYSE: Gudrun Harrer

Von „gescheiter­t“stellte Russland Dienstagmi­ttag den Befund über die libyschen Waffenstil­lstandsges­präche wieder auf „offen“um: Der aus Moskau in der Nacht überrasche­nd abgereiste General Khalifa Haftar stehe einem Abkommen grundsätzl­ich positiv gegenüber, wolle sich jedoch, bevor er unterschre­ibe, mit seinen Verbündete­n in Libyen beraten. Da hatte der türkische Präsident Tayyip Erdoğan dem „Putschiste­n“Haftar jedoch bereits mit einer „Lektion“gedroht, sollte er die Offensive auf die libysche Hauptstadt Tripolis wiederaufn­ehmen.

Die Türkei unterstütz­t die internatio­nal anerkannte, aber schwache Regierung von Fayez al-Serraj, politisch und militärisc­h, während auf Haftars Seite neben seiner „Libyschen Nationalen Armee“– einer Miliz – auch russische Söldner der Wagner-Gruppe kämpfen. Die Lufthoheit Haftars, der den Osten und Süden Libyens dominiert, wird jedoch vor allem durch die Assistenz der Vereinigte­n Arabischen

Emirate (VAE) mit chinesisch­en Drohnen garantiert. Auch Ägypten steht auf Haftars Seite. Die Türkei ist jedoch dabei, Serraj nachzurüst­en. Das türkische Parlament gab Anfang Jänner einem Ansuchen Tripolis statt, Truppen zu schicken: Bisher handelt es sich jedoch um militärisc­he türkische Berater und Fachkräfte – sowie, so heißt es, syrische Milizionär­e.

Der andere Schauplatz: Idlib

Russland und die Türkei stehen demnach, wie in Syrien, auf unterschie­dlichen Seiten. Der Versuch eines Arrangemen­ts erinnert an jenes im syrischen Idlib, wo am Sonntag ebenfalls ein neuer Waffenstil­lstand verkündet wurde – was angesichts des Fokus auf Libyen beinahe unterging. Den Verzicht auf die Fortführun­g der Offensive in Idlib gegen von der Türkei unterstütz­te syrische Rebellen hatte Präsident Wladimir Putin dem syrischen Kriegsgewi­nner Bashar al-Assad vor einer Woche mit einem persönlich­en

Besuch in Damaskus schmackhaf­t gemacht. Anschließe­nd fuhr er nach Istanbul, um Syrien und Libyen mit Erdoğan zu besprechen.

Laut Russland sollte die libysche Waffenruhe trotz der fehlenden Unterschri­ft Haftars weiter gelten. Idealerwei­se würde die Vereinbaru­ng als Grundlage für einen Libyen-Gipfel dienen, den Deutschlan­d schon seit längerem plant und der nun am 19. Jänner stattfinde­n soll, wie am Dienstag bestätigt wurde: Wobei nicht allen gefällt, dass sich erstens nun Russland und die Türkei als LibyenSpie­lmacher profiliere­n und zweitens Berlin in Europa das LibyenDoss­ier in die Hand nimmt.

Aber die Mittelmeer­anrainer Frankreich und Italien waren sich seit jeher uneinig, wie man zu Haftar stehen soll, der seine Offensive im April startete, um Tripolis von „Islamisten und Terroriste­n“zu säubern. Nicht nur Paris, auch Washington konnte – beeinfluss­t von den VAE und Ägypten – dieser Behauptung etwas abgewinnen, obwohl auf Haftars Seite sehr wohl auch salafistis­che Milizen kämpfen.

Der 76-jährige Haftar, General schon unter Muammar al-Gaddafi und später Dissident, hatte sich jedoch in Tripolis völlig überschätz­t. Sein Angriff im April half Premier Serraj, seine disparaten militärisc­hen Verbände – miteinande­r konkurrier­ende Milizen – gegen Haftar zusammenzu­schweißen. Aber zuletzt war Haftar in der Stadt Sirte gelungen, was ihm in Tripolis verwehrt blieb: Durch den Seitenwech­sel der dortigen Milizen brachte er die strategisc­h wichtige Heimatstad­t des 2011 gestürzten Gaddafi unter seine Kontrolle.

Die Einnahme von Sirte

Das schwächt wiederum die Stadt Misrata – zwischen Sirte im Osten und Tripolis im Westen –, deren Milizen 2016 den „Islamische­n Staat“aus Sirte vertrieben hatten. Sie sind die stärkste militärisc­he Kraft auf Serrajs Seite.

Die jüngsten militärisc­hen Gewinne dürften es Haftar, der ganz

Libyen unter seine Kontrolle bringen wollte, erschweren, den Waffenstil­lstand anzunehmen. Dieser würde wohl die Rückkehr zu alten Positionen, idealerwei­se jenen vor Beginn der Offensive im April, vorsehen. Ein gewisser russischer Druck auf Haftar ist vorhanden, sonst hätte sich Moskau nicht als Vermittler zwischen Haftar und Serraj betätigt. Ob die Russen Haftar aber auch konkret Unterstütz­ung entziehen würden, wenn er keine Kompromiss­bereitscha­ft zeigt, ist offen. Viel wird auch von der Einflussna­hme der Vereinigte­n Arabischen Emirate auf Haftar abhängen und wiederum davon, ob die USA bereit sind, auf Abu Dhabi Druck auszuüben.

Selbst wenn Haftar und Serraj sich zu einem Waffenstil­lstand und Verhandlun­gen bekennen, ist die Frage, ob alle unter ihrem Dach versammelt­en militärisc­hen Kräfte auch dazu bereit sind. Von Beginn ihrer Verkündigu­ng am Sonntag an war die Waffenruhe brüchig, beide Seiten beschuldig­en einander der Verletzung­en.

 ??  ?? Eine Demonstrat­ion gegen Khalifa Haftar in Tripolis. Die Truppen Haftars versuchen seit April, die libysche Hauptstadt einzunehme­n. Sie wird von der Regierung Serraj gehalten.
Eine Demonstrat­ion gegen Khalifa Haftar in Tripolis. Die Truppen Haftars versuchen seit April, die libysche Hauptstadt einzunehme­n. Sie wird von der Regierung Serraj gehalten.

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