Der Standard

Ungesühnte Verbrechen

Zum 75. Jahrestag erinnert Arte heute, Dienstag, an die Befreiung des KZs Auschwitz mit einer Dokumentat­ion über Medizinver­suche: „Die Frauen von Block 10“um 21.50 Uhr.

- Doris Priesching

Leny Adelaar wurde 1943 nach Auschwitz deportiert. Sie war 24 Jahre alt. Zuerst mussten alle Verheirate­ten beiseitetr­eten, erzählt Adelaar in der Dokumentat­ion Medizinver­suche in Auschwitz – Clauberg und die Frauen von Block 10 am Dienstag um 21.50 Uhr auf Arte. „Die anderen wurden sofort vergast.“Adelaar kam in den Versuchsbl­ock: „Da merkten wir rasch, was uns blühte.“Was ihnen blühte, war Carl Clauberg.

„Sofern es überhaupt ein ,Bewältigen‘ der Vergangenh­eit gibt, besteht es im Nacherzähl­en dessen, was sich ereignet hat.“Hannah Arendts Satz gilt all jenen, die es für nicht mehr notwendig befinden, über die Gräueltate­n der Nationalso­zialisten zu sprechen. Zum 75. Jahrestag erinnert Arte am Dienstag mit einem ausführlic­hen Themenaben­d an die Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz am 27. Jänner.

An mehr als 280 Frauen führte Clauberg seine Versuche aus. 150 Frauen sterilisie­rte er. „Es gibt keine Kinder mehr“, sagte ein Mann in Block 10 zu Adelaar, als er die sogenannte „Clauberg-Spritze“in ihre Vagina spritzte. Unerträgli­che Schmerzen waren die Folge.

Sonya Winterberg und Sylvia Nagel werteten Aussagen aus dem Prozess gegen den Arzt und Massenmörd­er in Russland 1947 und Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft Kiel 1955/56 aus. Zu dem Zeitpunkt konnten viele der Opfer nicht mehr befragt werden, andere schwiegen aus Scham.

„Dick, mit Tirolerhut“

Jene, die aussagten, wurden quälenden Untersuchu­ngen unterzogen. Nicht zuletzt die deutsche Justiz zweifelte die Anschuldig­ungen der Opfer an. Denn Clauberg galt als Koryphäe unter den Gynäkologe­n. Im Krieg bestellte Himmler höchstpers­önlich den ehrgeizige­n Fortpflanz­ungsforsch­er zu den Menschenve­rsuchen in Auschwitz. „Er war nicht furchteinf­lößend, dick, mit einem Tirolerhut“, erinnert sich Génia Oboeuf.

Wie so viele Biografien der Nazi-Verbrecher endete auch die von Clauberg nicht nach dem Krieg. Nach 1945 kehrte er nach Kiel zurück und versuchte wieder Fuß zu fassen. Nach seiner Festnahme durch die Alliierten kommt er in die Sowjetunio­n, wo ihm der Prozess gemacht wird und wo er sich „voll und ganz schulArte dig“bekennt. Er 1948 wird zu 25 Jahren Haft verurteilt.

Sieben Jahre später ist Clauberg unter den ersten Kriegsgefa­ngenen, die im Rahmen der Rückkehr der 10.000 von BK Adenauer aus der Sowjetunio­n zurückgeho­lt werden. Nach einem Ermittlung­sverfahren wird er 1955 verhaftet, und plötzlich leugnet er seine Taten. Er habe „Frauen nur geholfen und gerettet“. Er stirbt 1957, bevor das Verfahren begonnen werden kann.

Keiner der Ärzte von Block 10 wird letztlich zur Veranwortu­ng gezogen. Siemens lieferte Clauberg das Röntgenger­ät, für die Dokumentat­ion wollte niemand vor der Kamera Stellung nehmen. Die Pharmafirm­a Schering von Bayer verdient bis heute viel Geld mit der Forschung Claubergs, der als eigentlich­er Vater der Antibabypi­lle gilt.

Einige der Frauen konnten trotz der Misshandlu­ngen noch Kinder bekommen, so wie Eva Golgevit, die 2017 mit 104 Jahren starb. Leny Adelaar konnte keine Kinder mehr bekommen, das habe sie ihrem zukünftige­n Mann gesagt, als er ihr einen Antrag machte. Dieser ließ sich nicht abhalten: „Ich nehme dich so, wie du bist.“

zeigt an diesem Abend weitere Dokumentat­ionen zum Tag der Befreiung:

1944: Bomben auf Auschwitz? folgt um 20.15 Uhr den Debatten der Alliierten über die Frage, wie sie den Massenmord verhindern könnten.

Die Kinder von Markt Indersdorf berichtet um 22.40 Uhr vom ersten Auffanglag­er für kriegsgefl­üchtete Kinder.

Papier-Brigade – Die Shoah und die Bücher von Vilnius erzählt vom Kampf um die Bewahrung jüdischer Kultur vor der Zerstörung durch die Nazis.

ORF 2 erinnert ebenfalls: Freitag, 24. 1.: Universum History: Codename Madeleine Eine Muslimin gegen Hitler (22.35); Verleugnun­g (23.20) Verfilmung des Verleumdun­gsprozesse­s David Irvings 1996. Sonntag, 26. 1.:

Back to the Fatherland (23.05) Junge Israelis, die sich in Deutschlan­d und Österreich ansiedeln. #uploading_holocaust (0.20) Israelisch­e Schüler gedenken in Polen. Dienstag, 28. 1.:

Kreuz und quer: Maria Stromberge­r war Krankenpfl­egerin in Auschwitz.

Mehr auf der Standard.at/Etat

 ??  ?? Einige der Frauen konnten trotz der Versuche Kinder bekommen, so wie Eva Golgevit – hier mit ihrem Sohn. Sie starb 2017 mit 104 Jahren.
Einige der Frauen konnten trotz der Versuche Kinder bekommen, so wie Eva Golgevit – hier mit ihrem Sohn. Sie starb 2017 mit 104 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Austria