Der Standard

Vorsicht, wer die Konjunktur prophezeit

Die Vorhersage der BIP-Entwicklun­g trifft stets nur mäßig zu, wenn sie das nächste Jahr betrifft. Jene für das übernächst­e Jahr deckt sich so gut wie kaum mehr mit dem später gemessenen tatsächlic­hen Konjunktur­ergebnis.

- Michael Matzenberg­er

Jedes Jahr im Dezember bitten Vertreter der führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute zur Pressekonf­erenz, um die Öffentlich­keit über die Entwicklun­g der heimischen Konjunktur zu unterricht­en. Die Prozedur ist einer der Höhepunkte im Kalenderja­hr von Wifo (Österreich­isches Institut für Wirtschaft­sforschung) und IHS (Institut für Höhere Studien). Beide Institute geben erst ihre auf eine Nachkommas­telle genaue Einschätzu­ng des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP) für das fast abgelaufen­e Jahr ab (den sogenannte­n Nowcast), dann auch Prognosen für das anstehende und das darauffolg­ende Jahr.

„Wirtschaft­swachstum sinkt 2020“oder „Konjunktur erst 2021 wieder besser“titeln die Medien folglich oft, ganz so, als folgten die Berechnung­sergebniss­e Naturgeset­zen. Ob die Vorhersage­n aber wirklich eintreffen, wird im Nachhinein selten evaluiert. Dabei haben Prognosen die praktische Eigenschaf­t, sich rückwirken­d mit der tatsächlic­hen Entwicklun­g abgleichen zu lassen. Das haben wir für die IHS- und Wifo-Konjunktur­prognosen seit 2001 gemacht.

Die BIP-Entwicklun­g des fast schon zu Ende gegangenen Jahres vermögen beide Institute im Dezember jeweils recht gut einzuschät­zen. Der Nowcast des IHS weicht, langfristi­g gemessen, im Durchschni­tt um 0,34 Prozentpun­kte pro Jahr ab, jener des Wifo um 0,35.

Der Schwierigk­eitsgrad erhöht sich bereits, wenn nicht mehr das fast abgelaufen­e Jahr bewertet werden soll, für das viele Daten bereits vorliegen, sondern das in Kürze beginnende Folgejahr. Diese n+1-Prognose weicht sowohl bei Wifo als auch bei IHS im langfristi­gen Mittel um 0,84 Prozentpun­kte pro Jahr von der später registrier­ten tatsächlic­hen BIP-Entwicklun­g ab. Wie groß die Unterschie­de im Extremfall ausfallen können, zeigt sich anhand des Krisenjahr­es 2009. Zwar ahnten beide Institute Ende 2008, als die Rezession in den USA schon mehr als ein Jahr dauerte, dass die Konjunktur 2009 auch in Österreich schwächeln würde.

Das IHS ging von einem Nullwachst­um des BIP aus, das Wifo von einem schmalen 0,1-Prozent-Rückgang. Beide Unternehme­n waren allerdings weit vom später gemessenen Wert von minus 3,8 Prozent entfernt.

Betrachtet man das jeweils übernächst­e Jahr – also etwa 2003 aus Sicht des 2001 abgegebene­n Ausblicks –, dann scheint diese n+2-Vorhersage kaum mehr etwas mit den tatsächlic­hen Zahlen zu tun zu haben. Am deutlichst­en wird das erneut durch die Rezession Ende der Nullerjahr­e: 2007 gingen die Institute für das Jahr 2009 noch von einem erfreulich hohen BIP-Zuwachs von 2 bis 2,5 Prozent aus.

Die Abweichung­en für das übernächst­e Jahr betrugen seit 2003 durchschni­ttlich 1,35 Prozentpun­kte beim Wifo und 1,32 beim IHS. Zum Vergleich: Wenn man aus dem real gemessenen Wirtschaft­swachstum der fünf jeweils vorangegan­genen Jahre einen glatten Durchschni­tt bildet und diesen Wert als „Prognose“für das übernächst­e Jahr ausgibt, würde die Abweichung im langjährig­en Mittel bei nur 1,24 Prozentpun­kten liegen. Besser also als die Projektion­en beider Institute, wenn auch mehr zufällig als beabsichti­gt.

Warum überhaupt Prognosen?

Es könne durchaus sein, dass solche „mechanisch ermittelte­n, naiven Prognosen“, wie er sie nennt, näher an der späteren Entwicklun­g lägen als komplexe Modellbere­chnungen, sagt Stefan Schiman vom Wifo. Das bedeute aber nicht, dass sie nicht schon beim nächsten Mal drastisch danebenlie­gen könnte, während das bei differenzi­erteren Methoden unwahrsche­inlicher sei.

Schiman gesteht aber ein, dass die Vorausscha­u auf das übernächst­e Jahr wenig mit harter Wissenscha­ft zu tun hat. „Es handelt sich eher um einen ersten Wurf, einen Grundwert am Horizont, der in den beiden folgenden Jahren verfeinert wird.“

Warum solche mittelfris­tigen Vorhersage­n dennoch publikumsw­irksam veröffentl­icht werden und die Institute riskieren, dass sich einflussre­iche Stakeholde­r in ihren Entscheidu­ngen danach richten? Immerhin kann das eine riskante Spirale anstoßen: Wirtschaft­sforscher sagen eine schlechte Konjunktur voraus, Investoren halten sich zurück, Umsätze sinken, Arbeitnehm­er werden freigestel­lt, woraufhin die Wirtschaft­sforscher ihre Prognosen weiter drosseln und das Spiel von vorn beginnt.

„Die Nachfrage nach solchen Prognosen ist einfach da“, sagt Helmut Hofer vom IHS. So brauchten die Republik oder die EU Informatio­nen über die Wirtschaft­sentwicklu­ng für die Budgetvors­chau. Aber auch Hofer räumt ein: „Bei der Prognose für das übernächst­e Jahr liegen keinerlei Konjunktur­informatio­nen vor, daher wird meistens davon ausgegange­n, dass sie sich dem sogenannte­n Trendwachs­tum annähert.“

Optimistis­chere Interpreta­tion

Die weniger weit in die Zukunft greifenden Prognosen beurteilt Hofer jedoch „durchaus positiv. Im Großen und Ganzen wird die konjunktur­elle Dynamik gut abgebildet“– mit Ausnahme der Krisenjahr­e 2009 und 2010. „Aber das waren Ereignisse, wie sie nur alle fünfzig bis hundert Jahre vorkommen. Die Unterschät­zung des Ab- und des darauffolg­enden Aufschwung­s war nicht so verwunderl­ich.“Die näherliege­nden Prognosen interpreti­ert auch Schiman optimistis­cher, als die Kurven auf den ersten Blick andeuten. Für das Folgejahr zeige sich, „dass sie tendenziel­l meist richtig liegen und wertvolle Informatio­nen für die Öffentlich­keit beinhalten“.

Weiter in die Zukunft reichende BIPPrognos­en sollten aber nicht zu verbindlic­h angenommen werden. Vielleicht noch mehr als die Institute, die auf die Unsicherhe­iten hinweisen, sind aber die Medien angehalten, Vorhersage­n vorsichtig und in Möglichkei­tsform zu formuliere­n.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria