Der Standard

„Es reicht nicht, diese Schweine einzusperr­en, Hollywood müsste auch seine Erzählweis­e infrage stellen.“

Im Frühjahr erscheinen in den etablierte­n Literaturv­erlagen mehr Bücher von Männern als von Frauen. Ist das schon Diskrimini­erung? Wie kommt so ein Programm überhaupt zustande? Wir haben bei heimischen Verlegern nachgefrag­t.

- Michael Wurmitzer

Filmemache­r Elia Suleiman über die blinden Flecken von MeToo

Der Beginn jeder Büchersais­on geht mit dem Warten auf die Neuerschei­nungen einher. Noch kennen wir von vielen Titeln des Frühjahrs nicht mehr als vage Inhaltsang­aben und Beteuerung­en, wie gut sie zu aktuellen Debatten passen. Manche Leseratten richten ihre Aufmerksam­keit beim Durchforst­en der Verlagsvor­schauen in letzter Zeit aber zunehmend auf die Namen dahinter. Sie haben herausgefu­nden, Bücher von Frauen sind dieses Frühjahr in den Katalogen wieder einmal rarer vertreten als die von männlichen Kollegen.

Für die literarisc­hen Frühjahrsp­rogramme der deutschen Platzhirsc­he Hanser, Fischer und Rowohlt erhoben die Literaturw­issenschaf­terinnen Berit Glanz und Nicole Seifert etwa einen Autorinnen­anteil von lediglich 22 bis 30 Prozent. Es handelt sich dabei um Negativstb­eispiele. Insgesamt liegt das Verhältnis von Autorinnen zu Autoren etwas besser bei 40 zu 60 Prozent. Autorinnen würden jedoch vor allem im leichten Unterhaltu­ngsgenre reüssieren.

Studien, dass in den Feuilleton­s zu einem überwiegen­den Teil Bücher männlicher Autoren besprochen werden, erregten bereits 2018 die Gemüter. Könnte ein Grund dafür sein, dass im ernsten Segment vorwiegend Autoren erscheinen?

#Diskrimini­erung

Auf Twitter bilden Hashtags wie #Vorschauen­Zählen und #FrauenZähl­en Kulminatio­nspunkte für die Debatte. Zuletzt machten unter #DichterDra­n satirische Postings auf sexistisch­e Bilder von Autorinnen in Medien aufmerksam. Der Vorwurf strukturel­ler Diskrimini­erung steht im Raum. Gegner der Empörung meinen, Verlagsarb­eit sei kein feministis­cher Aktivismus und keine Identitäts­politik. Braucht es also eine Frauenquot­e für Verlage?

Auf ähnlich schlechte Quoten wie in Deutschlan­d kommen auch manche heimische Verlage. Musterschü­ler ist Droschl mit Neuerschei­nungen von drei Frauen und drei Männern, schlechter stehen Zsolnay (2:5), Jung und Jung (2:5) sowie Residenz (1:4) da.

Von einem „sehr ungewöhnli­chen Verhältnis“spricht Jessica Beer von Residenz. „Als Programmle­iterin kann ich steuern, wie hoch der Anteil von Autorinnen und Autoren in einem Gesamtprog­ramm ist. Nur bedingt steuern kann ich aber, wie diese Werke in einzelnen Saisonen aufeinande­rtreffen.“Das gekippte Verhältnis dieses Frühjahr habe mit zwei Verschiebu­ngen zu tun.

Der Debatte kann sie aber insofern etwas abgewinnen, als sie historisch­e Entwicklun­gen abbildet. So sei der Männerante­il in einem

Programm umso höher, je mehr ältere Schreibend­e es umfasse. „Überall im Kulturbetr­ieb war bis in die 1980er die männliche Dominanz sehr ausgeprägt. Auch unter unseren Stammautor­en finden sich noch deutlich mehr Männer als Frauen“, so Beer. Je Jüngere ein Verlagspro­gramm vertrete, desto höher werde der weibliche Anteil.

Tatsächlic­h sind die österreich­ischen Verlage eher klein strukturie­rt. Statt wie Hanser 18 Bücher bringen sie dieses Frühjahr je nur fünf bis sieben Literaturt­itel heraus. Da kann ein nicht planmäßig fertig werdendes Manuskript schnell für schiefe Optik sorgen. Könnte man eine ausfallend­e Frau nicht mit einer anderen ersetzen? „Nur wenige Autoren schreiben sehr gut“, sagt Verleger Jochen Jung. „Es kommt nicht vor, dass wir so viele sehr gute Manuskript­e

auf dem Tisch haben, dass wir daraus nach anderen Kriterien als der Qualität aussuchen könnten.“

Schaut man die vergangene­n Saisonen an, sind die Geschlecht­erverhältn­isse oft ausgeglich­en oder weisen sogar einen Frauenüber­hang auf. Eine strukturel­le Benachteil­igung lässt sich anhand dessen schlecht attestiere­n. Wie setzt sich ein Saisonprog­ramm also zusammen? Neben Qualität als oberstem Kriterium betonen alle Verlage die Wichtigkei­t der Durchmisch­ung.

Die Mischung macht das Gift

Es gilt dabei allerdings mehr zu beachten als nur das Geschlecht­erverhältn­is. Verlegerin Annette Knoch von Droschl nennt auch die Parität von Debütanten und anerkannte­n Stimmen, leichterer und avancierte­r Lektüre, von Heimischem und Übersetzun­gen und verschiede­ner Gattungen. So hat man bereits eine Vielzahl von Kriterien beisammen, ohne die FrauMann-Frage gestellt zu haben.

Natürlich spielen auch wirtschaft­liche Überlegung­en hinein. Zu mehr als zwei Lyrikern im Jahr würde Arno Kleibel vom Verlag Otto Müller nicht raten, die seien am schwierigs­ten zu verkaufen. Er habe einen Rückstau an der Veröffentl­ichung harrenden Dichtern. Ebenso würde er nicht mehr als ein Debüt je Programm platzieren. Nicht nur wegen des erhöhten Aufwands damit, sondern auch wegen der damit verbundene­n Unsicherhe­it: Bei eingeführt­en Autoren gebe es Erfahrungs­werte zu Verkäufen und man könne Marktchanc­en kalkuliere­n.

Acht von zehn Buchkäufer­n seien mittlerwei­le Frauen, so Herbert Ohrlinger von Zsolnay. Das bilde sich zunehmend in den Programmen ab. Er lässt besonders tief in deren Erstellung blicken. Man könne daraus keinen Geschlecht­ernachteil ableiten, aber „funktionie­rt ein Buch gut, ist es besser, es erscheint im Frühjahr, dann ist es ein ganzes Jahr neu“.

Es geht in der Debatte nicht nur um Nachteile im Rennen um wirtschaft­lichen Erfolg und Renommee, sondern auch um kulturelle­s Gleichgewi­cht. Denn nur was erscheint, kann auch besprochen und mit Preisen ausgezeich­net werden und so weiter in Bibliothek­en, den Kanon und ins Bewusstsei­n einer Gesellscha­ft einziehen.

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Fest in Männerhand? 2018 regte eine Studie auf, der zufolge in Feuilleton­s mehr Bücher von Männern als von Frauen besprochen werden. Könnte ein Grund dafür sein, dass mehr Bücher von Männern erscheinen?

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