Zwei Päpste und der Zölibat
So schrieb der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an seinen Gefährten Timotheus: „Deshalb soll der Bischof untadelig, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen sein (...). Er muss seinem eigenen Haus gut vorstehen, seine Kinder in Gehorsam und allem Anstand erziehen“(revidierte Einheitsübersetzung der katholischen Bibel von 2016).
Die Textstelle wird gerne angeführt, wenn es darum geht, den Zölibat (Ehelosigkeit, sexuelle Enthaltsamkeit) für Priester der katholischen Kirche infrage zu stellen. Die Ironie dabei: der „Timotheusbrief“gilt in textkritischer Betrachtung als „pseudepigrafisch“, also dem Apostel Paulus, dem bedeutendsten Verkünder des Urchristentums, fälschlich zugeschrieben. Tatsächlich kannte das Christentum bis ins Mittelalter den Zölibat als allgemeine Verpflichtung nicht, das ist (in der Westkirche) erst seit dem 11. Jahrhundert so.
Für die Einführung, die auf wütende Proteste stieß, gab es teils sehr praktische Gründe, heute wird er mit der Konzentration auf den ungeteilten Dienst an Gott gerechtfertigt. Der priesterliche Zölibat ist kein Dogma (ein Glaubenslehrsatz unter Berufung auf göttliche Autorität), sondern „nur“ eine tausend Jahre alte kirchliche „Verfassungsbestimmung“.
Die Sache wird nun wieder relevant, da der „emeritierte“Papst Benedikt XVI. gemeinsam mit einem äußerst konservativen Kardinal ein Buch veröffentlicht hat (Aus der Tiefe unserer Herzen), das „ontologische“(das Sein betreffende) Bedeutung für die Kirche hat. Beide beklagen, der Zölibat solle nicht durch „abwegige Einlassungen, Theatralik, diabolische Lügen und im Modetrend liegende Irrtümer“entwertet werden.
Das wird als außerordentlich brisanter Querschuss gegen den amtierenden Papst Franziskus ausgelegt, der zuletzt bei der Amazonien-Synode ganz vorsichtig dahin tendierte, in seelsorglichen „Notstandsgebieten“ verheiratete Männer als Priester zuzulassen (und ebenso einen leichteren Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern). Die konservative FAZ sprach sogar von der „Gefahr eines Gegenpapstes“. Andere sehen sogar eine mögliche Spaltung der Kirche, zumindest aber eine Schwächung der reformerischen Kraft von Papst Franziskus.
Der Zölibat wird für allerhand Probleme und schwere Fehlentwicklungen der Kirche verantwortlich gemacht. Für den Priestermangel ist er sicherlich auch verantwortlich – ob auch für den ziemlich massiven Kindesmissbrauch durch Priester, ist umstritten. In allen geschlossenen Institutionen mit Autoritätsverhältnissen kommt es zu Kindesmissbrauch, aber die relative Häufigkeit der (lange vertuschten) Übergriffe gerade unter Zölibatären weist in eine bestimmte Richtung.
Eine generelle Aufhebung des Zölibats brächte andere beträchtliche Probleme mit sich. Vor allem wäre dann die reale Frauenfeindlichkeit der katholischen Kirche nicht länger aufrechtzuerhalten. Aber wenn der Papst sogenannte „viri probati“(bewährte verheiratete Männer) als Priester in entlegenen Gegenden zulässt (bei den mit Rom unierten Ostkirchen sind sie jetzt schon erlaubt), dann ist schwer einzusehen, warum das ewig nur als eng umschriebene Ausnahme gelten soll. hans.rauscher@derstandard.at