Ein Blackout voller Widersprüche
Das Bundesheer hält einen großen Stromausfall in Österreich in naher Zukunft für realistisch, der Stromnetzbetreiber APG weniger. Experte Saurugg wünscht sich eine bessere Krisenkommunikation.
Die Frage ist nicht ob, sondern wann. Geht es nach Generalmajor Johann Frank vom Bundesheer, wird Österreich in den nächsten fünf Jahren einen Blackout erleben. „Zu 100 Prozent“bezifferte die Landesverteidigung beim sicherheitspolitischen Jahresauftakt am vergangenen Donnerstag die Eintrittswahrscheinlichkeit eines derartigen flächendeckenden, andauernden Stromausfalls in naher Zukunft.
Anders sieht dies die Austrian Power Grid AG (APG). Der österreichische Übertragungsnetzbetreiber ist dafür zuständig, die Stromversorgung im Land abzusichern. Zumindest aus energiewirtschaftlicher Sicht sei die Wahrscheinlichkeit für einen Blackout „sehr gering“, wie APGKommunikationschef Christoph Schuh dem STANDARD sagt, ohne den BH-Bericht zu kennen. Zwar gab es „immer wieder kritische Situationen“, etwa Anfang 2019, als es im europäischen Stromnetz zu einem Frequenzabfall kam. „Aber wie der Arzt am Operationstisch: Wir haben den Patienten bisher immer gerettet“, sagt Schuh und verweist darauf, dass sich der letzte Großstörungsfall in Österreich am 13. April 1976 ereignete. Damals kappten ein Waldbrand und eine Explosion in einem Umspannwerk in Deutschland die Versorgung in weiten Teilen des Landes. Die meisten sonstigen Ausfälle basieren auf Naturkatastrophen, sagt Schuh, wie etwa zuletzt im November beim großen Unwetter in Osttirol und Kärnten.
Die Herausforderungen im Stromnetz seien jedoch vielfältiger geworden. Das liege auch daran, dass vermehrt auf erneuerbare Energien gesetzt werde. So gebe es immer mehr überregional verteilte Windkraftwerke. Diese seien naturgemäß vom Wetter abhängig. „Viel mehr Ungewissheit“, fasst Schuh zusammen. „Je mehr Player, desto komplexer ist dies für das Strommanagement, desto mehr Risko für Ausfälle besteht.“Gegen mögliche Cyberangriffe sieht sich die APG gut gewappnet. „Unsere IT-Abteilung ist stark wachsend“, sagt Schuh. Auf Basis des Netzinformationssicherheitsgesetzes sei die APG Teil des Austrian Energy CERT, eines brancheneigenen Computer-Emergency-Response-Teams für die österreichische Energieindustrie. Das eigene System liege gespiegelt vor: Fällt das eine aus, kann digital auf das zweite umgeschaltet werden. Externe Personen haben keinen Zutritt – auch physisch, dafür sorgen rote Zonen. Zudem kooperiere dieAPG mit Übertragungs netzen aus anderen Ländern. Bei unerwarteten Kapazitäts engpässen würden Reserve kraftwerke einspringen. Außerdem seien die Kraftwerk betreiber nicht miteinander verbunden. Dass etwa alle gleichzeitig Opfer einer Cyberattacke werden und ausfallen, sei allein schon technisch schwierig.
„Absehbarer Crash“
Herbert Saurugg ist etwas pessimistischer: „Wir fahren absehbar auf den Crash zu“, sagt der Blackout-Experte. Das müsste nicht einmal ein teurer Cyberangriff sein. So hat etwa ein fehlerhafter Datenspeicher die Produktion beim deutschen Sportwagenbauer Porsche lahmgelegt. „Dafür braucht man keine Millionen.“
Was Österreich im Ernstfall jedenfalls brauche, sei eine gute staatliche Reaktion: „Suboptimale Kommunikation verschärft jede Krise“, sagt Saurugg. Dies hätte sich zuletzt etwa beim andauernden Cyberangriff auf das Außenministerium gezeigt. Hier sei die Krisenkommunikation „ein bissl in die Hose gegangen“. Mit der ersten offiziellen Mitteilung wurden unnötige Spekulationen entfacht, ob ein staatlicher Akteur dahinterstecken könnte. „Sie haben eine Info ohne Mehrwert nach außen getragen“, sagt Saurugg. Ein anderes Beispiel: der teilweise Ausfall des A1-Festnetzes im Oktober 2019, als die Notrufe landesweit zeitweise nicht mehr erreichbar waren. Das Vorgehen an diesem Tag wirkte für Saurugg wenig koordiniert. So hatte Wien relativ schnell Ersatzhandynummern bereit, während andere Bundesländer empfahlen, die nächste Einsatzzentrale aufzusuchen. Andere wiederum nannten den internationalen Notruf unter 112 als Alternative. Dabei sei der Festnetzausfall
nur ein kleiner Notfall gewesen, sagt Saurugg. Nicht zu vergleichen mit einem echten Blackout. Umso wichtiger sei daher, dass die Informationskette im Notfall vorgegeben sei, so der Fachmann. „Wer muss mit wem reden? Wer entscheidet, wenn’s schnell gehen muss?“
In der Krise handle man ja in die Unsicherheit hinein. Diese ungewisse Lage könne Staat und Unternehmen im Ernstfall dazu verlocken, die Öffentlichkeit nur zögernd zu informieren, um sie nicht zu verunsichern. Für Saurugg ein Trugschluss: „Da kann man gar nicht zu früh reagieren“, sagt der Fachmann. Denn selbst wenn alles halb so wild sei, hätte man zumindest das Szenario geübt und könnte evaluieren, wo noch nachzubessern wäre.
Vorsichtsmaßnahmen
Unter anderem deshalb wurde im Mai die Krisenübung „Helios“in Österreich durchgeführt. Damals simulierten 100 Vertreter der Bundesministerien, der Länder, der Einsatzorganisationen sowie von Infrastruktureinrichtungen eine europaweite Strommangellage, die Vorstufe zum Blackout.
Laut Innenministerium (BMI) gebe es für solche Notfälle eine standardisierte Vorgehensweise. Koordiniert werde diese im SKKM-Ausschuss (staatliches Krisen- und Katastrophenmanagement), in den bei Bedarf Einsatzorganisationen sowie ORF und APA als Leitmedien und kritische Infrastrukturunternehmen miteinbezogen werden. Der Ausschuss sei am Tag des A1-Festnetzausfalls in beobachtender Lage tätig gewesen. „Die Verantwortlichkeit zur Bewältigung des Ereignisses verblieb die gesamte Ereigniszeit beim Infrastrukturbetreiber“, so das BMI. Weil mehrere Akteure, etwa A1 und Einsatzorganisationen, betroffen waren, half der SKKM-Ausschuss jedoch beim Koordinieren.