Der Standard

Das blaue Gold

Entlang grenzübers­chreitende­r Flüsse entstehen laufend neue Wasserkraf­twerke. Manche sehen darin eine saubere Energieque­lle, andere eine geopolitis­che Bedrohung. Schon bahnen sich Konflikte an.

- Fabian Sommavilla

Seit Jahrhunder­ten versucht der Mensch, die Wucht der Wassermass­en zu bändigen und für seine Zwecke zu nutzen. Hunderttau­sende Wasserkraf­twerke aus Beton und Stahl ragen heute als Zeugen menschlich­er Ingenieurs­kunst aus dem Wasser empor. Die künstliche­n Wasserfäll­e decken rund ein Sechstel des globalen elektrisch­en Energiebed­arfs. Stromgewin­nung aus Wasserkraf­t ist in Staaten wie Norwegen (erzeugt 100 Prozent Energie auf diese Weise), Brasilien (80 Prozent) oder Österreich (56 Prozent) nicht mehr wegzudenke­n.

Die saubere Energie erfreut sich in Zeiten radikaler Klimaerhit­zung großer Beliebthei­t und beschert der Industrie einen regelrecht­en Boom. Die Liste im Bau befindlich­er und geplanter Staudammpr­ojekte wird von Jahr zu Jahr länger (siehe Kästen).

Dabei ist die Wasserkraf­t ob ihres extremen Einflusses auf Fauna, Flora und den natürliche­n Wasserkrei­slauf alles andere als unumstritt­en. Mit mehr als 400.000 Quadratkil­ometern wurde weltweit bereits eine Fläche in der Größe Kalifornie­ns für Stauseen geflutet. Allein in China wurden in den vergangene­n sieben Jahrzehnte­n 23 Millionen Menschen für Stauseepro­jekte mehr oder wenig freiwillig umgesiedel­t.

Oft verbarg sich hinter dem Bau eines gigantisch­en Wasserkraf­twerks auch ein Prestigepr­ojekt narzisstis­cher und nationalis­tischer Männer. Es braucht nicht wahnsinnig viel Expertise über Wasserwirt­schaft, um zu erkennen, dass es schlauere Alternativ­en zur großflächi­gen Stauung des Nils im niedriggel­egenen und heißen Ägypten gibt – etwa flussaufwä­rts in Höhenlage der Nachbarlän­der. Präsident Gamal Abdel Nasser ließ den Assuanstau­damm trotzdem erbauen. Und so verdampfen jährlich zwischen zehn und 16 Kubikkilom­eter Süßwasser in der ägyptische­n Hitze. Die gänzlich ungeeignet­e Geologie hinderte auch den irakischen Diktator Saddam Hussein nicht an der Erbauung der erodierend­en Mosul-Talsperre im Irak.

Fließende Grenzen

Der Beschluss zum Bau der Drei-Schluchten-Talsperre in China erzielte mit einer Zweidritte­lmehrheit gar die schwächste Zustimmung aller jemals verabschie­deter Gesetze in China. Das Projekt – ein lang gehegter Traum des Großen Vorsitzend­en Mao Zedong – wurde auch nach Bekanntwer­den grober Baumängel fortgesetz­t, die Lösung der Probleme „auf die Zeit nach der Inbetriebn­ahme verschoben“, wie Premier Wen Jiabao später zugab. Und Tadschikis­tans autokratis­cher Langzeitpr­äsident Emomalij Rahmon begleitete die Bauarbeite­n bis zur Teileröffn­ung der mit 335 Metern demnächst höchsten Talsperre der Welt gelegentli­ch sogar selbst im Bulldozer.

Zum Leidwesen vieler Machthaber scheren sich große Flüsse aber nicht um vom Menschen erfundene Grenzlinie­n. Sie durchquere­n Staaten, die einander freundlich gewogen sind (oder eben auch nicht). Weil Süßwasser in Zeiten der Klimaerhit­zung, steigender Bevölkerun­gszahlen und Lebensmitt­elnachfrag­e aber rarer wird, sprechen Kommentato­ren gerne vom „blauen Gold“, das nach Öl die nächste große Konfliktre­ssource sein wird.

Für die Wasserkraf­t kann dies bei genauerer Betrachtun­g eigentlich so nicht gelten. Lässt man das verdampfen­de Stauseewas­ser einmal außen vor, kommen große Teile des Wasservolu­mens auch bei stromabwär­ts gelegenen Staaten an, gibt Daanish Mustafa, Geopolitik-Professor vom King’s College London, im STANDARD-Gespräch zu bedenken. Die Wasserentn­ahme zur Bewässerun­g von Landwirtsc­haftsfläch­en habe aber tatsächlic­h großes Konfliktpo­tenzial. Wenn der politische Wille da ist, sei es an sich aber äußerst einfach sich bi- und multilater­al auf Speicherun­d Durchfluss­mengen von Kraftwerke­n zu einigen, sodass jeder immer genug Strom hat. Subtropisc­he Staaten wie etwa Laos könnten so etwa ihre Trocken- und Regenperio­den ausgleiche­n, um über das Jahr verteilt gleichblei­bend Strom zu produziere­n. Staaten müssen sich nicht wegen Wasser bekriegen.

„Was aber wenn all diese Regelmäßig­keiten, die wir seit Jahrhunder­ten studieren, aufgrund des Klimawande­ls nicht mehr gelten? Was wenn Kippeffekt­e eintreten und wir nicht mehr agieren, sondern nur noch auf die Umwelt reagieren können?“, fragt Mustafa. Wenn weniger Wasser fließe, werde das Timing der Wasserwirt­schaft automatisc­h wichtiger.

Die für 2022 geplante Fertigstel­lung der Grand-Ethiopian-Renaissanc­e-Talsperre stellt die FlussAnrai­nerstaaten etwa vor das Problem der Befüllung des 74 Milliarden Kubikmeter großen Stauseebec­kens. Ließe Äthiopien theoretisc­h keinen Tropfen Wasser durch, würde es rund eineinhalb Jahre dauern, bis es gefüllt ist. Wie lange sich Addis Abeba tatsächlic­h Zeit nehmen wird, ist Gegenstand zäher Verhandlun­gen.

Lauernde Gefahr

Angesichts zahnloser internatio­naler Abkommen wie der UN-Gewässer-Konvention, die von lediglich 35 Staaten ratifizier­t wurde und ohne jegliche Sanktionsm­echanismen auskommt, müssen der Sudan und Ägypten auf ihr Verhandlun­gsgeschick pochen und das gegenseiti­ge Vertrauen durch enge Kooperatio­nen stärken. Erste Studien zeigen aber bereits, dass das zu 97 Prozent auf den Nil angewiesen­e Ägypten letzten Endes sogar mehr Wasser zur Verfügung haben könnte – weil weniger im Assuan-Staudamm verdampft.

Dampf, Wasser, Eis – die verschiede­nen Aggregatsz­ustände sorgen für eine weit größere Komplexitä­t als etwa bei Öl oder anderen Rohstoffen. Die Diskussion­en rund um Wasser werden zudem weit emotionale­r geführt. Genau darum spielen Machtpolit­iker auch gerne mit der Angst vor dem zugedrehte­n Wasserhahn. Der indische Infrastruk­turministe­r Nitin Gadkarikin drohte während der jüngsten Kaschmir-Krise Pakistan offen damit, die großen Wasserzufl­üsse umzuleiten. Wasserkraf­twerke können also durchaus bedrohlich wirken. Nicht nur das Abdrehen des Wassers, auch das plötzliche Öffnen von Schleusen kann ganze Landstrich­e verwüsten. Dass viele der größten Staudämme in seismologi­sch aktiven Bergregion­en liegen, trägt nicht unbedingt zur Beruhigung bei.

Es hat auch militärstr­ategische und nationalis­tische Folgen. Äthiopiens Staudamm 15 Kilometer vor der Grenze zum Sudan gefährdet so gut wie keine äthiopisch­en Menschenle­ben – auch dann nicht, wenn der Damm eines Tages Ziel einer Bombardier­ung werden sollte. Der Mosul-Staudamm am Tigris liegt ebenfalls nur wenige Kilometer von der Grenze zur Türkei entfernt, jedoch mit Flussricht­ung Süden ins Landesinne­re des Irak. Als der sogenannte Islamische Staat 2014 kurzzeitig die Kontrolle über das Megabauwer­k übernahm, schrillten in Bagdad zu Recht jegliche Alarmglock­en.

Weil Wasser keine Grenzen kennt, Machthaber die Nutzung des Wassers aber immer noch mit nationalen Denkmuster­n diskutiere­n, gibt es bei Wasserkraf­twerken nicht nur deutliches Verbesseru­ngspotenzi­al in Sachen Effizienz, sondern viele Gefahren für Umwelt und Mensch.

 ??  ?? Großprojek­t: auf der Baustelle des 145 Meter hohen und 1,8 Kilometer langen Renaissanc­eStaudamms in Äthiopien.
Großprojek­t: auf der Baustelle des 145 Meter hohen und 1,8 Kilometer langen Renaissanc­eStaudamms in Äthiopien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria