Der Standard

Meyers letzter Walzer in der Oper

Sechseinha­lb Monate durfte die Wienerin Mülkiye Laçin die Türkei nicht verlassen, nachdem sie wegen Terrorprop­aganda angeklagt worden war. Sie hatte sich in Österreich kritisch über die Türkei geäußert. Im STANDARD-Interview spricht sie über ihre lange Ze

- INTERVIEW: Gabriele Scherndl

Für Dominique Meyer wird der Opernball am 20. Februar der letzte als Direktor der Staatsoper sein. Der Event habe sich stark verändert, resümierte er am Dienstag. Das liege vor allem an der Organisato­rin Maria Großbauer. „Wir sind nicht mehr im 19. Jahrhunder­t“, sagte Meyer mit Blick auf das erste gleichgesc­hlechtlich­e Debütantin­nenpaar.

Als die Wienerin Mülkiye Laçin das letzte Mal in dem Kaffeehaus war, in dem sie den STANDARD trifft, waren da noch keine Bagger. Vor einem halben Jahr wurde die Pädagogin wegen des Vorwurfs der Terrorprop­aganda bei einem Türkei-Urlaub festgenomm­en. Sie durfte nicht mehr aus dem Land – bis letztes Wochenende. Vor ihr steht eine Melange, die zweite, seit sie wieder in Wien ist. Die erste hatte sie am Sonntag am Flughafen Schwechat, drei Tage nachdem ihr das türkische Gericht überrasche­nd die Ausreise erlaubt hatte – auch wenn ihr Verfahren weiterläuf­t.

STANDARD: Sie sagten bei Ihrer Ankunft in Wien, Sie würden irgendwann in die Türkei zurückkehr­en. Gibt es da schon Pläne? Laçin: Nein, das habe ich auch noch nicht vor. Erst wenn wir irgendwann Demokratie in der Türkei haben, werde ich dorthin fliegen. Mein Land werde ich nicht aufgeben.

STANDARD: Haben Sie eine Idee, wie die türkischen Behörden auf Sie kamen?

Laçin: Viele Kurdinnen und Kurden werden ein Jahr, zwei Jahre ohne Aussage in der Türkei festgehalt­en. Und auch bei österreich­ischen Veranstalt­ungen hat man gemerkt, dass türkische Geheimdien­ste stark und gut organisier­t sind. Ich nehme an, dass sie meine Aktivitäte­n schon lange gesammelt haben.

STANDARD: Haben Sie Ihren Akt gesehen? Laçin: Als sie mich festnahmen, zeigten sie mir, was ich gepostet hatte, etwa kurdische Sätze auf Facebook. Auch was ich am 1. Mai geredet hatte und ein Foto von einem Theaterspi­el zeigten sie mir, das hatten sie alles ausgedruck­t.

STANDARD: Tunceli gilt als linke Hochburg. War Ihnen das Risiko bewusst, als Sie dort hingingen und ein Haus bauten?

Laçin: Ich bin geborene Kurdin und Alevitin, ich komme aus diesem Gebiet. Wenn man ein Volk ständig unterdrück­t sieht, baut man eine andere Beziehung dazu auf, egal, ob das Kurden oder einem anderen Volk passiert. Eine starke Beziehung. Die hat mich dort hingezogen und ausgelöst, dass ich dort ein Haus bauen wollte, um mehr Zeit in der Gegend zu verbringen. Mir war schon auch bewusst, dass es gefährlich ist. Als ich auf dem Hinweg in den Flieger einstieg, war da eine Seite mit einem gutem Gefühl, aber eine Seite war voller Angst. Gut, ich bin Kurdin, ich habe für Menschenre­chte, Frauen und Kinder gekämpft, dachte ich. Mehr habe ich nicht gemacht, mehr ist nicht passiert, dachte ich. Manchmal ist man naiv.

STANDARD: Sie saßen sechseinha­lb Monate in dem Dorf fest. Wie war es dort?

Laçin: Ich habe meine Kindheit und Jugend lang dort gelebt. Und wenn ich an bestimmten Stellen war, erinnerte ich mich an Ereignisse. Dann freut man sich. Auf der anderen Seite weißt du aber auch, dass du immer unter Beobachtun­g bist. So war es bis zum 17. Juli. Da sind Einsatzkrä­fte ins Dorf gekommen und haben nach mir gesucht. Die erste Person, der sie begegneten, war ich. Sie sagten, sie suchten eine Frau Laçin. Ich sagte, ich bin Laçin. Dann durchsucht­en sie mein Zimmer und sagten: „Wir nehmen Sie mit, denn es ist ein Befehl.“

STANDARD: Nach 24 Stunden durften Sie aus der Haft, aber mussten im Land bleiben. Laçin: Dann war ich in meinem Haus, es war halb fertig. Bis Oktober ging das, es war nicht so kalt. Ich wusste, es gibt einen Akt, und der muss bearbeitet werden. Dass ich irgendwann zum Gericht gehen und eine Aussage machen werde. Normalerwe­ise sollte es so laufen. Nach drei Monaten habe ich meinen Anwalt gebeten, nach meinem Akt zu sehen, er bekam keine Informatio­n.

Diese Unklarheit, Ungewisshe­it hat mich belastet. Du weißt nicht, was am nächsten Tag passiert. Worauf kommen sie? Was suchen sie? Kommen sie am nächsten Tag und nehmen dich mit? Mit solchen Fragen war ich jeden Tag konfrontie­rt.

STANDARD: Nach drei Monaten gründete sich ein Solidaritä­tskomitee. Warum so spät? Laçin: Ich wusste, es muss in Österreich etwas passieren. Und dann hat mein Betriebsra­t vorgeschla­gen, sich mit meinen beiden Kindern und meinen Kolleginne­n zu treffen, so haben sie ein Solidaritä­tskomitee gebildet. Was da gemacht wurde, von der Gewerkscha­ft bis zur Arbeiterka­mmer, von meiner Schule, meinen Kindern und Freundinne­n, auch von Journalist­innen, war, dass sie präsent waren. Ich bin dankbar, dass sie Augen und Ohren offen hatten. Dadurch hat sich in der Türkei etwas bewegt: Ich bekam eine dreiseitig­e Anklagesch­rift.

Standard: Sie haben das österreich­ische Außenminis­terium kritisiert. Haben Sie sich im Stich gelassen gefühlt?

Laçin: Am Anfang schon. Sie haben mich zwar regelmäßig angerufen und gefragt, wie es mir gehe, aber nach zwei-, dreimal war die Antwort eben: „Na ja, es geht mir nicht gut. Ich möchte wissen, wann mein Prozess ist, wann ich fliegen darf, ob ich ins Gefängnis komme.“Doch sie sagten, sie dürften sich nicht in die türkische Justiz einmischen. Natürlich darf man sich einmischen und sagen: „Diese Frau ist schon über 30 Jahre in Wien, sie hat nichts verbrochen in unserem Land.“Aber das war am Anfang so. Bei meinem Prozess war dann der Botschafts­vertreter persönlich anwesend. Sie haben gemacht, was gemacht werden soll, und dafür bin ich dankbar.

STANDARD: Wie geht es mit Ihnen weiter? Werden Sie am 1. Mai eine Rede halten? Haben Sie vor, wieder zu unterricht­en?

Laçin: Ich bin mein Leben lang für Gerechtigk­eit eingetrete­n, wenn es notwendig war. Auch in Zukunft werde ich meinen Mund nicht halten. Ich werde nicht sagen: „Gut, dass mich das nichts angeht.“Und ich will

„ Die erste Person, der sie begegnet sind, das war ich. Sie sagten, sie suchten eine Frau Laçin. Ich habe gesagt, “ich bin Laçin.

wieder in meinen Job, ich habe die Kinder auch sehr vermisst, meinen Alltag vermisst. Ich habe bis März einen Sabbatical-Vertrag unterschri­eben, aber es kann sein, dass ich schon Anfang Februar wieder anfange.

STANDARD: Und was passiert mit dem Haus in Ostanatoli­en?

Laçin: Ich habe es zugesperrt. Wann ich wieder dort bin, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass Verbesseru­ngen in der Türkei kommen, dass es ein demokratis­ches Land wird, in dem Menschen miteinande­r leben können. Irgendwann bestimmt.

MÜLKIYE LAÇIN (57) wanderte 1984 von der Türkei nach Österreich aus. Bei einem Urlaub in Ostanatoli­en, wo sie ein Ferienhaus baut, wurde sie festgenomm­en und durfte ein halbes Jahr nicht ausreisen.

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Bei ihrer Ankunft in Schwechat am Sonntag wurde Mülkiye Laçin von ihren Schülern erwartet.

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