Der Standard

Überlebens­künstler Putin

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Nicht nur die Weltöffent­lichkeit, auch die russischen Medien und sogar seine Minister waren überrascht, als Präsident Wladimir Putin ihnen ein großes Rätsel stellte: was genau seine geplanten Verfassung­sänderunge­n für ihn selbst und für Russland bedeuten. Mit dem Rücktritt der Regierung ging nur der Vorhang auf, aber die politische Bühne ist noch leer. Dass der Rücktritt des aus einem kurz als Hoffnungst­räger gehandelte­n und schnell zum politische­n Leichtgewi­cht gewordenen Dmitri Medwedew und seine Ablöse durch den Spitzenbür­okraten Michail Mischustin eine „revolution­äre politische Saison“eröffnet, vermutet Nowaja Gaseta, die einzige regierungs­kritische Zeitung. Die angekündig­te Aufwertung des Staatsrats würde dem Kreml freie Hand für ein willkürlic­hes Führungssy­stem nach 2024 (dem Ablauf des Mandats von Putin) geben und selbst den Schein des Parlamenta­rismus zerstören, zumal Putin auch danach das aufgewerte­te Gremium leiten könnte.

Die Spekulatio­nen über die Beweggründ­e und die Absichten Putins dürften bis auf weiteres die Berichters­tattung über Russland prägen. Bereits jetzt scheint jedenfalls die Theatralik der Inszenieru­ng mit Putin als Autor, Regisseur

und Hauptdarst­eller die Reflexione­n des Literaturn­obelpreist­rägers Elias Canetti (1905–1994) über die Macht zu bestätigen: „Denn die eigentlich­e Absicht des wahren Machthaber­s ist so grotesk wie unglaublic­h: Er will der Einzige sein, er will alle überleben, damit keiner ihn überlebt.“

Wladimir Putin (67) ist seit zwanzig Jahren in wechselnde­n Rollen, zweimal als Staatspräs­ident, zweimal als Ministerpr­äsident, der unbestritt­ene Herrscher Russlands. Nach seiner Rede mit vagen Versprechu­ngen über die Stärkung des Parlaments und die Begrenzung der Macht künftiger Präsidente­n hat Alexej Nawalny, der mutige Opposition­sführer, erklärt: „Das zeigt, welche Dummköpfe und/oder Hochstaple­r jene sind, die behaupten, Putin würde sich 2024 zurückzieh­en.“Putin gilt trotz der wirtschaft­lichen Misere noch immer für viele Bürger als das Symbol eines starken Russlands, vor allem seit der „Heimholung“der Krim. Seine scheinbar erfolgreic­he aggressive Außenpolit­ik hinsichtli­ch der Ukraine, Syrien und Libyen kann allerdings den Rückgang seiner Popularitä­t nicht aufhalten.

Bei den vorgeschla­genen Änderungen, die in endgültige­r Form durch ein Referendum bestätigt werden sollen, geht es nicht um eine Liberalisi­erung des politische­n Systems oder um wirtschaft­liche Strukturre­formen, sondern im Grunde um Bestrebung­en,

Putins persönlich­e Macht und damit auch das für die Machtelite lebenswich­tige korrupte Pfründensy­stem für die Zeit nach 2024 abzusicher­n.

Putin hat, für viele überrasche­nd, einen sehr frühen Zeitpunkt für die Vorbereitu­ng einer „Post-Putin-Ära“an der Staatsspit­ze, aber mit ihm weiterhin in einem neuen Gewand verhüllt als Lenker in der Schaltzent­rale der Macht gewählt. Manche Beobachter glauben an ein kasachisch­es Modell: In Kasachstan hat der langjährig­e Herrscher Nursultan Nasarbajew das Präsidente­namt abgegeben, aber er blieb als Präsident des Sicherheit­srats auf Lebenszeit und mit dem Ehrentitel als „Führer der Nation“faktisch an der Macht.

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