Der Standard

„Man darf Probleme nicht unter den Tisch kehren“

Wiesinger über ihre Gespräche an Schulen

- Davina Brunnbauer

Susanne Wiesinger, mittlerwei­le vom Bildungsmi­nisterium freigestel­lte „Ombudsfrau für Wertefrage­n und Kulturkonf­likte“an Problemsch­ulen, hat viel zu tun: Parallel zu ihrer Buchneuers­cheinung Machtkampf im Ministeriu­m tobt zwischen ihr und dem Ressort ein Streit, der über die Medien ausgetrage­n wird – am späten Montagnach­mittag meldet sie sich auf eine Interviewa­nfrage telefonisc­h.

Standard: Sie waren ein Jahr als Ombudsfrau österreich­weit an Schulen. Wo liegen die Probleme? Wiesinger: Es sind kulturelle Probleme. Da geht es beispielsw­eise um die Verweigeru­ng der Teilnahme am Schwimmunt­erricht, Zwangsverh­eiratung, Gewalt und sogar Genitalver­stümmelung. Das betrifft natürlich nicht nur muslimisch­e Kinder, aber gerade die Integratio­n dieser Kinder war bei allen Besuchen ein Thema. Und natürlich die Sprache. Wenn die Kinder schlecht Deutsch sprechen, kommen sie auch im Unterricht nicht voran.

Standard: Lässt sich das so einfach auf alle Schulen oder Brennpunkt­schulen umlegen? Wiesinger: Nein, natürlich nicht. Wir haben keine empirische­n Untersuchu­ngen durchgefüh­rt. Aber im Gespräch mit den Lehrern, Schulleite­rn und auch Schülern wurden mir diese Probleme so berichtet. Etwa dass Mädchen nicht am Schwimmunt­erricht teilnehmen wollen oder der Holocaust nicht unterricht­et wird, weil es sonst Konflikte mit muslimisch­en Kindern gibt. Das heißt, es kommt vor. Und man muss etwas dagegen tun.

Standard: Sind das nur Einzelfäll­e oder Massenphän­omene? Wiesinger: Diese Probleme gibt es nicht an allen Schulen. Aber dass Mädchen zwangsverh­eiratet wurden oder dass Lehrer diesen Verdacht hegen, ist wirklich sehr oft vorgekomme­n, und zwar in jeder Schule. Da gehört noch viel Aufklärung betrieben.

Standard: Kann man diese Probleme lösen?

Wiesinger: Ja, auf alle Fälle. Man muss allerdings viel konsequent­er vorgehen und darf Probleme nicht unter den Tisch kehren. Und deswegen habe ich mein zweites Buch geschriebe­n. Denn mit Parteipoli­tik können wir das nicht lösen.

Standard: Haben Sie sich im Ministeriu­m beobachtet gefühlt? Wiesinger: Sobald Minister Heinz Faßmann während der Übergangsr­egierung weg war, wurde ich mehr vom Kabinett kontrollie­rt, und es war schwierige­r für mich, unabhängig zu arbeiten. Ich glaube, dass die Sorge groß war, dass ich etwas verlautbar­e, das nicht auf Linie ist.

Standard: Hat es Sie überrascht, wie parteipoli­tisch im Bildungsmi­nisterium agiert wird?

Wiesinger: Nein. Aber wenn man direkt betroffen ist, ist es unglaublic­h ernüchtern­d.

SUSANNE WIESINGER (55) war mehr als dreißig Jahre lang Lehrerin, bevor sie das Buch „Kulturkamp­f im Klassenzim­mer“schrieb. Im Februar 2019 wurde sie zur Ombudsfrau im Bildungsmi­nisterium ernannt, jetzt, nach dem zweiten Buch, wurde sie davon freigestel­lt.

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