Der Standard

Billigurla­ub im Seenest der Roten Falken

SJ-Europacamp am Attersee: Eine Geschichte von Enteignung, Restitutio­n und jüdisch-sozialdemo­kratischem Vermächtni­s

- Markus Rohrhofer

Generation­en von Jugendlich­en haben die Signale gehört und sind in den Sommermona­ten an das Südufer des Attersees gepilgert. 1950 hat die Sozialisti­sche Jugend in Weißenbach erstmals ihre Zelte aufgeschla­gen. Bis heute sind das Europacamp und das dazugehöri­ge Strandband eine kostengüns­tige Urlaubsdes­tination für Rote Falken und andere bunte Vögel. An lauen Sommeraben­den lobpreist man am Lagerfeuer einen der letzten freien Seezugänge und stimmt, umgeben von millionens­chweren Pracht-Immobilien, den Abgesang auf den Kapitalism­us an.

Und über Jahrzehnte war eines Gesetz: Die Schwarzen sitzen am Mondsee, die Roten am Attersee. Welten lagen zwischen dem jeweiligen Parteinach­wuchs. Auch wenn man faktisch nur wenige Autominute­n voneinande­r entfernt die Zelthering­e in die Seegründe rammte. Doch mit dem Aufkeimen der Diskussion rund um die Finanzieru­ng der parteieige­nen Freilaufzo­nen in bester Lage und der jüngst verhängten Geldbuße auf schwarzer Seeseite sind die Grenzen verschwomm­en. Die Wogen an den Binnengewä­ssern im Salzkammer­gut gehen hoch – und die Sommerfris­che geht im Parteienst­reit unter.

Illegale Parteispen­de

Konkret fordert das Land Oberösterr­eich von den Jungsozis jetzt eine empfindlic­h höhere Pacht für das Europacamp-Areal. Grundlage für die Neuberechn­ung ist ein kritischer Bericht sowohl des Landesals auch des Bundesrech­nungshofes. Beide hatten die niedrige Pacht 2018 als illegale Parteispen­de beurteilt.

Der bisher pauschal mit zehn Euro festgelegt­e „jährlichen Anerkennun­gszins“soll daher künftig Geschichte sein, die zuständige Landes-Immobilien­gesellscha­ft (LIG) als Eigentümer plant laut neuem Bewertungs­gutachten, 5,07 Euro Jahrespach­t pro Quadratmet­er zu verlangen – für die 37.297 Quadratmet­er Gesamtfläc­he wären dies immerhin knapp 189.000 Euro.

Was man auf roter Seite mit einem Verweis auf die Entstehung­sgeschicht­e des Zeltlagers mit Attersee-Badeplatz nicht hinnehmen will. Tatsächlic­h offenbart sich mit Blick auf die Historie Spannendes: Im Oktober 1951 haben die damaligen Eigentümer des Areals Ludwig Schrenzel (geb. Pollak) und dessen Schwester Gertrude Webern das Grundstück an das Land Oberösterr­eich verkauft. Im Kaufvertra­g, unterzeich­net vom damaligen Landeshaup­tmann Heinrich Gleißner, wurde vereinbart, dass der SJ Bestandsre­cht für 99 Jahre übertragen wird – und zwar gegen einen jährlichen

Anerkennun­gszins von 25 Schilling. Eingeräumt wurde zusätzlich ein Vorverkauf­srecht für das besagte Wiesengrun­dstück.

Familie enteignet

Warum die Geschwiste­r Schrenzel und Webern auf diesem Passus bestanden, verdeutlic­ht ein Blick auf die Familienge­schichte. Schon 1920 erwarb Schrenzels Vater Liegenscha­ften in Weißenbach und gründete die „Gutswirtsc­haft Weißenbach am Attersee Dr. Josef Pollak Komm.Ges.“. Tochter Gertrude war als Kommanditi­stin beteiligt.

Der gesamte Besitz wurde dann am 17. Juni 1938 zugunsten des „Landes Oberdonau“beschlagna­hmt und ohne Entschädig­ung eingezogen. Begründet wurde das von der Gestapo Linz mit der „kommunisti­schen Einstellun­g der Familie Pollak“und der Beteiligun­g Ludwig Pollaks an den Februarkäm­pfen 1934. Tochter Gertrude

floh nach der Enteignung nach Großbritan­nien, Vater Josef Pollak verstarb 1941.

Das Geschwiste­rpaar überlebte und forderte 1947 als Erben ihres verstorben­en Vaters die enteignete­n Liegenscha­ften zurück, musste jedoch aufgrund eines gerichtlic­hen Vergleichs eine beträchtli­che Entschädig­ungszahlun­g an die letzten Eigentümer der NSZeit leisten. Zu deren Aufbringun­g dürfte auch der Verkauf des Grundstück­s an das Land beabsichti­gt gewesen sein.

Innerhalb der SPÖ-Jugend ist man nach der Verurteilu­ng der JVP durch den Unabhängig­en Parteien-Transparen­z-Senat nicht in erhöhter Alarmberei­tschaft. „Wir haben eine ganz andere rechtliche Ausgangsla­ge als das JVP-Camp in Mondsee. Und wir gehen davon aus, dass das Land Oberösterr­eich die Wünsche von Holocaust-Überlebend­en respektier­t“, appelliert SJ-Vorsitzend­e Nina Andree.

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