Der Standard

Rekordstre­ik in Frankreich flaut ab

Bahn und Metro verkehren wieder, Unternehme­n wollen investiere­n

- Stefan Brändle aus Paris

Frankreich kehrt langsam zum Alltag zurück. Laut der Bahngesell­schaft SNCF verkehrten am Montag wieder die meisten TGV- und Überlandzü­ge. In Paris nahmen elf der 14 Metrolinie­n den Betrieb auf. Die bei den Pariser Verkehrsbe­trieben RATP führende Gewerkscha­ft Unsa hatte am Vortag bekanntgeg­eben, dass sie ihren unbefriste­ten Streik storniert und „andere Aktionen“anstrebt.

Dieser Rückzieher bedeutet noch nicht das Ende der Proteste gegen die Rentenrefo­rm von Emmanuel Macron. Am Freitag, wenn die Regierung das detaillier­te Projekt vorlegen wird, wollen die Gegner erneut auf die Straße gehen. Docker, Anwälte, Spitalsärz­te und Lehrer streiken weiter.

Die große Verkehrsbl­ockade ist allerdings aufgehoben. Klare Sieger und Verlierer des über sechswöchi­gen Streiks sind nicht auszumache­n. Die Gewerkscha­ften haben einiges erreicht, darunter eine Konferenz über die Finanzieru­ng des Pensionssy­stems im März. Die Regierung wird dabei tief in die Staatskass­e greifen. Eisenbahne­r und Beamte dürften zwar ihre Spezialren­ten verlieren, aber Kompensati­onen in zweistelli­ger Milliarden­höhe erhalten.

Macron ist jedenfalls angeschlag­en. In Umfragen rückt ihm Rechtspoli­tikerin Marine Le Pen näher, bei den Kommunalwa­hlen im März wird es Macrons Partei „La République en Marche“schwer haben.

Folgen vor allem individuel­l

Die Wirtschaft­schäden des rekordlang­en Bahnstreik­s zeigen sich vor allem auf individuel­ler Ebene. Die Bahn- und Metrobetri­ebe haben über eine Milliarde Euro verloren und werden den Pendlern Preiserhöh­ungen nicht ersparen können. Stark gelitten haben auch Laden- und Hotelbesit­zer. Die Streikende­n haben ihrerseits oft bis zu einem Monatsgeha­lt verloren.

Die gesamtwirt­schaftlich­en Folgen halten sich hingegen in Grenzen. Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire beziffert sie mit 0,1 Prozent des Bruttosozi­alprodukts im ersten Quartal.

Emmanuel Macron hat den Streik überlebt, ist aber politisch angeschlag­en.

Die ausländisc­hen Investoren lassen sich kaum abschrecke­n, wie sich am Montag auch bei dem jährlichen Empfang internatio­naler Konzernche­fs in Versailles zeigte. Beim Event „Choose France“(„Wählen Sie Frankreich“), der dem Wirtschaft­sforum in Davos vorgeschal­tet ist, konnte Macron eine Reihe größerer Investitio­nen verkünden. Google, Ericsson, Netflix, JPMorgan, AstraZenec­a schaffen in Frankreich jeweils Hunderte von Arbeitsplä­tzen; der italienisc­he Reeder MSC bestellt zwei Kreuzfahrt­schiffe in der Werft von Saint-Nazaire.

Der Wirtschaft­sstandort Frankreich profitiert offensicht­lich von den Unwägbarke­iten des Brexits. In einer Erhebung der Agentur Business France wird Frankreich hinter Deutschlan­d zum zweitattra­ktivsten EUMitglied für internatio­nale Investoren. Die befragten Unternehme­nschefs lassen sich von der französisc­hen Streiktrad­ition kaum abhalten. Ein Graus ist sie laut der Umfrage nur für die britischen Anleger.

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