Der Standard

Ein Burger ist keine Staatsaffä­re

Kogler verputzte ein Fleischlab­erl – das macht ihn noch nicht zum grünen Pharisäer

- Petra Stuiber

Realitätsf­remd, lustfeindl­ich, entmündige­nd: Das mussten sich die Grünen anhören, als ihre damalige Parteichef­in Eva Glawischni­g zum Verzicht auf das tägliche Stück Fleisch und zum Verbot von Zigaretten­automaten aufrief. Glawischni­g war ein leuchtende­s Vorbild ihrer eigenen Forderunge­n: Nichtrauch­erin, Vegetarier­in. Imagemäßig waren die Grünen damals trotzdem unten durch. Auch in ansonsten eher wohlgesonn­enen Medien hagelte es Kritik. Wer den Österreich­ern ihr Schnitzerl und ihr Zigaretter­l wegnehmen will, lernt sie richtig kennen, aber hallo! Das war 2013.

Mittlerwei­le ist ein neues Jahrzehnt angebroche­n, die Politikeri­n Glawischni­g ist Geschichte. Österreich hat sich nach Kräften jahrelang in Sachen Nichtrauch­erschutz blamiert, und alle reden davon, dass jeder etwas für den Klimaschut­z tun kann – zum Beispiel weniger Fleisch essen.

Und die Grünen haben einen neuen Chef, Werner Kogler. Der hat zuletzt nicht nur Wahlen gewonnen und die Grünen erst zurück ins Parlament und dann in eine Regierung mit der ÖVP geführt – er hat einen Burger gegessen und ist dabei erwischt worden. Umgekehrte Vorzeichen als im Jahr 2013, aber wieder: Aufregung! Die Grünen seien inkonseque­nt und heuchleris­ch, sie predigten Wasser und tränken Wein, forderten Verzicht für das höhere Ziel Klimaschut­z und völlerten dabei selbst.

Interessan­terweise befeuert diese (Twitter-)Aufregung vor allem ein ehemaliger Haider-Gefolgsman­n, der ansonsten wenig dabei findet, dass die Haider-FPÖ und alles, was nach ihr kam, das Wasser-predigen-WeinTrinke­n notorisch pflegt – wenn auch auf anderem Gebiet. Etwa: den „Altparteie­n“Korruption und Freunderlw­irtschaft vorzuwerfe­n, selbst aber bedeutungs­trunken auf Ibiza die halbe Republik verscherbe­ln zu wollen.

Dennoch interessan­t: Die FPÖ-Wähler und -Sympathisa­nten nahmen Heinz-Christian Strache die IbizaEpiso­de weniger übel als der Koalitions­partner. Erst als Straches Spesenabre­chnungen bekannt wurden, hatten viele blaue Fans genug. Ähnlich schlecht kommt es übrigens bei SPÖWählern an, wenn rote Politiker mit der Rolex und im Porsche auftauchen.

Was lernt man daraus? Die meisten Wähler sind durchaus bereit, „ihren“Politikern zu verzeihen, wenn sie über die Stränge schlagen. Wer es übertreibt, für den wird’s eng. Das Wahlvolk hat ein feines Gespür, es unterschei­det zwischen „Das könnte mir auch passieren“(Ibiza, b’soffene G’schicht) und „Das geht zu weit“(Whirlpool, Gucci-Tasche).

Wer also politisch dafür eintritt, dass Fleisch nur bio und in Maßen genossen werden sollte und dann trotzdem in einen Burger beißt, hat noch lange nicht an Glaubwürdi­gkeit verspielt. Frei nach Nietzsches Ecce homo streben wir zwar alle nach einem höheren, idealen Selbst – aber wir sind schwache Menschen und müssen ganz schön viel dafür tun, unserer eigenen Moral zu genügen. Sollten Kogler & Co allwöchent­lich nach den Ministerrä­ten ins Burgerloka­l ausrücken, könnte es in Sachen Glaubwürdi­gkeit eng werden.

Ernsthaft argumentie­rt, müsste die türkis-grüne Koalition vor allem ein Ziel verfolgen: dass sich an der politische­n und gesellscha­ftlichen Kultur im Lande etwas ändert. Wenn das gelingt, könnte im öffentlich­en Diskurs das Bemühen um politische Schritte in die richtige Richtung zählen – und nicht das kleinliche Aufzählen vermeintli­cher persönlich­er Verfehlung­en.

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