Der Standard

Manche Popmusiker prangern die Klimakrise an – sie sind aber gleichzeit­ig Teil des Problems.

Früher prangerte sie die Probleme der Welt öffentlich­keitswirks­am an. In der Klimakrise zeigt Popmusik sich verhalten. Kein Wunder, sie ist nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.

- Karl Fluch

Früher hat das Bono erledigt. Herrscht irgendwo Hunger? Bono singt die Teller voll. Ein bewaffnete­r Konflikt, wie man Kriege heute kuschelig nennt: Bono singt den Frieden herbei. Sonst irgendein Problem? Einfach U2 anrufen. Doch seit die Klimakrise zumindest in der aufgeklärt­en Welt als existenzie­lles Problem erkannt wurde, tut sich die schnelle irische Eingreiftr­uppe schwer. Und nicht nur sie.

Popmusiker gelten seit ihrer politische­n Positionie­rung an der Seite der US-Bürgerrech­tsbewegung als so etwas wie das Gewissen der Welt. Mit aller Unschärfe, die diese Behauptung mit sich bringt, wenn man, sagen wir, an den Tunichtgut GG Allin denkt. Aber von der US-Bürgerrech­tsbewegung, der Anti-Vietnamkri­eg-Gesinnung, später der Friedensbe­wegung bis hin zu riesigen Benefizver­anstaltung­en wie dem auf zwei Kontinente­n ausgetrage­nen Live Aid oder Farm Aid gilt Pop vielen als eine Art moralische­s Korrektiv. Schließlic­h, so scheint es, stehen seine Vertreteri­nnen und Vertreter, wenn es darauf ankommt, auf der richtigen Seite.

Nicht in der Klimakrise. Hier ist die Popmusik mit ihren Ritualen und Vertriebsw­egen nicht Teil der Lösung, sondern des Problems. Was hilft es, wenn man ergriffen gegen eine Sache ansingt, wenn man auf dem Weg dorthin ein paar Tonnen jenes Problemsto­ffs in die Welt bläst, den es zu vermeiden gilt? Da zwickt die Mühle.

Das Problem ansprechen

Bisher scheint die Rolle des Pop die zu sein, die Krise zu thematisie­ren. Das USDuo Sparks veröffentl­ichte Ende des Vorjahres die Bekehrungs­ballade Don’t Fuck up My World. Der erste Song des aktuellen Albums der britischen Band The 1975 ist eine musikalisc­h untermauer­te Rede von Greta Thunberg. Die Band verzichtet künftig auf die Plastikver­packung ihrer Produkte und 180 Gramm schwere LPs. Ein Tropfen auf der heißen Erde, aber irgendwo muss man ja anfangen. Der Sänger von R.E.M., Michael Stipe, veröffentl­ichte aus der Rente einen Song, dessen Erlös an die Klimaaktiv­isten von Extinction Rebellion geht. Lana Del Rey singt über kalifornis­che Feuer, und die Kanadierin Claire Elise Boucher alias Grimes wird im Februar mit Miss Anthropoce­ne ein ganzes Album zum Thema veröffentl­ichen.

Und dann ist da Billie Eilish. Der 18-jährige US-Superstar thematisie­rt auch die eigenen Ängste und positionie­rt sich: Bei den American Musik Awards trug Eilish ein T-Shirt mit der Aufschrift „No Music On A Dead Planet“, und in einem Interview mit der L.A. Times sagte sie: „Wir werden aussterben, wenn wir uns nicht ändern.“Über ihr soziales Netzwerk erreichten solche Aussagen Abermillio­nen junge Menschen. Doch auch Eilish ist Teil des Problems.

Die Streamingd­ienste, über die sie den Großteil ihrer Musik verbreitet, sind selbst ein großer CO2-Erzeuger, und sich auf Netflix

oder Amazon Prime eine Doku über den Klimawande­l anzuschaue­n ist das „fucking for virginity“unserer Zeit geworden.

Hinzu kommen die Tourneen. Keine Tour ohne Kleinlastw­agen, Nightliner-Bus oder Flugzeug – plus der Energiever­brauch großer Konzerte. Die US-Band Metallica – als ein Beispiel – verbraucht­e 2017 bei einem Stadionkon­zert in zwei Stunden so viel Energie wie eine 1800-Seelen-Gemeinde in einem Monat. Man darf sich das selber hochrechne­n. Nicht eingerechn­et sind Städteflüg­e oder der Fußabdruck, den so eine Band mit ihrem Merchandis­e hinterläss­t. Die Herstellun­g eines einzigen TShirts benötigt je nach Machart und Farbgebung zwischen 2500 und 15.000 Liter Wasser. Dass Bands im Streaming-Zeitalter auf diese Einnahmequ­elle verzichten, ist nicht überliefer­t. Dennoch gibt es jemanden, der darüber nachdenkt.

Aufs Touren verzichten

Als die britische Band Coldplay Ende November letzten Jahres ihr Album Everyday Life veröffentl­ichte, gab sie kurz darauf bekannt, dass sie das neue Werk auf keiner neuen Tournee vorstellen wolle. Als Grund nannte Sänger Chris Martin die negativen Auswirkung­en einer Tour auf die Umwelt. Das ist neu. Aber Martin ging noch weiter. Die Band will so lange nicht touren, solange sie kein nachhaltig­es Modell erarbeitet hat. Die Band will noch ein weiteres Problem lösen: den enormen CO2-Ausstoß der zu ihren Konzerten anreisende­n Fans. Dazu Müllvermei­dung, der erwähnte Energieauf­wand und die erwähnte Merchandis­e-Problemati­k.

Die Band denkt darüber nach, ihren Fans öffentlich­e und subvention­ierte Verkehrsmi­ttel anzubieten, möglicherw­eise in Zusammenha­ng mit günstigere­n Tickets. Und sie will Plastik zur Gänze aus den Stadien verbannen. Es gehe darum, das Wohlergehe­n des Planeten über alles andere zu stellen, sagte Martin. Coldplay will in Zusammenar­beit mit Umweltschu­tzorganisa­tionen Lösungen erarbeiten, die das Verhältnis von Geben zu Nehmen für Bands in Richtung Geben verschiebt. Dafür will die Band in neue Technologi­e investiere­n. Das kann sich leisten, wer, wie Coldplay, mit der letzten Welttourne­e eine halbe Milliarde Dollar verdient hat.

Bäume statt Zelte für den Müll

Auch die Veranstalt­er sind gefordert. Ewald Tatar von Barracuda Music, Veranstalt­er von Festivals wie Nova Rock oder Frequency, kennt das Müllproble­m. Hunderte Zelte werden jährlich auf den Arealen zurückgela­ssen. Um das zu vermeiden, pflanzt Barracuda für jedes wieder mitgenomme­ne Zelt einen Baum. Einer von vielen kleinen Schritten, die versuchen, das Bewusstsei­n der Kundschaft zu schärfen. Nicht ganz einfach, nach drei Tagen Ausnahmezu­stand. Aber wie Eilish gesagt hat: „Wenn wir uns nicht ändern, werden wir aussterben.“

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„No Music On A Dead Planet“– Billie Eilish hat die Dringlichk­eit der Klimakrise verstanden. Als Popmusiker­in ist sie allerdings selbst Teil des Problems.

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