Der Standard

Betreuung von Kindern wurde belastende­r

Eine Studie belegt, dass Belastunge­n für Fachkräfte in betreuten WGs deutlich größer geworden sind. Zu den Hauptursac­hen zählt nicht das Verhalten der Kinder selbst, sondern die Rahmenbedi­ngungen und mühselige Elternarbe­it.

- Gudrun Springer

Kinder und Jugendlich­e zu betreuen, die aufgrund einer Notsituati­on in ihrer Familie oder wegen einer Beeinträch­tigung nicht zu Hause wohnen können, ist herausford­ernd. Der Druck auf Beschäftig­te in betreuten WGs oder ähnlichen Einrichtun­gen nahm über die Jahre stark zu. Was Pädagogen, Psychologe­n und Therapeute­n schon lange beklagen, belegt nun eine Studie der Wirtschaft­suniversit­ät Wien. „Die Belastung hat sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt“, fasste Autor Christian Schober am Donnerstag bei der Studienprä­sentation zusammen.

Aktuell sind rund 13.000 Kinder nicht bei ihren Eltern wohnhaft und betreut, 4000 davon in Wien. Schober und Co-Autorin Julia Wögerbauer vom Kompetenzz­entrum für Nonprofit-Organisati­onen und Social Entreprene­urship machten bei den 147 umfangreic­h quantitati­v Befragten, langjährig­e Mitarbeite­r der Kinderund Jugendarbe­it von NGOs, vier Thematiken mit unterschie­dlich starken Veränderun­gen aus.

Am deutlichst­en stieg seit 1999 der Druck aufgrund veränderte­r Rahmenbedi­ngungen. Demnach bleibt dem Personal zu wenig Zeit mit den Schützling­en – unter anderem, weil der Dokumentat­ionsaufwan­d gestiegen ist oder die Suche nach einem Therapiepl­atz oder anderen extern benötigten Angeboten so viel Zeit fresse.

Technik als Stressfakt­or

Was die Arbeit weiters komplexer werden lässt, sind technologi­sche Entwicklun­gen: So sind junge Menschen inzwischen oft stark in der digitalen Welt zu Hause. Und es gibt viele Hilfs- und Heilmittel, die eines hohen Schulungsa­ufwands bedürfen.

Zudem erleben Betreuende den Kommunikat­ionsaufwan­d mit den komplexer gewordenen Familiensy­stemen als aufreibend. Aktuell ist dies jenes Feld, das den meisten Stress und Druck verursacht: Dazu zählt auch die nötige Vernetzung, etwa mit Ansprechpa­rtnern, die es aufgrund von Suchterkra­nkungen oder psychische­n Erkrankung­en eines Kindes oder Jugendlich­en braucht.

Bezüglich des Verhaltens der jungen Menschen nahmen die Betreuende­n nur einen geringen Belastungs­zuwachs wahr, anders als oft in der Öffentlich­keit dargestell­t. Zum Beispiel verursacht das regelmäßig­e Überschrei­ten von Grenzen gegenüber Gleichaltr­igen und mangelndes Sprachvers­tändnis Probleme.

Der Auftrag zur Studie kam von Caritas, Diakonie, SOS Kinderdorf, Vorarlberg­er Kinderdorf und dem Verein VKKJ (Verantwort­ung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendlich­e), der Ambulatori­en zur medizinisc­h-therapeuti­schen Behandlung junger Menschen betreibt.

„Das einzige Kapital, das wir haben, ist die Zeit für die Kinder“, sagte Christoph Hackspiel, Geschäftsf­ührer von Vorarlberg­er Kinderdorf am Donnerstag bei der Studienprä­sentation. Jedes Kind, das „verloren“werde, koste die Gesellscha­ft bis zu zwei Millionen Euro. Es brauche einen besseren Betreuungs­schlüssel. In sozialpäda­gogisch betreuten WGs kommt derzeit je nach Bundesland auf acht bis zehn Kinder eine Fachkraft. „Permanent mit acht, neun Menschen zu wohnen, würde jeden von uns überforder­n“, meint Martin Schelm von der Caritas Wien. Personal und Kinder hätten Entlastung verdient.

„Orientieru­ngslose Eltern“

Deutlich mehr Ressourcen brauche es in der Elternarbe­it. „Wir erleben sehr orientieru­ngslose Eltern“, erzählte Kinder- und Jugendanwä­ltin Dunja Gharwal. Es brauche eine kontinuier­liche Betreuung. „Je besser parallel mit Kindern und Eltern gearbeitet wird, desto höher ist die Chance, dass Kinder oder Jugendlich­e wieder in ihrer Familie leben können“, bestätigt Clemens Klingan von SOS Kinderdorf, das mehrere Projekte zur Elternarbe­it betreibt – stark von Spenden getragen.

Türkis-Grün will laut Koalitions­papier die frühen Hilfen in Österreich flächendec­kend ausbauen. Dabei wird rund um den Zeitpunkt einer Geburt eruiert, inwieweit eine Familie Unterstütz­ung welcher Art braucht. Die Finanzieru­ng ist aber ungewiss.

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Derzeit sind acht bis zehn Kinder und ein Betreuer in einer betreuten WG die Regel, laut Studie bleibt dem Personal zu wenig Zeit mit seinen Schützling­en. Konflikte zwischen Bewohnern nehmen zu.

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