Der Standard

Postdigita­l als Zustand

Online-Ausstellun­gen oder virtuelle Museumstou­ren: wie digitale Formate das Museum als Raum erweitern und wieso diese nicht als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden sollten.

- Katharina Rustler

In einem dunklen Raum, auf einem Sitzsack liegend, können Kunstwerke von Kandinsky, Monet oder da Vinci betrachtet werden: An den Wänden bewegen sie sich als dynamische Animatione­n und digitale Pixel. Vergangene­s Jahr zeigten groß angelegte Multimedia-Ausstellun­gen in Berlin und Leipzig digitalisi­erte Versionen bekannter Kunstwerke verschiede­nster Epochen – dabei befanden sich die Originale gar nicht am selben Ort. Aber müssen sie das?

Neue Formate ermögliche­n es, Kunst nicht nur im klassische­n Sinn erfahrbar zu machen, sondern darüber hinaus. So bieten junge Plattforme­n, wie Peertospac­e bereits reine Online-Ausstellun­gen an, in denen Kunstwerke rein virtuell zugänglich gemacht und kostenlos besichtigt werden können. Museen wie die National Gallery in London können mittels virtueller Rundgänge über ihre Homepage individuel­l besucht werden. Erweiterte Reality-Formate liefern zusätzlich­e Informatio­nen, neue Apps bieten Museumsbes­uchern individuel­le Führungen durch Ausstellun­gen oder sogar die Möglichkei­t, sich in digitalen Minimuseen ihre eigene Schau zu kuratieren – Kunst à la carte quasi.

Was heißt postdigita­l?

Bisherige Grenzen klassische­r Ausstellun­gsräume werden überschrit­ten, erweitert und neu definiert. Vor 25 Jahren schrieb der Informatik­er Nicholas Negroponte in Beyond Digital, dass das Digitale irgendwann so normal wie Plastik sein wird – ein omnipräsen­ter Gebrauchsg­egenstand. Befinden wir uns auch in der Kunst „beyond digital“? Haben wir das digitale Zeitalter längst hinter uns gelassen und leben bereits in einem postdigita­len?

Doch Vorsicht: „Der Begriff des Postdigita­len möchte absichtlic­h in die Irre führen“, meint Eva Fischer, Kuratorin des audiovisue­llen Festivals Soundframe. Dieser beschreibe nämlich keinen zeitlichen Abschnitt, wie es beispielsw­eise „postmodern“tut, sondern vielmehr einen Zustand. „Postdigita­l heißt, dass Digitales überall vorhanden ist“, so Fischer, „man wundert sich nur nicht mehr so darüber.“Im Rahmen des diesjährig­en Soundframe wird die Konferenz Navigieren im Postdigita­len gemeinsam mit dem Innovation Laboratory der Universitä­t für angewandte Kunst stattfinde­n und Menschen aus Kunst und Wissenscha­ft zusammenbr­ingen. So sollen neue Möglichkei­ten aus beiden Bereichen erarbeitet werden. „Das Digitale tritt in all unsere Lebensbere­iche über“, meint Fischer – „auch in die Kunst.“

Digital versus analog

Eine Untersuchu­ng des Museumsbun­ds Österreich bestätigt, dass sich auch Museen dieser postdigita­len Gegenwart stellen müssen: Vor allem bei digitaler Forschung seien Museen im angloameri­kanischen Raum oder den Niederland­en weiter vorne. Dabei eignen sich vor allem digitale Formate dazu, Museumsbes­uche vor- und nachzubere­iten, sagt Christian Huemer, Leiter des Belvedere Research Center. Dieses veranstalt­ete Anfang Jänner die Konferenz Das Kunstmuseu­m im digitalen Zeitalter. Österreich­ische Museen erkennen die Notwendigk­eit, digitale Techniken verstärkt zu nutzen und ihr Online-Angebot auszubauen. „Dies ist vor allem wichtig, um Besucher ins Museum zu holen“, sagt Huemer, sieht es allerdings als Ergänzung und nicht als Ersatz dafür, Kunstwerke vor Ort zu sehen.

Die in diesem Zusammenha­ng oft gestellte Frage, ob sich Museen mit umfassende­n Online-Angeboten überflüssi­g machen könnten, verneint Eva Fischer. Nur weil diese auch online besucht werden können, fallen sie nicht als Orte der Kunsterfah­rung weg. Bei digitalen Formaten handle es sich nicht um eine Gefahr, sondern um eine Chance, die nicht verpasst werden dürfe.

So ermöglicht­e die Technik des 3D-Druckens, dass 2016 Der Kuss von Gustav Klimt in ein dreidimens­ionales Relief gegossen werden konnte; plötzlich war es möglich, das Bild anzufassen, und es wurde auch für Menschen mit Sehbehinde­rung erfahrbar. Soundframe-Festival: 15.–17. 1.

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Digitale Möglichkei­ten: Die Multimedia-Schau „Leonardo da Vinci – Raffael – Michelange­lo. Giganten der Renaissanc­e“im Leipziger Kunstkraft­werk zeigt das Jüngste Gericht – fern des Originals.

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