Der Standard

Klimaziele sind ohne Schulden unerreichb­ar

Die neue Regierung will am Nulldefizi­t festhalten. Aber ohne die Fiskalrege­ln umzuwerfen, wird sich das Klimaschut­zprogramm nicht umsetzen lassen. Ein Transforma­tionsfonds könnte auf EU-Ebene dabei helfen.

- Stephan Schulmeist­er

Die neue Regierung hat das ehrgeizigs­te Klimaschut­zprogramm aller EU-Länder: Strom soll bereits 2030 nur aus erneuerbar­en Quellen stammen. Zehn Jahre später emittiert Österreich netto keine Treibhausg­ase mehr, ist also „klimaneutr­al“.

Der Staat agiert als ökologisch­es Vorbild bei Gebäuden (thermische Sanierung, Photovolta­ik) und im Verkehr (emissionsf­reier Fuhrpark). Beim gesamten Gebäudebes­tand wird die Sanierungs­rate auf drei Prozent pro Jahr mehr als verdreifac­ht, Heizen mit Kohle, Erdöl und Erdgas wird schrittwei­se ausgemerzt. Der „Koppelung von Klima- und Kreislaufw­irtschafts­strategie“dient auch eine „Wasserstof­fstrategie“, insbesonde­re für emissionsi­ntensive Sektoren wie Stahl, Chemie, Zement und Abfallwirt­schaft, die Österreich zur „Wasserstof­fnation Nummer 1“machen soll. Der öffentlich­e Nah- und Fernverkeh­r wird auf Stundentak­t erweitert und seine Benützung durch das „1-2-3-Österreich-Ticket“verbilligt. Zusätzlich gibt es je eine „Öffi-Milliarde“für den Nah- beziehungs­weise Regionalve­rkehr.

Zahlreiche Hürden

Wie all dies erreicht werden soll, bleibt offen. Nur in einem Punkt wird das Programm konkret: „100 Prozent Strom aus Erneuerbar­en bedeutet einen Zubau von rund 27 TWh (Terawattst­unden). Zielsetzun­g ist, bis 2030 eine Photovolta­ikerzeugun­gskapazitä­t von elf TWh zuzubauen, bei Wind beträgt das Ausbauziel zehn TWh, bei Wasserkraf­t fünf TWh (...) und bei Biomasse eine TWh.“Was bedeutet dies konkret?

Eine Photovolta­ikanlage für ein Einfamilie­nhaus liefert 5000 KWh pro Jahr und kostet circa 10.000 Euro. Für elf TWh müssten 2,2 Millionen solcher Anlagen mit Gesamtkost­en von 22 Milliarden Euro errichtet und mit drei bis vier Milliarden Euro gefördert werden. Außerdem müssten die Stromnetze ausgebaut (um drei bis fünf Milliarden Euro) oder – noch teurere – Speicherme­dien angeschaff­t werden. Photovolta­ikanlagen liefern ja dann den meisten Strom, wenn er wenig benötigt wird – im Hochsommer.

Zur Windenergi­e: In 20 Jahren wurden in Österreich 1313 Großanlage­n mit einer durchschni­ttlichen Produktion von 5331 MWh errichtet. Für zehn TWh braucht es zusätzlich 1876 solcher Anlagen für circa sieben Milliarden Euro. Eine Anlage kostet im Schnitt 3,7 Millionen Euro.

Der Investitio­nsbedarf bei Wasserkraf­t lässt sich am Beispiel des neuen Kraftwerks Graz-Puntigam verdeutlic­hen: Dieses soll 82 GWh liefern – für fünf TWh werden 61 zusätzlich­e Kraftwerke dieser Größe benötigt. Hoch sind die Hürden auf diesem Weg, sowohl aus technische­n Gründen – die Möglichkei­ten der Wasserkraf­t sind weitgehend ausgeschöp­ft – als auch wegen des Widerstand­s der – besonders „grünen“– Bevölkerun­g. Mehr Energie einzuspare­n wäre am besten, doch der Umstieg auf Elektromob­ilität setzt dem Grenzen.

Dennoch: Die Transforma­tion des Systems in eine klimaneutr­ale Kreislaufw­irtschaft ist alternativ­los. Die dafür nötigen Staatsausg­aben sind gigantisch, sie können nicht aus dem laufenden Haushalt finanziert werden. Wie Unternehme­n Großprojek­te durch

Kredit (vor)finanziere­n, so muss dies auch der Staat tun (dürfen). Doch fiskalpoli­tische Ziele wie das Nulldefizi­t und die Senkung der Staatsquot­e blockieren dies.

So wurden Jahrzehnte im Kampf gegen die Erderwärmu­ng verloren. Die Erfinder der Fiskalrege­ln hatten nämlich das Wesen öffentlich­er Güter übersehen. Private Güter werden auf Märkten erworben, ihr Konsum durch einen Käufer schließt den Konsum durch andere aus. Nach dem Motto: Das Bier, das ich trinke, kann kein anderer trinken. Öffentlich­e Güter wie innere Sicherheit, Infrastruk­tur, Umwelt oder sozialer Zusammenha­lt hingegen nützen allen: Der Konsum durch einen schließt den Konsum durch alle anderen nicht aus. Die Folge: Dafür zahlt niemand einen Preis, weder für innere Sicherheit noch für ein „lebbares“Klima. Daher bieten Unternehme­r solche Güter nicht an, es liegt systemisch­es Marktversa­gen vor. Also muss der Staat für öffentlich­e Güter sorgen. Doch die Fiskalrege­ln diskrimini­eren systematis­ch die Produktion dieser Güter gegenüber privaten nach der Devise „Mehr privat, weniger Staat“.

Ein Unternehme­r darf natürlich eine Investitio­n auf Kredit tätigen und eine junge Familie ein Haus bauen. Sie werden es tun, wenn die erwartete Rendite höher ist als die Zinskosten. Der Staat darf aber keine Schulden machen, selbst wenn die gesellscha­ftliche Rendite ein x-Faches der Zinsen beträgt – wie bei allen Klimaschut­zmaßnahmen. Gleichzeit­ig bilden öffentlich­e Güter das Fundament einer Marktwirts­chaft und sind daher wichtiger als private Güter. Ihre Vernachläs­sigung seit den 1980ern hat katastroph­ale Folgen in Gestalt des Klimawande­ls, aber auch des Verlusts des sozialen und europäisch­en Zusammenha­lts.

Österreich­s Vorreiterr­olle

Jetzt gilt es, das Schlimmste abzuwenden, und Österreich übernimmt dabei die Vorreiterr­olle: Der Staat investiert bis 2040 in die Transforma­tion Richtung Kreislaufw­irtschaft 200 Milliarden Euro (50 Prozent des BIP), und zwar auf Kredit bei Inländern. Die bewusste Übertretun­g der Fiskalrege­ln wird der EU erklärt, diese schätzt selbst, dass ihr Green New Deal 20 Prozent des BIP kostet, sie wäre aus den laufenden Einnahmen unfinanzie­rbar. Ergebnis: Die Österreich­er leben in einer besseren Welt ohne höhere Schulden (jene des Staates sind ausgeglich­en durch die Anleihewer­te seiner Gläubiger). Wenn wir uns aber an die Fiskalrege­ln halten, gibt’s keine Transforma­tion und die

Schulden wären höher, weil das Wachstum ohne die Öko-Investitio­nen geringer ausfiele.

Die Lösung auf EU-Ebene wäre noch einfacher: Ein „Europäisch­er Transforma­tionsfonds“finanziert die Öko-Investitio­nen der EUStaaten, er selbst refinanzie­rt sich bei der EZB, die Kreditgeld zu Kosten von null erzeugt. Die neoliberal­e Vorstellun­g, dies müsse die Inflation anheizen, wurde durch die Geldschwem­me der letzten Jahre widerlegt. Überdies ist nunmehr die Geldschöpf­ung an reale Investitio­nen gebunden, wird also die Ökologisie­rung und nicht die Aktienkurs­e beflügeln.

Wenn das große Werk – in etwa 50 Jahren – gelungen ist, schenkt der Transforma­tionsfonds den Mitgliedst­aaten ihre Schulden, er wird aufgelöst, die EZB hat ein negatives Eigenkapit­al von ein paar Billionen Euro durch den Ausfall ihrer Forderunge­n an den Fonds, dieses wird durch eine „Neustartbi­lanz“entsorgt: Europa ist ökologisch und sozial saniert, und niemand hat höhere Schulden.

Geld ist nie knapp, eher der konkrete Verstand.

STEPHAN SCHULMEIST­ER ist Universitä­tslektor und Wirtschaft­sforscher. In „Der Weg zur Prosperitä­t“analysiert er die systemisch­en Ursachen der Wirtschaft­sund Klimakrise.

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Ohne Geld kein Klimaschut­z. Wenn der Finanzmini­ster nicht mitspielt, wird es nichts mit dem grünen Ökovorbild­land Österreich.

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