Der Standard

Im Vorort der verzweifel­ten Unruhe

Ladj Lys Langfilmde­büt „Die Wütenden“erzählt von den problemati­schen Zuständen in den Pariser Banlieues

- David Auer

Der deutschspr­achige Titel von Ladj Lys Langfilmde­büt ist zwar falsch übersetzt, aber dennoch treffend. Les Misérables handelt von Elenden, die nämlich auch wütend sind. Die Wütenden hat zwar nur bedingt etwas mit Victor Hugos Roman zu tun, der Film spielt allerdings dort, wo der Autor ihn geschriebe­n hat, im Pariser Vorort Montfermei­l.

Viel habe sich hier seither ja nicht verändert, so der rechtschaf­fene Protagonis­t (Damien Bonnard), der an seinem ersten Tag als Stadtpoliz­ist von seinen neuen Kollegen (Djibril Zonga, Alexis Manenti) ins Milieu der Banlieue eingeführt wird. In einer späteren Szene wird deutlich, was er damit gemeint haben mag. Denn ähnlich dem Pariser Juniaufsta­nd von 1832 – zentral in Hugos Les Misérables und im Film nicht erwähnt – hätten auch die 2005er-Unruhen kaum politische Folgen nach sich gezogen.

Die ganze angestaute Wut, die sich damals zum wiederholt­en Mal in den Vororten Frankreich­s entlud, führte, so der wohlmeinen­de Polizist zu einem Bewohner, zu nichts außer der Zerstörung der Nachbarsch­aft.

Der Vorfall, der den Anlass für seinen Crashkurs in Sachen RiotZeitge­schichte gab, könne abermals desaströse Konsequenz­en haben. Der Adressat der Rede ist im Besitz einer Videoaufna­hme, die einen abgebrühte­n Polizeikol­legen dabei zeigt, wie er einen Buben schwer verletzt. Bereits vor 15 Jahren galt Polizeigew­alt als einer der Katalysato­ren für die Unruhen in den Vororten Frankreich­s. Und um sie diesmal zu vermeiden, so der Polizist, solle der Mann mit dem Videomater­ial herausrück­en – aber nicht, um die Bad Cops in Schutz zu nehmen, sondern um sie damit in Schach zu halten.

Nicht nur hier meint es Die Wütenden mit seinen Nuancen recht gut, das Gut-Böse-Schema wird nämlich auch zugunsten der „Bad“Cops aufgebroch­en. Den Dienerinne­n und Dienern der Staatsgewa­lt gibt er bei weitem nicht die alleinige Verantwort­ung für die Malaise. Er nimmt auch das System dahinter in Beschuss und genauso die informelle Bandenherr­schaft der Bruderregi­mes in den Banlieues.

Dabei ergreift der Film für jene Partei, die zwischen den beiden Blöcken zerrieben werden. Am Ende des Tages – buchstäbli­ch, denn der Film spielt sich innerhalb von 24 Stunden ab – und nach einem dicht inszeniert­en jugend bewegten Häuser kampf gewaltspek­takel zierte in Hugo-Zitat das Finale: „Es gibt weder Unkraut noch schlechte Menschen. Es gibt bloß schlechte Gärtner.“(Im Sinne einer Kritik der Verhältnis­se wäre „Gärten“jedenfalls ebenso passend gewesen.)

Auch wenn sich auf das Sprüchlein sicherlich viele einigen können, bleibt Die Wütenden dank des ungefällig­en Endesun versöhnlic­h. In Betroffenh­eits kitsch driftete reben so wenig ab wie in die trüben Gefilde des handelsübl­ichen Problemfil­ms. Wohl nicht nur aber auch, weil Ly direkt betroffen war von den Problemen in Montfermei­l, wo er als Sohn malischer Eltern aufgewachs­en ist.

Nun reüssiert er mit seinem Spielfilm erstling als Jurypr eis-Gewinnerin Cannes und mit einer Oscar-Nominierun­g. Maximale Öffentlich­keit ist seinem Film also sicher, ob sie zu mehr als bloß Auszeichnu­ngen führt, jedoch weniger.

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„Die Wütenden“bringen weder Betroffenh­eitskitsch noch Elemente des handelsübl­ichen Problemfil­ms.

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