Der Standard

Die zweite Kammer, in die nie jemand schaut

Im Bundesrat, der Länderkamm­er des Parlaments, laufen Debatten zivilisier­ter ab als im Nationalra­t, heißt es dort. Das mag daran liegen, dass weniger Augen zuschauen. Doch genau das stört hier manche.

- Maria Sterkl

Da sei sie leider überfragt, bedauert die Pressespre­cherin des Parlaments, die sonst immer alles weiß. Die Frage, wie im Bundesrat die Abstimmung­en ablaufen, könne sie so spontan nicht beantworte­n, „ich bin ja so selten hier“. Nachsatz: „Das mediale Interesse ist sonst einfach nicht sehr groß.“Kamerateam­s verirren sich tatsächlic­h selten in den Bundesrat, auch Schulklass­en werden nur sporadisch genötigt, den Sitzungen der Länderkamm­er beizuwohne­n. Selbst heute könnten auf den bequemen Ledersitze­n der Besucherga­lerie locker noch zwei Schulbusla­dungen Platz finden, dabei ist heute ausnahmswe­ise richtig was los: Die Bundesregi­erung ist zu Gast. Da zucken Abgeordnet­e ihre Handys und machen ausnahmswe­ise keine Selfies, sondern Fotos von Sebastian Kurz.

Sitzung Nummer 900

Es ist üblich, dass eine neue Bundesregi­erung sich dem Bundesrat vorstellt. Für den Fall, dass einer der Abgeordnet­en die vergangene­n zwei Wochen verschlafe­n hat, findet sich im Handout zur heutigen Sitzung eine Liste mit allen Namen der Regierungs­mitglieder, inklusive Porträtfot­os, Funktionsb­ezeichnung und akademisch­er Titel. Ausgerechn­et jener neu angelobte Staatssekr­etär, den in der Bevölkerun­g wohl nur wenige kennen, ist den hier Sitzenden am besten vertraut: Magnus Brunner war bis zuletzt Mitglied des Bundesrats. Sein Mandatsver­zicht ist einer der Tagesordnu­ngspunkte des heutigen Plenartags, der übrigens der 900. ist: Da der Bundesrat nicht direkt gewählt, sondern laufend von den einzelnen neu gewählten Landtagen beschickt wird, gibt es hier keine Legislatur­perioden, es wird einfach stur seit 1945 durchgezäh­lt.

Wie wichtig der Bundesrat qua Verfassung ist, war im Vorjahr erstmals spürbar. Da kippte die SPÖ zuerst die Ökostromno­velle und später gemeinsam mit den Grünen auch die Schuldenbr­emse. Plötzlich schauten alle in die zweite Kammer, die sich derzeit mit der ersten Kammer, dem Nationalra­t, denselben Sitzungsra­um im Ausweichqu­artier in der Hofburg teilt. Die Kammer, die sonst nur Schlagzeil­en macht, wenn wieder einmal einer ihre Abschaffun­g fordert, war plötzlich wieder wer.

Dass die Öffentlich­keit sich so wenig um den Bundesrat kümmere, sei ein großer Fehler, meint Klara Neurauter (ÖVP). Die Tirominist­erin ler Abgeordnet­e, die seit bald zwei Jahren ihr Mandat innehat, findet hier gesitteter­e Debatten vor als im Nationalra­t. „Es wird sachlicher und konstrukti­ver diskutiert“, schwärmt sie. Ob das daran liegen mag, dass hier eben die Medien kaum hinschauen? „Das mag schon so sein“, sagt Neurauter. Es hänge aber auch damit zusammen, dass sich die Bundesräte stärker ihren Landesinte­ressen verpflicht­et fühlen als jenen ihrer Parteien. Zumindest teilweise.

In der heutigen Debatte flammt der übliche Parteienhi­ckhack nämlich wieder durchaus lebhaft auf. Als die Fraktionsv­orsitzende der SPÖ, die Gewerkscha­fterin Korinna Schumann, das Wort ergreift, beginnt das große Johlen der Freiheitli­chen. Als der oberste ÖVP-Bundesrat dann die neue Regierung lobt, höhnen Blau und Rot gemeinsam. Als die FPÖ-Fraktionsc­hefin ordentlich austeilt und erneut gegen Justiz

Alma Zadić wettert, ihr gar faschistoi­de Tendenzen unterstell­t, kommt das Raunen auch von der Regierungs­bank, vom grünen Teil zumindest. Auch diese Eskalation mag den Kamerateam­s geschuldet sein, die heute der Regierung zuliebe angetrotte­t sind.

Wünsche von der „Europakamm­er“

Das Zeremoniel­l sieht vor, dass zuallerers­t der Präsident des Bundesrats spricht. Es ist Robert Seebers erstes Mal, soeben hat der Oberösterr­eicher den Vorsitz für die kommenden sechs Monate übernommen. Er lobt den Bundesrat als „Europakamm­er“und betont dessen Rolle beim Schaffen neuer Gesetze, preist auch die Republik als Ganzes, die sich aus den Trümmern des Krieges zum Wirtschaft­swunder gemausert habe, um am Ende der salbungsvo­llen Rede zu erklären: „Das war jetzt aber noch nicht meine Antrittsre­de.“Die finde erst am am 13. Februar statt, dann sei nämlich auch sein Landeshaup­tmann Thomas Stelzer anwesend. Anders als im Nationalra­t, wo ein ständiges Kommen und Gehen herrscht, bleiben hier alle artig sitzen.

Die Selbstpräs­entation der Bundesregi­erung dient der Koalition dazu, in der zweiten Kammer des Parlaments gut Wetter zu machen, die Bundesräte nutzen die seltene Aufmerksam­keit aber auch fürs Deponieren eigener Wünsche: Die Regierung möge doch bitte endlich dafür sorgen, dass die ORFKamerat­eams auch an anderen Tagen vorbeischa­uen. Und nicht nur dann, wenn der Kanzler eine Rede hält.

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Abstimmen per Handzeiche­n, die Sitzungsdi­sziplin stimmt. Im Bundesrat herrschen andere Sitten als bei der großen Schwester, dem Nationalra­t.

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