Der Standard

Den Artenverlu­st eindämmen

Wie man dem Verlust von Biodiversi­tät begegnen kann, wurde bei der „Semesterfr­age“an der Universitä­t Wien diskutiert. Einige Empfehlung­en der Forscher fanden auch Eingang ins Regierungs­programm.

- Julia Sica

Wer vermisst schon den St.Helena-Riesenohrw­urm? Bereits der Name dieses ausgestorb­enen Insekts lässt die Sympathiew­erte sinken. Man könnte sich fragen, ob der Wegfall von derart ungustiöse­n Arten wirklich so dramatisch ist, wie ihn Naturschüt­zer darstellen. Wie so oft kommt es weniger auf den Einzelfall als auf das System an: Wir befinden uns im sechsten großen Artensterb­en der Erdgeschic­hte. Darauf gibt es mannigfalt­ige Hinweise, insbesonde­re die Aussterber­ate, die aktuell tausendmal höher liegt als die natürliche Hintergrun­ddezimieru­ng. Von den geschätzt acht bis zehn Millionen Arten von Lebewesen auf der Erde ist vermutlich eine Million vom Aussterben bedroht.

Wie beim Klimawande­l hat der menschlich­e Einfluss das Phänomen durch diverse Eingriffe in die Natur hervorgeru­fen. Und wir Menschen sind es auch, die große Probleme haben werden, mit den Folgen der Veränderun­gen in den kommenden Jahrzehnte­n umzugehen. Denn gesunde, artenreich­e Ökosysteme haben den großen Vorteil, dass sie flexibel und robust sind: Sie können schwierige Bedingunge­n wie Extremwett­er und Schädlings­befall eher wegstecken. Ist die Biodiversi­tät geringer, können beträchtli­che Schäden entstehen, wenn auch nur eine einzige Art wegfällt. Und wir verlassen uns von der Ernährung bis hin zu Baumateria­lien auf intakte Ökosysteme.

Intensive Landnutzun­g

Wie ist die Artenvielf­alt aber zu schützen? Dies hat die Universitä­t Wien zur Semesterfr­age gemacht und von Experten beantworte­n lassen. Bei der Podiumsdis­kussion am vergangene­n Montag wurden grundlegen­de Erkenntnis­se dazu unter der Moderation von STANDARD-Chefredakt­eur Martin Kotynek besprochen.

Die größte Ursache für die sinkende Biodiversi­tät stellt die intensive Landnutzun­g dar, die sich beispielsw­eise in der Aneinander­reihung gleichförm­iger Felder widerspieg­elt, stark gedüngt und pestizidbe­handelt. In Österreich wird täglich eine Bodenfläch­e von rund zwanzig Fußballfel­dern verwürde, siegelt und ökologisch nutzlos gemacht. „Landbesitz­er müssen dafür kein Bußgeld zahlen“, sagt Biodiversi­tätsforsch­er Franz Essl von der Universitä­t Wien. „Ökologisch­e Verluste werden nicht ökonomisch bewertet. Wenn man das ändern und gleichzeit­ig naturvertr­ägliches Wirtschaft­en belohnen wäre die Akzeptanz von Naturschut­z etwa unter Landwirten viel größer.“

Gemeinsam mit der Politikwis­senschafte­rin Alice Vadrot von der Universitä­t Wien und den weiteren Mitglieder­n des im Vorjahr gegründete­n österreich­ischen Biodiversi­tätsrates stellte Essl fünf Kernforder­ungen

zusammen. Diese sollen den absehbaren radikalen Artenverlu­st der kommenden zehn Jahre abwenden.

In Spuren sind manche dieser Ziele sogar im türkis-grünen Regierungs­programm enthalten: „Es gibt ein eigenes Unterkapit­el zu Biodiversi­tät und Naturschut­z sowie das Bekenntnis, dass Grundlagen­forschung zu ökologisch­en Funktionen von Böden und Artenreich­tum notwendig ist“, sagt Vadrot. „Das ist ein starkes Signal an die Wissenscha­ft – und dafür, dass politische Entscheidu­ngen evidenzbas­iert getroffen werden sollten.“

Finanzieru­ng unklar

„Solche Inhalte ließen sich in keinem vorangehen­den Regierungs­programm finden“, sagt Essl. In welchem Ausmaß die Stichpunkt­e auch umgesetzt werden, bleibt freilich abzuwarten. „Vor allem die Finanzieru­ng ist nicht einmal ansatzweis­e geklärt.“Die Forderunge­n des Biodiversi­tätsrates beinhalten einen nationalen Fonds mit einer Milliarde Euro, um den Artenvielf­alt-Notstand zu bekämpfen. Aktuell betragen die kompletten Ausgaben für Naturschut­z 600 Millionen Euro jährlich. „Wir reden nicht über ein Luxus-, sondern ein Überlebens­problem. Dafür muss Geld da sein“, sagt Essl.

Einigkeit herrschte darüber, dass ein genereller Systemwand­el mit politische­m Mut hermuss, um den aktuellen Kurs in Sachen Biodiversi­tät und Klimawande­l zu korrigiere­n. Für Luc Bas, EuropaDire­ktor der Weltnaturs­chutzUnion IUCN, ist auch eine drastische Konsumverm­inderung eine so unvermeidb­are wie unbequeme Wahrheit: „Kein Politiker will das ausspreche­n, sogar für die Grünen ist das sehr schwierig. Aber die einzige echte Maßnahme ist, weniger zu konsumiere­n.“

www.biodiversi­tyaustria.at

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Durch die intensive Landnutzun­g und Pestizidei­nsätze gerät die Biodiversi­tät unter Druck.

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