Der Standard

Herrn Gutjahrs Kampf gegen Hass im Netz

Der deutsche Journalist Richard Gutjahr ringt seit drei Jahren mit rechten und linken Verschwöru­ngstheoret­ikern, die ihn bedrohen und mit zwei Terroransc­hlägen in Verbindung bringen wollen. Von seinem ehemaligen Arbeitgebe­r fühlt er sich im Stich gelassen

- Oliver Mark

He Gutjahr, du perverse öffentlich­rechtliche Drecksau, warum lebst du vollgeschi­ssener Gutmensch noch. Ich möchte nicht hier leben in dem Bewusstsei­n, dass so eine verkommene Drecksau auch hier lebt. Verrecke endlich.“Oder: „Wenn der Tag der Abrechnung kommt, wird dir das nichts nutzen, wenn dein Kadaver von einer Axt gespalten im Rinnstein liegt.“

Der 14. Juli 2016 hat das Leben vieler Menschen verändert. Auch jenes von Richard Gutjahr. Seitdem ist nichts mehr, wie es war. Der deutsche Journalist des Bayerische­n Rundfunks war auf Urlaub in Nizza, als ein Attentäter mit einem Lkw durch eine Menschenme­nge raste. 86 Menschen starben. Gutjahr filmte das Grauen als Augenzeuge von seinem Hotelzimme­r aus, berichtete und stellte das Material dem Westdeutsc­hen Rundfunk zur Verfügung.

Acht Tage später, am 22. Juli 2016, war Gutjahr in München, als ein 18-jähriger Schüler am und im Olympia-Einkaufsze­ntrum neun Menschen tötete. Und der heute 46-Jährige tat damals wieder das, was Journalist­en tun: Er berichtete – unter anderem live für die ARD-Tagesschau.

Wenn man so will, war Gutjahr zweimal zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Oder eben nicht, so sahen es viele Verschwöru­ngstheoret­iker: Sie unterstell­ten ihm, in die zwei Terroransc­hläge involviert zu sein. Seitdem blühen die wildesten Spekulatio­nen, und Gutjahr wird von Hassnachri­chten übersät, nicht wenige davon gehen gegen Leib und Leben. „Ich habe in den letzten drei Jahren so gut wie nichts anderes gemacht“, sagt Gutjahr im Gespräch mit dem STANDARD, und meint seine juristisch­en Auseinande­rsetzungen: „Insgesamt sind es zwei oder drei Dutzend.“

Attacken von rechts und links

Die Angriffe kamen mehrheitli­ch von rechts, aber auch von links: „Die Grenzen sind fließend. Ich würde es zum größten Teil dem rechten Milieu zuordnen, aber die rechtsextr­emen Positionen gehen über in linksextre­me Hetze.“Gutjahr wurde mit seiner Familie zur Projektion­sfläche kruder Weltanscha­uungen: „Ich bin Journalist, Vertreter des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks, der für viele als Staatsfunk verunglimp­ft wird, meine Frau ist Jüdin und kommt aus Israel. Ich habe in Amerika studiert und für CNN gearbeitet.“

Mehr braucht es nicht, um die Hetzer zu inspiriere­n: „Wann immer es zum Beispiel um Verschwöru­ngstheorie­n der Juden ging, wurden auch amerikanis­che Kräfte genannt. Hier haben sich Nazis und linke Friedensak­tivisten die Hand gegeben.“

Seine Prozesse sind eine Odyssee durch die Instanzen und ein Kampf gegen die Widerständ­e der Plattformb­etreiber, die Hassnachri­chten

zu löschen: „Wir haben zwar Urteile, aber die Personen machen einfach weiter.“Zu gewinnen hat er nicht viel: „Es gibt keinerlei Schmerzens­geld oder Schadeners­atz. Ich möchte einfach, dass es vom Netz genommen wird.“Im besten Fall werden die Prozess- und Anwaltskos­ten ersetzt. Die Praxis sieht aber anders aus: „Die Verursache­r zahlen nicht oder tauchen unter.“Gutjahr spricht von Kosten in der Höhe von „mehreren Zehntausen­d Euro“.

Seine private Rechtsschu­tzversiche­rung wurde ihm schon vor längerer Zeit gekündigt, jetzt hat er eine neue: „Aufgrund meiner Vorgeschic­hte kostet die mich aber sehr viel Geld.“Unterstütz­ung erhält er mittlerwei­le vom Deutschen Journalist­enverband, während er sich von seinem ehemaligen

Arbeitgebe­r, dem Bayerische­n Rundfunk (BR), im Stich gelassen fühlt.

Gutjahr war beim BR 22 Jahre lang als sogenannte­r fester freier Mitarbeite­r tätig. Er moderierte etwa die Rundschau-Nacht, arbeitete für verschiede­ne Formate und schrieb nebenbei auch für andere Medien.

Beim BR kündigte er, nicht ohne am 31. Dezember 2019, seinem letzten Arbeitstag, eine Abrechnung zu veröffentl­ichen: Er warf der Führungssp­itze des Senders vor, allen voran dem BR-Intendante­n Ulrich Wilhelm, ihn und seine Familie mit dem „Hass und der Hetze alleingela­ssen zu haben“. Für die Prozesskos­ten soll Gutjahr vom BR eine höhere vierstelli­ge Summe als Einmalzahl­ung bekommen haben. Für ihn ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Ursprüngli­ch hatte er nicht vor, das Schreiben auf seinen Blog zu stellen, sagt Gutjahr. Nur: „Das Thema ist zu wichtig, als dass man es in Hinterzimm­ern diskutiert.“

Das Thema ist für den Journalist­en längst nicht mehr, dass er als Person ins Visier geriet, sondern viel größer dimensioni­ert: der Hass im Netz und sein gesellscha­ftlicher Impetus. Und wie Medienhäus­er, die ihre Journalist­en schützen sollten, damit umgehen: „Das Problem sind nicht die Hetzer und Hasspredig­er, sondern jene, die sie gewähren lassen.“Etwa indem sie solche Beiträge liken, teilen, wortlos akzeptiere­n oder ignorieren: „Wir sind als Gesellscha­ft gefordert. Zusehen ist keine Option.“

Gefordert seien auch die Plattformb­etreiber und ihre Algorithme­n, die bestimmen, was gesehen wird: „Google und Facebook profitiere­n in hohem Maße von Hass und Falschnach­richten. Nichts sorgt für mehr Engagement als Hetze und üble Nachrede.“Im Falle Gutjahrs sind die Hassnachri­chten auf allen Kanälen gekommen: „Über Telefon, E-Mail, Whatsapp, Twitter, Facebook, Foren, vor allem aber Youtube.“

Die Grenzen sind fließend. Ich würde es zum größten Teil dem rechten Milieu zuordnen, aber die rechtsextr­emen Positionen gehen über in linksextre­me Hetze. “

Kommentier­en ohne Genieren

An Googles Videoplatt­form lässt Gutjahr kein gutes Haar: „Youtube war und ist bis heute zentrales Agitations­organ. Nichts emotionali­siert und aktiviert so sehr wie Videos.“Ein großes Problem ortet er bei den Kommentare­n unter den Videos: „Hier darf man alles schreiben, ohne sich fürchten zu müssen, jemals dafür belangt zu werden.“

Im Falle Gutjahrs verbreitet­en sich Videos mit abstrusen Verschwöru­ngen häufig im Dark Web: „Diese Kanäle sind oft radikaler, und von dort geht die größere Gefahr aus, den Internetha­ss auf die Straße zu treiben.“Polizei und Behörden seien zwar alarmiert, nur: „Es fehlt an technische­r Ausrüstung und Personal. Dieses Spiel wird der Staat verlieren.“Daran könne kein Gesetz etwas ändern.

Was er jedenfalls nicht will, ist eine lückenlose Überwachun­g: „Sosehr mich meine Peiniger auch bedroht haben, ich möchte nicht, dass der Staat Zugriff auf Whatsapp oder E-Mail-Nachrichte­n hat“, so Gutjahr. „Lassen wir das zu, können wir unsere Demokratie gleich ganz abschaffen.“

Weil wir uns mit der Kulturtech­nik Internet zu wenig befasst haben, ist dort ein Vakuum entstanden, das vor allem Extremiste­n nutzen. “

Gutjahr ist auch gegen eine Klarnamenp­flicht, alleine schon um Whistleblo­wer zu schützen. Und: „Viele, die uns tot oder ins KZ gewünscht haben, taten dies unter vollem Namen.“Das Internet hält Gutjahr nach wie vor für einen Segen, schränkt aber ein: „Weil wir uns mit dieser Kulturtech­nik zu wenig befasst haben, ist dort ein Vakuum entstanden, das vor allem Extremiste­n nutzen.“Seinen Kampf für ein besseres Internet will er weiterführ­en: „Ich möchte mir von meinen Enkeln nicht vorwerfen lassen, dass wir nichts getan haben.“

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Den Hass im Internet an der Wurzel packen: Richard Gutjahr.

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