Billigurlaub im Seenest der Roten Falken
SJ-Europacamp am Attersee: Eine Geschichte von Enteignung, Restitution und jüdisch-sozialdemokratischem Vermächtnis
Generationen von Jugendlichen haben die Signale gehört und sind in den Sommermonaten an das Südufer des Attersees gepilgert. 1950 hat die Sozialistische Jugend in Weißenbach erstmals ihre Zelte aufgeschlagen. Bis heute sind das Europacamp und das dazugehörige Strandband eine kostengünstige Urlaubsdestination für Rote Falken und andere bunte Vögel. An lauen Sommerabenden lobpreist man am Lagerfeuer einen der letzten freien Seezugänge und stimmt, umgeben von millionenschweren Pracht-Immobilien, den Abgesang auf den Kapitalismus an.
Und über Jahrzehnte war eines Gesetz: Die Schwarzen sitzen am Mondsee, die Roten am Attersee. Welten lagen zwischen dem jeweiligen Parteinachwuchs. Auch wenn man faktisch nur wenige Autominuten voneinander entfernt die Zeltheringe in die Seegründe rammte. Doch mit dem Aufkeimen der Diskussion rund um die Finanzierung der parteieigenen Freilaufzonen in bester Lage und der jüngst verhängten Geldbuße auf schwarzer Seeseite sind die Grenzen verschwommen. Die Wogen an den Binnengewässern im Salzkammergut gehen hoch – und die Sommerfrische geht im Parteienstreit unter.
Illegale Parteispende
Konkret fordert das Land Oberösterreich von den Jungsozis jetzt eine empfindlich höhere Pacht für das Europacamp-Areal. Grundlage für die Neuberechnung ist ein kritischer Bericht sowohl des Landesals auch des Bundesrechnungshofes. Beide hatten die niedrige Pacht 2018 als illegale Parteispende beurteilt.
Der bisher pauschal mit zehn Euro festgelegte „jährlichen Anerkennungszins“soll daher künftig Geschichte sein, die zuständige Landes-Immobiliengesellschaft (LIG) als Eigentümer plant laut neuem Bewertungsgutachten, 5,07 Euro Jahrespacht pro Quadratmeter zu verlangen – für die 37.297 Quadratmeter Gesamtfläche wären dies immerhin knapp 189.000 Euro.
Was man auf roter Seite mit einem Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Zeltlagers mit Attersee-Badeplatz nicht hinnehmen will. Tatsächlich offenbart sich mit Blick auf die Historie Spannendes: Im Oktober 1951 haben die damaligen Eigentümer des Areals Ludwig Schrenzel (geb. Pollak) und dessen Schwester Gertrude Webern das Grundstück an das Land Oberösterreich verkauft. Im Kaufvertrag, unterzeichnet vom damaligen Landeshauptmann Heinrich Gleißner, wurde vereinbart, dass der SJ Bestandsrecht für 99 Jahre übertragen wird – und zwar gegen einen jährlichen
Anerkennungszins von 25 Schilling. Eingeräumt wurde zusätzlich ein Vorverkaufsrecht für das besagte Wiesengrundstück.
Familie enteignet
Warum die Geschwister Schrenzel und Webern auf diesem Passus bestanden, verdeutlicht ein Blick auf die Familiengeschichte. Schon 1920 erwarb Schrenzels Vater Liegenschaften in Weißenbach und gründete die „Gutswirtschaft Weißenbach am Attersee Dr. Josef Pollak Komm.Ges.“. Tochter Gertrude war als Kommanditistin beteiligt.
Der gesamte Besitz wurde dann am 17. Juni 1938 zugunsten des „Landes Oberdonau“beschlagnahmt und ohne Entschädigung eingezogen. Begründet wurde das von der Gestapo Linz mit der „kommunistischen Einstellung der Familie Pollak“und der Beteiligung Ludwig Pollaks an den Februarkämpfen 1934. Tochter Gertrude
floh nach der Enteignung nach Großbritannien, Vater Josef Pollak verstarb 1941.
Das Geschwisterpaar überlebte und forderte 1947 als Erben ihres verstorbenen Vaters die enteigneten Liegenschaften zurück, musste jedoch aufgrund eines gerichtlichen Vergleichs eine beträchtliche Entschädigungszahlung an die letzten Eigentümer der NSZeit leisten. Zu deren Aufbringung dürfte auch der Verkauf des Grundstücks an das Land beabsichtigt gewesen sein.
Innerhalb der SPÖ-Jugend ist man nach der Verurteilung der JVP durch den Unabhängigen Parteien-Transparenz-Senat nicht in erhöhter Alarmbereitschaft. „Wir haben eine ganz andere rechtliche Ausgangslage als das JVP-Camp in Mondsee. Und wir gehen davon aus, dass das Land Oberösterreich die Wünsche von Holocaust-Überlebenden respektiert“, appelliert SJ-Vorsitzende Nina Andree.