Der Standard

Die Rückkehr der Krisenkanz­lerin

Merkels Engagement für Libyen zeigt: Sie will ihre letzten Monate im deutschen Kanzleramt nicht als „lame duck“verbringen. Unklar ist, ob sich die Bundeswehr an einem internatio­nalen Militärein­satz beteiligen wird.

- ANALYSE: Birgit Baumann aus Berlin

Danke, Merkel“– so reagierte der frühere CDU-Generalsek­retär Peter Tauber, nachdem die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die Ergebnisse der Berliner Libyen-Konferenz verkündet hatte. Lob für ihr Engagement gab es auch von vielen anderen (siehe Artikel unten), etwa vom österreich­ischen Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg.

Natürlich ist all jenen, die sich nun bei Merkel bedanken, klar, dass in Libyen stabile Verhältnis­se noch längst nicht in Sicht sind. Aber dass die deutsche Kanzlerin die Initiative ergriffen und überhaupt zu dem hochrangig besetzten Treffen in Berlin gebeten hat, wird ihr hoch angerechne­t.

Noch vor wenigen Tagen war in Berlin geraunt worden, dass sie mit ihrer Einladung ja auch ein Risiko eingehe – nach dem Motto: Man möchte sich nicht vorstellen, dass Merkel zur Konferenz einlädt, wichtige Akteure dann aber fernbleibe­n. Oder dass am Ende weniger herauskomm­t als das nun vorliegend­e Ergebnis.

Andere meinten, Merkel hätte eigentlich schon früher agieren müssen, da Deutschlan­d geradezu prädestini­ert dafür sei, in Libyen eine Vermittler­rolle einzunehme­n. 2011 war Deutschlan­d nicht an der internatio­nalen Militärakt­ion gegen Diktator Muammar al-Gadaffi beteiligt gewesen.

Im UN-Sicherheit­srat hatte sich Berlin bei der Abstimmung über die Einrichtun­g einer Flugverbot­szone der Stimme enthalten, gemeinsam mit Russland, China, Indien und Brasilien. Damit stellten sich Merkel und der damalige, mittlerwei­le verstorben­e deutsche Außenminis­ter Guido Westerwell­e (FDP) gegen die westlichen Verbündete­n USA, Großbritan­nien und Frankreich. Die Kritik war groß: Viele meinten, dass Deutschlan­d sich wegducke. Vielleicht

wollte Merkel sich dies nicht noch einmal anhören.

Darüber hinaus hat sie natürlich auch handfeste eigene Interessen an einer Stabilisie­rung des nordafrika­nischen Landes. Zwar steht Merkel nach wie vor zu ihrer Entscheidu­ng im Jahr 2015, die vielen Flüchtling­e nach Deutschlan­d kommen zu lassen. Doch sie sagt auch – und niemand in der CDU will ihr hier widersprec­hen: „2015 darf sich nicht wiederhole­n.“Dass wieder mehr und mehr

Menschen via Libyen nach Europa und Deutschlan­d kommen, will Merkel unbedingt vermeiden.

Internatio­nal abgemeldet

Die Dichte an schweren Limousinen war am Sonntag also hoch in Berlin. Einen solchen Anblick hatte man schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen. Deutschlan­d galt in den vergangene­n Monaten internatio­nal eher als abgemeldet.

Im Herbst hatte die New York Times Merkel als „lame duck“(lahme Ente) verspottet und die Koalition eine „Zombiekoal­ition“genannt. Ähnliches war vom außenpolit­ischen Sprecher der Unionsfrak­tion, Norbert Röttgen (CDU), zu hören gewesen: „Der Außenminis­ter (Heiko Maas, SPD, Anm.) ist ein Ausfall, und die Kanzlerin weiß das alles und tut nichts.“

Monatelang hatte sich Merkel außerdem von vielen Seiten vorwerfen lassen müssen, dass sie europapoli­tisch nichts mehr beizutrage­n habe und dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron das Feld überlasse. Was sie nach ihrem Rücktritt als CDUChefin (Dezember 2018) noch aus dem Kanzleramt – als Regierungs­chefin mit Ablaufdatu­m – heraus bewegen wollte, war vielen unklar.

Dabei war Merkel früher einmal als Krisenkanz­lerin sehr gefragt und schwer im Einsatz. Unvergesse­n ist ihr Bemühen, die Eurokrise zu lösen. Auch das 2015 ausverhand­elte Minsker Abkommen zur Deeskalati­on des Ukraine-Konflikts trägt Merkels Handschrif­t, damals hatte sie 17 Stunden verhandelt. Als sie ihren Rückzug in Deutschlan­d bekanntgab, war auch sofort spekuliert worden, sie könne UN-Generalsek­retärin werden.

Vorstoß von „AKK“

Offensicht­lich ist Merkel gewillt, sich nun als Kanzlerin wieder stärker einzubring­en. Wie es nun in Libyen konkret weitergeht, liegt nicht in ihrer Hand. Aber es könnte sein, dass sie bald über ein heikles Thema entscheide­n muss: ob nämlich auch die Bundeswehr eine mögliche Waffenruhe überwachen sollte.

Die deutsche Verteidigu­ngsministe­rin und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r, genannt „AKK“, hat schon vor der LibyenKonf­erenz ihre Bereitscha­ft signalisie­rt und erklärt, bei einer internatio­nalen Absicherun­g wären Bundeswehr und Verteidigu­ngsministe­rium „sehr schnell in der Lage zu sagen, wie unser Beitrag aussehen kann“.

Merkel hingegen steht auf der Bremse: „Ich finde, wir dürfen jetzt doch nicht den übernächst­en Schritt vor dem ersten diskutiere­n. Der Weg – einen Waffenstil­lstand, wie man ihn absichert –, der spielt überhaupt erst dann eine Rolle, wenn man einen dauerhafte­n Waffenstil­lstand hat.“

Der Berliner Libyen-Gipfel bringt Hoffnung auf einen Neustart der Diplomatie fürs Bürgerkrie­gsland: Gleichzeit­ig war er ein Panoptikum aller Gründe dafür, warum das so schwierig ist. Dass sich die Kriegsgegn­er, Premier Fayez al-Serraj und der Ost- und Südlibyen dominieren­de General Khalifa Haftar, nicht einmal persönlich trafen, wirft ein Schlaglich­t auf nur ein Detail: Keiner von beiden ist davon überzeugt, dass ein Kompromiss nötig ist – und Haftar verabscheu­t ihn geradezu.

Das bedeutet, die beiden können nur von außen zum Waffenstil­lstand und zu einem politische­n Prozess gezwungen werden: nicht durch Gewalt natürlich, sondern durch die Entziehung militärisc­her Unterstütz­ung.

Dazu haben sich alle Teilnehmer­staaten des Gipfels verpflicht­et: Sie wollen das seit 2011 geltende Waffenemba­rgo einhalten. Wie und wann man die bereits geleistete Hilfe wieder abzieht, von den Waffen bis zu den von Russland für Haftar und von der Türkei für Serraj entsandten Söldnern, wird erst thematisie­rt. Und es muss sich erst zeigen, ob die Kontrahent­en wirklich alle unter ihrem Schirm versammelt­en Milizen kontrollie­ren wollen und können.

Nun liegt es am Uno-Sicherheit­srat, die Gipfelresu­ltate durch eine Resolution verbindlic­h zu machen. Dann sollte nicht nur über Beobachtun­gsmissione­n nachgedach­t werden, sondern auch über Sanktionsm­echanismen gegen alle, die den Beschlüsse­n zuwiderhan­deln.

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UN-Generalsek­retär António Guterres, Kanzlerin Angela Merkel, Außenminis­ter Heiko Maas in Berlin.
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