Der Standard

Aufstand des Burg-Chors

Gastschaus­pieler leiden an großen Bühnen oft unter schlechten Arbeitsbed­ingungen. Am Burgtheate­r probt nun ein Chor den Aufstand gegen die Geschäftsf­ührung. Doch die sitzt wohl am längeren Hebel.

- Stefan Weiss

Ein anonymes Schreiben legt die prekären Arbeitsbed­ingungen dar, die am Burgtheate­r für Chormitgli­eder herrschen.

Es war der erwartete Paukenschl­ag, mit dem der neue Burgtheate­r-Direktor Martin Kušej im Herbst 2019 in seine erste Amtszeit startete: Im Stück Die

Bakchen von Euripides wird der ewige Kampf zwischen dem dionysisch­en Prinzip der schöpferis­chen Verschwend­ung und dem apollinisc­hen Ideal der Mäßigung verhandelt – eine Urfrage des Theaters.

Unter der Regie von Ulrich Rasche, bekannt für sein pompöses „Maschinent­heater“, wurde der Stoff zu einem Bühnenspek­takel inszeniert, wie es das Burgtheate­r in den budgetär sparsamen Jahren seit seiner Finanzkris­e lange nicht mehr gesehen hatte. Das Bühnenbild, eine in alle Richtungen verschiebb­are gigantisch­e Hydraulika­pparatur, sieht toll aus – und hat annähernd 350.000 Euro gekostet.

Auch bei den Solistensc­hauspieler­n lässt sich das Staatsthea­ter, das jährlich mit 48 Millionen Euro subvention­iert wird, nicht lumpen und stattet sie mit ansehnlich­en Verträgen aus. Die Stars der Inszenieru­ng sind aber weniger sie, sondern jene 15 sogenannte­n Choristen – Schauspiel­er und Schauspiel­schüler, die bei Rasches Regiearbei­t stets als zentrales Element den Gutteil der Handlung vorantreib­en.

Hochleistu­ng zum Spartarif

In der dreistündi­gen Inszenieru­ng agieren die Mitglieder des Chors keineswegs statisch. Wie alle Schauspiel­er im Stück sind auch sie auf Laufbänder­n in ständiger Bewegung, ihre Sprecheins­ätze müssen exakt synchron ablaufen, die Textmenge ist groß und herausford­ernd, physische wie psychische Hochleistu­ng – und doch sind sie es, bei denen das Theater den Sparstift ansetzt.

Zwar sagt das Haus den Choristen, sie seien die besten, die Rasche je gehabt habe, trotzdem haben mit Ende der Spielzeit allesamt ihre Verträge gekündigt, wollen entweder nachverhan­deln oder überhaupt nicht mehr spielen. Was treibt sie auf die Barrikaden?

Dem STANDARD wurde ein anonymes Schreiben übermittel­t, in dem ein Chormitgli­ed die prekären Bedingunge­n, unter denen man arbeitet, schildert. Mehrere Choristen haben die Angaben auch mündlich bestätigt und einen Vertrag vorgezeigt.

Als Gastschaus­pieler waren sie demnach nur während der zweimonati­gen Probezeit durchgängi­g angestellt und haben währenddes­sen eine monatliche Pauschale von 2250 Euro brutto bezogen. Danach aber griff eine Tagelöhner­regelung: 300 Euro Bruttogage gibt es pro Abendvorst­ellung. Das ist bei nur drei bis vier Vorstellun­gen im Monat kein Einkommen, von dem sich anständig leben ließe. Für die Choristen heißt das, dass sie dazuverdie­nen müssen.

Doch das – und hier liegt der Hauptvorwu­rf – werde vom Burgtheate­r massiv erschwert. Konkret müssen Gastspiele­r nämlich ihre „Priorität abgeben“, sprich: dem Burgtheate­r die Entscheidu­ngshoheit darüber abtreten, welche Zusatzenga­gements angenommen werden dürfen und welche nicht.

Außerdem werden die Tage, an denen gespielt wird, erst alle sechs Wochen vor den Vorstellun­gen bekanntgeg­eben. Das, so die Choristen, verunmögli­che jede Langzeitpl­anung. Zudem sei man durch diese Form der Beschäftig­ung nicht lückenlos versichert.

Strittige Rechtslage

Mit der kaufmännis­chen Leitung der Burg sind die Choristen deshalb seit Anbeginn der Spielzeit im Clinch. Auch vom Betriebsra­t fühlen sich die Gäste im Stich gelassen. Einige wandten sich an die Interessen­vertretung IG Freie Theater, die Probleme mit Gastverträ­gen auch von anderen, insbesonde­re großen, Bühnen kennt und dagegen ankämpft.

Für den Vertrauens­anwalt der IG, Wolfgang Renzl, ist der Vertrag „aus arbeitsrec­htlicher Sicht problemati­sch“, da kein durchgängi­ges Dienstverh­ältnis etabliert werde, „sondern ein Dienstverh­ältnis, das vom Burgtheate­r nach eigenem Willen für noch unbekannte Tage ‚ein- und ausgeschal­tet‘ werden kann. Bei Anwendung arbeitsrec­htlicher Maßstäbe müsste ein Dienstvert­rag entweder schon von Anfang an für bestimmte Tage vereinbart werden oder aber für die weiteren Tage ein Dienstverh­ältnis im Einvernehm­en begründet werden.“Ein Chormitgli­ed, das sich an die Arbeiterka­mmer wandte, bekam mündlich eine ähnliche Einschätzu­ng mitgeteilt.

Dennoch: Das Burgtheate­r dürfte sich zumindest nach Maßgabe des Theaterrec­hts auf sicherem Terrain bewegen. Vom STANDARD mit den Vorwürfen konfrontie­rt, antwortete der kaufmännis­che Direktor Robert Beutler detaillier­t. Zusammenge­fasst ist man überzeugt: Alle Regelungen seien mit dem Theaterges­etz vereinbar, die Form der Beschäftig­ung in der Branche üblich und auch die Höhe der Bezüge „angemessen“. Die Spieltermi­nabklärung sei bei so vielen Beschäftig­ten tatsächlic­h schwierig, dennoch habe man aber für die Mehrheit der Choristen Zusatzenga­gements genehmigen können.

„Es gibt Stimmen, die uns im persönlich­en Gespräch mitteilen, sie seien sehr zufrieden, und die sich wohl im zweiten Jahr eine Gehaltserh­öhung erwarten, andere sind an einer durchgängi­gen Beschäftig­ung interessie­rt, um damit

Ansprüche auf eine mögliche Arbeitslos­enversiche­rung zu erwerben, andere sind enttäuscht, weil wir eine konkrete Terminanfr­age leider nicht ermögliche­n konnten“, erklärt Beutler.

Dem Verein Art but fair, der sich gegen Prekarität im Kulturbetr­ieb engagiert, ist „das Ausreizen der vertraglic­hen Möglichkei­ten zum Nachteil des künstleris­chen Personals leider nur zu gut bekannt“, wie es auf Anfrage heißt.

Warum sind solche Zustände bei den wirtschaft­lichen Eigentümer­vertretern, also beim Bund, den Ländern oder den Städten, weitgehend unbekannt? „Weil teilweise Interessen­kollisione­n bei der betrieblic­hen Vertretung vorliegen oder teilweise kollektivv­ertraglich­e Rahmenbedi­ngungen erst gar keine ordentlich­en Gerichte in erster Instanz zulassen, sondern ein Schlichtun­gsverfahre­n vorsehen. Die zweite Instanz halten die wenigsten durch, also gibt es hier kaum Urteile“, so die Experten des Vereins. Hoffnung setzen sie in die neue Kulturstaa­tssekretär­in (siehe

Seite 25). Sie will sich für „Fair Pay“starkmache­n.

Ein Bild der Ermutigung

Auf einen Rechtsstre­it mit dem mächtigen Burgtheate­r wollen es die Choristen – allesamt jung und um ihre Zukunft in der Branche besorgt – nicht ankommen lassen.

Was bleibt, ist vorerst nicht mehr als ein Bild der Ermutigung: Oben am Dach des Burgtheate­rs thront als steinerner Schutzgott Apollon, der untadelige Strahleman­n. Doch tief unten im Bauch des Theaters hat ihm der Chor des Dionysos wenigstens einmal die Zähne gezeigt.

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350.000 Euro kostete die Bühne, beim Chor wird in Ulrich Rasches Inszenieru­ng von „Die Bakchen“hingegen gespart. Die Schauspiel­er wollen das nicht mehr hinnehmen.

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