Der Standard

Pensionsan­spruch teilen

Der türkis-grüne Regierungs­pakt sieht ein automatisc­hes Pensionssp­litting vor, damit Frauen die Kindererzi­ehung abgegolten wird. Ein Mittel gegen Altersarmu­t – oder doch ein Anreiz, daheim am Herd zu bleiben?

- Gerald John

Immer noch praktizier­en nur wenige Paare mit Kindern Pensionssp­litting, das Frauen oft Altersarmu­t ersparen würde.

Markus Terrant zauderte nicht lange. Eben erst hat er im STANDARD über die Möglichkei­t des Pensionssp­littings gelesen, da war der Beschluss gefasst: Der Familienva­ter will seiner Partnerin einen Teil der eigenen Pensionsan­sprüche überschrei­ben. Weil die Lebensgefä­hrtin wegen der beiden Kinder viel länger daheim blieb und nun nur geringfügi­g arbeitet, erzählt er, „fühle ich mich moralisch verantwort­lich“.

Seltsam findet Terrant aber, dass Paaren die Entscheidu­ng aufgebürde­t werde. Wie komme etwa eine Frau dazu, ihren Mann erst bitten zu müssen? Der Staat, sagt er, sollte das Modell zur Pflicht machen.

Ein Teil der Koalitions­verhandler sah das genauso. Im türkis-grünen Pakt findet sich der Plan, das Pensionssp­litting, das bis dato nur in einer wenig genutzten freiwillig­en Variante existiert (siehe Wissen), für Eltern zum Standard zu machen. Bis das gemeinsame Kind zehn Jahre alt ist, sollen die Pensionsan­sprüche addiert und halbe-halbe auf beide Partner aufgeteilt werden.

Sinn der Sache: Jener Elternteil, der für die Kinder beruflich zurückstec­kt, soll finanziell abgegolten werden. Bisher sorgt nur der Staat für eine Kompensati­on, indem für vier Jahre pro Kind ein fiktives Monatseink­ommen von 1923 Euro (zwölfmal im Jahr) am Pensionsko­nto gutgeschri­eben wird. Nun soll auch innerhalb der Partnersch­aften ein Ausgleich stattfinde­n.

Allerdings bremst der Sozialmini­ster. Ob das Splitting automatisc­h passieren soll, sei noch nicht ausgemacht, offenbarte Rudolf Anschober (Grüne) eine eigenwilli­ge Interpreta­tion des Regierungs­pakts. Hintergrun­d: Manche Grüne teilen Bedenken, wie sie die opposition­elle SPÖ offen ausspricht. Die vier Jahre Kinderersa­tzzeiten seien genug Ausgleich, sagt Frauenspre­cherin Gabriele Heinisch-Hosek: Komme nun ein automatisc­hes Splitting als Anreiz dazu, könnten Frauen von der Rückkehr ins Arbeitsleb­en abgehalten werden.

Ist da was dran? Christine Mayrhuber bezweifelt das. Erstens könnte man nach dieser Logik auch die Kinderersa­tzzeiten für nachteilig halten, zweitens würden Frauen ihren Entschluss eher nicht davon abhängig machen, wie hoch die Pension in 35 Jahren sein wird, sagt die Expertin vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut (Wifo): Entscheide­nder sei, ob es einen Job, Kinderbetr­euung und finanziell­e Notwendigk­eit gibt.

Mayrhuber sieht hinter dem automatisc­hen Splitting einen kleinen Schritt, der für Frauen aber jedenfalls Vorteile bringe – und deren Partner zum Mitdenken zwinge, wie die Kinderbetr­euung zu stemmen ist: „Bisher waren die Männer da außen vor.“

Kindererzi­ehung ist Frauensach­e: Was nach einem antiquiert­en Familienbi­ld klingt, weisen Daten in Österreich als hochaktuel­le Realität aus. Es sind zu 96 Prozent Mütter, die hierzuland­e Kinderbetr­euungsgeld beziehen. 39 Prozent der Frauen mit Nachwuchs unter 15 Jahren haben laut Statistik Austria wegen der Betreuungs­pflichten ihre Erwerbsarb­eit reduziert. Von den Männern taten dies nur fünf Prozent.

Teilzeit als Einkommens­killer

Fast die Hälfte der erwerbstät­igen Frauen arbeitet Teilzeit, also unter 35 Stunden pro Woche, gegenüber elf Prozent bei den Männern. Weniger Arbeitsstu­nden plus – daraus resultiere­nd – geringere Karrierech­ancen dämpfen den Verdienst, was sich analog im Alter fortpflanz­t: Die Bruttojahr­eseinkomme­n und Alterspens­ionen der Frauen liegen im Schnitt um jeweils 37 Prozent unter jenen der Männer (siehe Grafik). 70 Prozent aller armutsgefä­hrdeten Personen über 65 sind weiblich.

Das Splitting kann für Frauen vor allem im Fall einer Trennung einen Unterschie­d machen; für Partner mit gemeinsame­r Kasse hingegen ändert sich de facto wenig, denn das Modell verteilt ja nur um, erhöht den Bezug aber nicht insgesamt. Allerdings gilt für Pensionist­innen mit besonders kleinen Bezügen: Wer auch dank Umverteilu­ng nicht über die Ausgleichs­zulage von derzeit 966,65 Euro kommt, hat vom Splitting nichts, weil die Pension ohnehin auf dieses Niveau aufgestock­t wird. Der Mann hat dann umsonst einen Teil seiner Ansprüche abgezwackt, was für Paare ein Nachteil ist.

Das Splitting sei mehr für die Mittelschi­cht gemacht, sagt OECD-Experte Christophe­r Prinz, was aber nichts am Nutzen der Idee ändere: „Sie steigert das Interesse der Männer, für Kinderbetr­euung zu sorgen und ihre Frauen beim Wiedereins­tieg in den Beruf zu unterstütz­en.“Sinn ergebe die Übung nur verpflicht­end, weil sonst gerade jene Väter außen vor blieben, deren Frauen wohl sagen würden: „Da brauch ich meinen Mann gleich gar nicht zu fragen.“

Letztlich aber lindere die Aufteilung der Pensionsan­sprüche eher nur die Folgen, als das Problem an sich zu beheben: „Es ist eine gesellscha­ftliche Katastroph­e, wie das Potenzial gut ausgebilde­ter Frauen, so bald sie Kinder haben, in Teilzeitjo­bs am Niedrigloh­nsektor vergeudet wird.“Um das zu ändern, empfiehlt Prinz den massiven Ausbau des öffentlich­en Angebots an Kinderbetr­euung und Pflegedien­sten sowie eine radikale Reform des Kinderbetr­euungsgeld­es. Prinzip: Jeder Elternteil hat Anrecht auf eine Hälfte bezahlter Karenzzeit – nimmt einer diese nicht in Anspruch, verfällt sie. So bliebe die Aufgabe, sich um den Nachwuchs zu kümmern, nicht a priori an den Frauen hängen.

Keine gottgegebe­ne Arbeitstei­lung

Zu letzterer Frage bietet das Regierungs­programm keine Antworten, sehr wohl aber zu den ersten beiden Punkten. Mit 10.000 neuen Kinderbetr­euungsplät­zen verspreche­n ÖVP und Grüne einen Ausbau in einer enormen Dimension, und das Pflegekonz­ept ist in den Augen des Experten schlüssig, innovativ und ambitionie­rt – alles natürlich unter der Voraussetz­ung, dass letztlich genug Geld dafür da ist.

Aber was, wenn es die Familien nicht anders wollen? Umfragen legen nahe, dass die große Mehrheit freiwillig Teilzeit gewählt hat. Nun könnte man einwenden, dass eine freie Wahl nicht wirklich existiere, solange es an Kinderbetr­euung und Pflegeange­bot mangle. „Aber natürlich ist Österreich auch ein strukturko­nservative­s Land“, sagt Prinz und verweist auf nordische Staaten als Beispiele dafür, dass die heimische Arbeitstei­lung „nicht gottgegebe­n“sei: In Finnland oder Dänemark etwa ist Vollzeit für beide das Modell erster Wahl der Eltern.

„Splitter“Markus Terrant und seine Frau passen hingegen in das klassische Bild. Es habe rein finanziell­e Gründe gehabt, warum seine Frau länger bei den Kindern blieb, sagt er, und auch bei der Frage der Rückkehr gehe es ums Geld: „Ein Platz in der Kinderkrip­pe kostet bei uns in Graz 300 Euro im Monat. Da fängt man zu rechnen an, ob sich mehr arbeiten auszahlt.“

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