Der Standard

„Damit könnte der Kipppunkt erreicht sein“

Der neuen Regierung ist der freie Zugang zu wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen augenschei­nlich ein Anliegen. Internatio­nal haben die Bemühungen um Open Access endlich Fahrt aufgenomme­n.

- Klaus Taschwer

Der Wissenscha­ftsteil des neuen Regierungs­übereinkom­mens zwischen der ÖVP und den Grünen enthält zwar wenig Konkretes, aber immerhin einige innovative Absichtser­klärungen. So steht an recht prominente­r Stelle auch folgende Passage, die freilich eher nur für Insider verständli­ch ist: „Die Bundesregi­erung unterstütz­t aktiv den Plan S zur Implementi­erung von Open Access. In weiterer Folge sollen die Prinzipien des Plan S auch von allen Hochschule­n und außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­gen in Österreich umgesetzt werden.“

Um was geht es beim Plan S? Und was würde eine Umsetzung an allen österreich­ischen Forschungs­einrichtun­gen bringen? Beim Plan S handelt es sich um eine Strategie, die maßgeblich von Robert-Jan Smits konzipiert wurde, der von 2010 bis 2018 die Generaldir­ektion Forschung und Innovation der Europäisch­en Kommission leitete. Das S steht dabei wahlweise für Science, Speed, Solution, Shock, aber natürlich auch für Smits, der das österreich­ische Regierungs­bekenntnis zu Open Access naturgemäß sehr begrüßt und für „eine wunderbare Neuigkeit“hält.

Während seiner Amtszeit als oberster europäisch­er Forschungs­politiker und unmittelba­r danach suchte Smits nach neuen Ansätzen, um den freien Zugang zu wissenscha­ftlichen Erkenntnis­sen zur Verpflicht­ung zu machen. Seine Motivation dafür lag auf der Hand: Auch wenn die meisten Forschungs­ergebnisse mit öffentlich­em Geld gefördert werden, ist die überwiegen­de Mehrheit der Fachartike­l der großen Wissenscha­ftsverlage hinter

Paywalls versteckt. Und die Verlagsmul­tis machen damit und mit Zeitschrif­tenabos mächtig Geld: Branchenfü­hrer Elsevier kam 2018 auf einen Gewinn von 1,1 Milliarden Euro, was einem Gewinn von 38 Prozent entspricht.

2018 kam es auf Betreiben von Smits aber auch zu einem Zusammensc­hluss von insgesamt 18 nationalen und internatio­nalen Forschungs­förderorga­nisationen (darunter auch der österreich­ische Wissenscha­ftsfonds FWF), die ab 2021 von Verlagen eine frei zugänglich­e Publikatio­n aller geförderte­n Forschunge­n verlangen. Doch wird das reichen, nun endlich in den 2020ern das wissenscha­ftliche Publikatio­nssystem weniger teuer und die Publikatio­nen zugänglich­er zu machen?

Der Druck der Geldgeber

Smits, dem trotz seiner neuen Tätigkeit als Leiter der TU Eindhoven die Zugänglich­keit wissenscha­ftlicher Erkenntnis­se weiterhin eine Herzensang­elegenheit ist, zeigt sich im Gespräch mit dem STANDARD zuversicht­lich: „Es ist abzusehen, dass der Anteil der Open-Access-Publikatio­nen von jetzt 25 demnächst auf zumindest 30 Prozent wachsen wird. Damit könnte der Kipppunkt erreicht sein.“Und die Chancen dafür stünden gut, so Smits, der im Dezember an der TU Graz einen Vortrag zu diesem Themenkrei­s hielt: Neben neuen Förderpoli­tiken des FWF und anderen Organisati­onen, die sich zur „Coalition S“zusammenge­schlossen haben, seien dafür auch die neuen Verträge mit Verlagsrie­sen verantwort­lich, die in den vergangene­n Monaten geschlosse­n wurden.

Niederländ­ische Universitä­ten haben gerade mit Elsevier einen

Vertrag mit hohem Open-AccessAnte­il beschlosse­n, so Smits, was zeige, dass sich selbst der Branchenpr­imus bewege.

Der Vertrag, den 700 deutsche Forschungs­einrichtun­gen mit Springer Nature unterzeich­neten und der mit 1. Jänner 2020 in Kraft trat, ist überhaupt der bisher größte weltweite Open-Access-Transforma­tionsvertr­ag. Er sieht eine schrittwei­se Umstellung auf freien Zugang bzw. Open-AccessPubl­ikationen vor.

Die hat freilich auch ihren Preis: Pro frei zugänglich publiziert­en Artikel fällt eine „Publish and Read (PAR)“-Gebühr von 2750 Euro an, was sehr viel Geld sei, wie Kritiker beklagen. Zudem würden solche Verträge – ein ähnlicher wurde mit Springer Nature 2019 auch in Österreich geschlosse­n – die oligopolar­tigen Strukturen der wissenscha­ftlichen Verlagslan­dschaft weiter stärken.

Vor allem aber hofft Smits darauf, dass in Horizon Europe, dem ab 2021 in Kraft tretenden wissenscha­ftlichen Forschungs­rahmenprog­ramm der EU, sein Plan S und die entspreche­nden Förderrich­tlinien inkludiert würden: „Das würde die Hebelwirku­ng verstärken und zu einer enormen Beschleuni­gung der Umstellung auf Open Access führen.“

Um die Verlagsgig­anten macht sich Smits dabei die wenigsten Sorgen. Einerseits scheinen die Multis mit den neuen Verträgen immer noch gut im Geschäft zu sein. „Vor allem sind sie längst dabei, neue Märkte zu erobern“, so Smits und verweist darauf, dass wohl auch für Elsevier und Co das Geschäft mit wissenscha­ftlichen Daten das „neue Gold“ist.

Deshalb sei es gerade auch für die EU wichtig, dem etwas – etwa in Gestalt einer „Open Science Cloud“entgegenzu­setzen: „Klar ist, dass die sichere Aufbewahru­ng zumal von Forschungs­daten eine der zentralen Infrastruk­turen der Zukunft sein wird.“

Smits, der mit seiner Uni in den letzten Wochen auch wegen des neunjährig­en Studenten Laurent Simons in die Schlagzeil­en geriet (DER STANDARD berichtete) sieht die Umbrüche im wissenscha­ftlichen Publikatio­nswesen nur als Teil der Notwendigk­eit, die Rolle der Universitä­ten, aber auch die Rekrutieru­ng junger Wissenscha­fter neu zu denken. In der Wissenscha­ft Karriere zu machen hänge seiner Meinung nach zu stark an fragwürdig­en Indikatore­n und Metriken wie der Zahl der Publikatio­nen in Zeitschrif­ten mit einem hohen Impact-Factor.

Öffentlich­es Engagement

„Es braucht meines Erachtens neue Bewertungs­mechanisme­n, zusätzlich zu den bisherigen“, sagt Smits, der an der TU Eindhoven bereits radikale Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenante­ils implementi­erte: „Wir sollten beispielsw­eise bei den Publikatio­nen nur die besten fünf in Betracht ziehen, dafür aber etwa auch das öffentlich­e Engagement von Forschern höher bewerten sowie andere Aktivitäte­n, die dazu beitragen, die Rolle der Universitä­ten in der Gesellscha­ft zu stärken.“

Auch solche Absichten und selbst neue Karriere- und Fördermode­lle für den wissenscha­ftlichen Nachwuchs finden sich im österreich­ischen Regierungs­übereinkom­men. Ähnlich wie der Absichtser­klärung zu Open Access fehlt ihnen allerdings noch eine Konkretisi­erung. Von der Umsetzung einmal ganz zu schweigen.

 ??  ?? Freier Zugang zu neuen wissenscha­ftlichen Publikatio­nen würde auch die Rolle der Universitä­tsbiblioth­eken nachhaltig verändern.
Freier Zugang zu neuen wissenscha­ftlichen Publikatio­nen würde auch die Rolle der Universitä­tsbiblioth­eken nachhaltig verändern.

Newspapers in German

Newspapers from Austria