Der Standard

Folgen einer verhindert­en Reform

Wifo berechnete die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe

- András Szigetvari

Wien – Die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe in der bestehende­n Form war eines der umstritten­sten Projekte der türkis-blauen Regierung, das allerdings nicht umgesetzt wurde. Noch vor dem Ende der Koalition ließ die damalige Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) die Auswirkung­en vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) evaluieren.

Nun liegen die Ergebnisse vor. Die Simulation zeigt, dass bis zu 110.000 Menschen ihre Ansprüche aus der Arbeitslos­enversiche­rung verloren hätten. Vor allem für Frauen hätte es eine Schlechter­stellung bedeutet. (red)

Eines der umstritten­sten Projekte der türkis-blauen Regierung wurde nie umgesetzt: die Abschaffun­g der Notstandsh­ilfe in ihrer bestehende­n Form. Im alten Regierungs­programm wurde zwischen FPÖ und ÖVP fixiert, dass die Notstandsh­ilfe in ein „Arbeitslos­engeld neu“integriert werden soll. Dieses neue Arbeitslos­engeld sollte „degressiv“gestaltet sein: Wer länger eingezahlt hat, hätte demnach einen höheren Anspruch bekommen. Zudem sollte die Höhe der Auszahlung mit Fortdauer des Bezuges sinken.

Sozialmini­sterin Beate HartingerK­lein (FPÖ) beauftragt­e das Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo) damals damit, diverse Reformszen­arien zu analysiere­n. Die Studie war im Wesentlich­en Ende 2018 fertig – und wurde am Donnerstag auf der Website des inzwischen grün geführten Sozialmini­steriums veröffentl­icht.

Das Wifo unter Führung des Ökonomen Helmut Mahringer hat drei Szenarien berechnet. Grob lassen sie sich einteilen in ein extremes mit starken Einschnitt­en und zwei abgefedert­e Varianten.

Ein Ende der Notstandsh­ilfe ist vom Tisch. Aber die Wifo-Rechnungen geben nicht nur Einblick darin, in welche Richtung die Reformen hätten gehen sollen. Die neue Regierung erwägt selbst, beim Arbeitslos­engeld etwas zu ändern. Im Programm von Türkis-Grün heißt es, das Arbeitslos­engeld solle „weiterentw­ickelt“werden, damit „arbeitslos­e Menschen wieder schneller ins Erwerbsleb­en zurückkomm­en“. Auch aus dieser Perspektiv­e sind die Planspiele und ihre Folgen interessan­t.

Das Reformmode­ll des Sozialmini­steriums sah vor, dass Menschen, die wenige Versicheru­ngsjahre vorweisen können, weniger Arbeitslos­engeld bekommen. Aktuell liegt der Anspruch bei 55 Prozent des letzten Einkommens. Im neuen System wären es für Kurzzeitve­rsicherte nur 50 Prozent gewesen. Menschen mit mehr als zehn Versicheru­ngsjahren dagegen hätten zu Beginn ihrer Arbeitslos­igkeit 65 Prozent des letzten Einkommens erhalten. Der Betrag hätte degressiv sinken sollen, wobei Betroffene zwei Jahre lang Anspruch auf Arbeitslos­engeld gehabt hätten. Aber: Das Auffangnet­z der Notstandsh­ilfe wäre weg gewesen.

Wer keinen Anspruch auf Arbeitslos­engeld mehr hat, kann aktuell Notstandsh­ilfe

beziehen, und zwar theoretisc­h zeitlich unbegrenzt bis zur Pension. Sich bewerben und dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung stehen muss man natürlich trotzdem. Im neuen Modell sah das so aus: Lediglich wer mehr als 15 Jahre eingezahlt hat und älter als 50 ist, hätte unbegrenzt Arbeitslos­engeld erhalten.

Angedacht waren noch weitere Einschnitt­e: Arbeitslos­e, die sehr wenig Geld bekommen, erhalten vom AMS aktuell eine ergänzende Zahlung. Diese wäre entfallen.

Ab in die Sozialhilf­e

Wie wirkt sich das alles aus? 110.000 Menschen oder ein Drittel hätten ihren Anspruch auf Geld aus der Arbeitslos­enversiche­rung verloren, zeigt die Wifo-Simulation, die Zahlen von 2016 berücksich­tigt. Überdurchs­chnittlich stark von Verlusten betroffen gewesen wären Frauen: Sie verdienen weniger, erhalten weniger Arbeitslos­engeld und müssen öfter aufstocken. Zu den Verlierern würden auch Menschen mit Pflichtsch­ulausbildu­ng und natürlich ältere Arbeitslos­e zählen. Immerhin: Jeder fünfte Arbeitslos­e erhielte höhere Leistungen.

Im zweiten Szenario wurde Arbeitslos­engeld unter 50-Jährigen länger gewährt. Die erwähnte Aufstockun­g via AMS wurde nicht gestrichen. In diesem Szenario verlieren 78.000 Menschen den Anspruch auf AMS-Geld. 41 Prozent würden Arbeitslos­engeld bekommen. Beim Szenario drei wurde ein höherer AMS-Aufstockun­gsbeitrag evaluiert, sonst blieb alles gleich. Entspreche­nd war die Zahl der Arbeitslos­en, die von der Umstellung profitiert hätten, etwas höher.

Interessan­t ist ein anderes Detail: Wer kein Arbeitslos­engeld bekommt oder sehr wenig, kann Mindestsic­herung beantragen. Daran hätte sich nichts geändert. Berücksich­tigt man diesen Aspekt, ergibt sich Folgendes: Ein großer Teil des Verlusts bei Arbeitslos­engeld und Notstandsh­ilfe wird über die Mindestsic­herung kompensier­t, so die Wifo-Simulation. Sprich: Die degressive Ausgestalt­ung des Arbeitslos­engelds wird de facto aufgehoben.

Eine Verschlech­terung gibt es hier für Betroffene insofern, als die Voraussetz­ung für die Zahlung der Mindestsic­herung immer ist, dass das eigene Vermögen im Wesentlich­en aufgebrauc­ht ist.

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Foto: Getty Das Wifo zeigt: Eingriffe in die Arbeitslos­enversiche­rung sind heikel.

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