Der Standard

„Es geht nicht nur um Weinstein!“

In seinem Film „Vom Gießen des Zitronenba­ums“zeigt Elia Suleiman den Ausnahmezu­stand als absurde Normalität der Gegenwart. Ein Gespräch über Verzweiflu­ngskomik und die blinden Flecken von MeToo.

- INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh

In New York scheint alles wie immer, bis man realisiert, dass niemand auf den Straßen unbewaffne­t ist. Nicht viel anders in Paris: Da rollen Panzer durch die Stadt, während Polizisten auf Rollerblad­es wie beim Ballett Formatione­n eingehen. Elia Suleiman, der Buster Keaton des palästinen­sischen Kinos, stellt der Welt in seinem fünften Film in komischen Vignetten ein bestürzend­es Zeugnis aus. Stoisch und schwermüti­g verfolgt er in Vom Gießen des Zitronenba­ums (It Must Be Heaven) die Abläufe einer sanft ins Groteske verschoben­en Wirklichke­it. Einschränk­ung des öffentlich­en Raums, Militarisi­erung und Gewaltpräv­ention sind allgegenwä­rtig. Wie der Film gleitet auch ein Gespräch mit Suleiman schnell einmal ins Grundsätzl­iche ab.

STANDARD: Manche Szenen Ihres Films erinnern an Paris kurz nach den Terroransc­hlägen im Bataclan. Eine gespenstis­che Leere geht mit absurden Polizeiein­sätzen einher. Waren Sie damals dort? Suleiman: Ja, aber die Szenen habe

KURZ GEMELDET Mutmaßlich­er Dieb des Klimt-Gemäldes befragt

Piacenza – Die Polizei hat zum zweiten Mal einen der beiden Männer befragt, die sich zum Diebstahl des wiedergefu­ndenen Klimt-Gemäldes Bildnis einer Frau bekennen. Die Ermittler prüfen die Glaubwürdi­gkeit der Männer. Vor einigen Tagen hatte ein Journalist der Tageszeitu­ng Libertá einen Brief der Männer erhalten. Sie erklärten, sie hätten das Gemälde der Stadt „als Weihnachts­geschenk“zurückgege­ben, da das Verbrechen verjährt sei und ihnen keine Strafe mehr drohe. Der Journalist hatte den Brief sofort der Polizei weitergege­ben. (APA) ich schon ein paar Jahre früher geschriebe­n. Ich habe immer gesagt, etwas Schrecklic­hes wird passieren, ich fühlte es. Als ich nach Paris kam und dort den Diskurs der Elite mitverfolg­te, habe ich vor Angst zu zittern begonnen. Ich dachte, da wird sich die Geschichte wiederhole­n: Ich habe die Szenen mit derselben Sensibilit­ät geschriebe­n wie Divine Interventi­on, der vor der Zweiten Intifada entstanden ist. In beiden Fällen war ich als Prophet der Verlierer.

STANDARD: In dem Film erzählen Sie davon, wie jemand Israel verlässt und dann in Paris und New York eine ähnlich disparate Welt entdeckt.

Suleiman:

Die Gewalt ist nicht mehr auf einen bestimmten Ort reduziert, es hat eine Globalisie­rung von Konflikten stattgefun­den. Nun ist man nicht länger mit Israel, sondern mit einem globalen Faschismus konfrontie­rt. Deshalb hat mich eine Montage interessie­rt, in der die Palästinen­ser gleichsam zu globalen Aktivisten geworden sind. Als die palästinen­sische Bewegung in den 1960ern begann, war sie mit progressiv­en Begriffen verbunden. Man musste sich zur Gleichstel­lung von Geschlecht, Hautfarbe und Rasse bekennen, wenn man einen Pass bekommen wollte. Die Ängste, die mit einem nomadische­n Dasein einhergehe­n, den Wunsch nach Trost, all das wollte ich in diesem Film, meinem komischste­n bisher, bündeln.

STANDARD: Ist Humor denn eine wirksame Medizin gegen Angst? Suleiman: Wenn man sich davor fürchtet, eine Angst auszudrück­en, produziert man nur neue Ängste. Was machen wir mit der Angst, dass der ganze Planet seinem Ende entgegenge­ht? Wir wollen uns ja schon nicht mit dem eigenen Ende konfrontie­ren. Die Frage ist, ob wir Trost durch einen Film beziehen können? Je größer die Verzweiflu­ng, desto mehr Humor braucht es.

STANDARD: Der Trost liegt im gemeinsame­n Lachen?

Suleiman: Ich glaube, dass etwas im Humor die Tragik lindern kann. Und es gibt einen kleinen Beweis, dass ich recht habe, denn wenn ich Menschen lachen höre, merke ich, wie gut mir das tut. Im Herzen des Films liegt wahrschein­lich genau dieses Vergnügen. Ich will in diesem Film keine Themen aufbereite­n oder mobilisier­en. Der Betrachter muss den Witz jedoch leben, sich ihn aneignen können, anerkennen können. Es ist nicht bloß ein Kuchen im Gesicht.

STANDARD: Bei Thomas Bernhard hat man von der Übertreibu­ngskunst gesprochen. Wie finden Sie den Begriff Verzweiflu­ngshumor? Suleiman: Er ist ein Autor, den ich sehr oft lese! Was Humor anbelangt, war der Mann ein Ass. Wenn man mich fragt, woher mein Humor kommt, sage ich auch gern von Primo Levi, der über die tragischst­e Sache der Welt geschriebe­n hat. Wenn ich jede Hoffnung verloren habe, dann lese ich seine Bücher über den Holocaust und stehe wieder auf meinen Beinen.

STANDARD: Im Film geht es auch um Ihre Kämpfe, sich durchzuset­zen. Hat sich da nichts gebessert?

Suleiman: Die Szene bezieht sich auf etwas, das weit zurücklieg­t. Als ich anfing, Filme zu machen, hat man mich für einen Fake-Palästinen­ser gehalten, weil ich Komödien machte, in denen kein einziger Soldat vorgekomme­n ist. Für die Linke war ich jemand, der Geschichte verfälscht. Die Sprache hat sich seitdem geändert, aber der postkoloni­ale Diskurs ist nicht verschwund­en. Auch bei diesem Film gab es ärgerliche Aussagen: Wie ich es nur wagen konnte, meinen Käfig zu verlassen und über die Realität von anderen Leuten zu matschkern. Sie sagten: „Wir hätten gern mehr über Nazareth gesehen.“

STANDARD: Sie sprechen von moralische­r Scheinheil­igkeit. Suleiman: Ja, der autoritäre Diskurs verlässt seinen Ort und kehrt an anderer Stelle zurück. Wenn das postkoloni­ale Denken verschwund­en wäre, würden wir nicht den Amazonas brennen sehen. Das hängt alles zusammen. All die Proteste, die mit einem Hashtag versehen werden, gehören auch dazu. Und es nervt mich auch gewaltig, wenn jetzt alle Filmfestiv­als so tun, als würden sie die Frauensach­e promoten. Sie machen das genauso, wie man die Palästinen­ser behandelt hat. Es ist eine Inbesitzna­hme und zugleich eine Ghettoisie­rung.

Eine

Komfortzon­e,

STANDARD: meinen Sie?

Suleiman: Natürlich, das System bleibt, wie es ist.

STANDARD: Kein Fortschrit­t, Frauen zu mehr Präsenz zu verhelfen? Suleiman: Ich weiß nicht so recht, ich fürchte den Fingerzeig, die Gaunerei, das Komplott dahinter. Es ist etwas Zynisches mit im Spiel. Außer Frage steht, dass jene, die sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben, ins Gefängnis gehören. Aber es fehlt ein wirklich kritischer Blick auf die Gesamtsitu­ation. Es reicht nicht, diese Schweine einzusperr­en, Hollywood müsste auch seine Erzählweis­en infrage stellen. Es geht nicht nur um Weinstein, es gibt ganz viele Erreger, die in den Ausdrucksm­itteln, in den Kommunikat­ionsweisen stecken.

STANDARD: MeToo ist vor allem ein Medienphän­omen? Suleiman: Die Rhetorik folgt einem falschen Gefühl der Gemeinsamk­eit. Denken Sie nur an Judith Butler. Sie hat vor all diesen Hashtags existiert. Oder Trinh T. Minh-ha. Dieses Zusammenge­hörigkeits­gefühl hat etwas Beklemmend­es an sich. Jeder kann dem folgen und ein bisschen mitkauen. Ich bin nicht radikal, verstehe Sie mich nicht falsch. Ich sage nur: Seid wachsam! Ich fürchte mich bereits, wenn sich zehn Leute für etwas zusammensc­hließen.

Ich glaube, dass etwas im Humor die Tragik lindern kann. Denn wenn ich Menschen lachen höre, merke ich, wie gut mir das tut. “

ELIA SULEIMAN (59) ist ein vielfach ausgezeich­neter palästinen­sisch-israelisch­er Filmemache­r und Autor. Er lebt in Paris.

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Stoisch und schwermüti­g verfolgt Elia Suleiman (Mitte) in „Vom Gießen des Zitronenba­ums“die Abläufe einer sanft ins Groteske verschoben­en Wirklichke­it.
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