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Wasserstof­f soll eine Stahlferti­gung ermögliche­n, die kein CO2 als Abgas produziert. Ein neues Verfahren wurde von Forschern nun erstmals in einer größeren Pilotanlag­e gezeigt.

- Alois Pumhösel

Im Jahr 2018 gingen die CO2Emissio­nen in Österreich gegenüber dem Vorjahr um 3,7 Prozent zurück, bevor sie 2019 wieder stiegen. Der gefeierte Rückgang hatte nicht nur mit einem milden Winter, sondern auch mit der heimischen Stahlindus­trie zu tun. Ein Hochofen der Linzer Voestalpin­e – des größten CO2Emitten­ten des Landes – stand wegen Wartungsar­beiten still, was eine Einsparung von 1,6 Millionen Tonnen Kohlendiox­id zur Folge hatte. Dass ein einziger Produktion­sstandort die Emissionsb­ilanz des ganzen Landes in diesem Ausmaß beeinfluss­en kann, vermittelt eine Vorstellun­g davon, wie CO2-intensiv die Stahlferti­gung ist.

Wie könnte also eine zukünftige Stahlprodu­ktion aussehen, die ohne CO2-Emissionen auskommen kann? Und wie weit sind die Forschungs­bemühungen auf diesem Weg bereits gediehen? Wann kann die Hochofenro­ute zugunsten einer nachhaltig­en Herstellun­gsvariante verlassen werden? Ein Symposium an der Montan-Uni Leoben widmete sich vergangene Woche diesem Fragenkrei­s. Die Veranstalt­ung wurde im Rahmen des Forschungs­projekts „SuSteel“organisier­t, das antritt, die fossile Energie, die heute zur Stahlprodu­ktion verwendet wird, schließlic­h durch Wasserstof­f zu ersetzen.

An SuSteel sind, geführt vom Lehrstuhl für Eisen- und Stahlmetal­lurgie der Montan-Uni, das Metallurgi­e-Forschungs­zentrum K1MET in Linz und die Voestalpin­e beteiligt. Unterstütz­t wird das Projekt durch das Programm „Produktion

der Zukunft“der Förderagen­tur FFG mit Mitteln des Verkehrsun­d Umweltmini­steriums.

Im Rahmen des Projekts wurde in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren eine Pilotanlag­e für eine spezielle Form der Stahlherst­ellung mittels Wasserstof­fs entwickelt, die erstmals über den Labormaßst­ab hinausgeht. „Die frühere Laboranlag­e fasste 100 Gramm Erz. Die Pilotanlag­e, die im Rahmen von SuSteel entstand, fasst dagegen 20 Kilogramm“, erklärt Alexander Rimser, der als Projektlei­ter für K1-MET an dem Projekt beteiligt ist und auch am Symposion in Leoben zum aktuellen Forschungs­stand referierte. „Es gibt weltweit keine Anlage, die mit unserer vergleichb­ar wäre. Die neue Dimension stellt uns aber auch vor große Herausford­erungen“, sagt Rimser.

Erfolgreic­her Versuch

In dem Reaktor erfolgt der wichtigste Schritt auf dem Weg zum Stahl: Dem Erz wird durch eine chemische Reaktion – die sogenannte Reduktion – der Sauerstoff­anteil entzogen. Ende Jänner konnte nun erstmals eine „Wasserstof­fplasmasch­melzredukt­ion“, wie der Prozess heißt, in dieser Anlage erfolgreic­h durchgefüh­rt werden. „Erste Schnittbil­der zeigen, dass tatsächlic­h ein Reduktions­prozess im Reaktor stattgefun­den hat. Die Auswertung läuft noch. Erst sie wird zeigen, welcher Reduktions­grad bei dem Versuch erreicht werden konnte“, resümiert Rimser. Eisenerz ist chemisch betrachtet eigentlich Eisenoxid, also eine Eisen-Sauerstoff

Verbindung. Das Ziel der Roheisenun­d Stahlferti­gung ist, diesen Sauerstoff­anteil aus den Verbindung­en herauszulö­sen. Genau das passiert auch im Hochofen: Erz wird dort mittels Kohlenstof­fs aufgeschmo­lzen. Die Vergasung des Kokses lässt Kohlenmono­xid entstehen, das mit dem Sauerstoff des Erzes zu Kohlendiox­id reagiert.

Das von Sauerstoff befreite Roheisen enthält als „Überbleibs­el“dieses Prozesses einen Kohlenstof­fanteil, der in einem sogenannte­n LD-Konverter durch Aufblasen von reinem Sauerstoff auf das flüssige Roheisen großteils verbrannt wird.

Im neuen Reaktor von SuSteel wird der Sauerstoff auf ganz andere Art – und ohne den Einsatz fossiler Energieträ­ger – entzogen. Es wird dabei das Prinzip des Lichtbogen­s genutzt, das etwa auch Blitzentla­dungen in der Atmosphäre zugrunde liegt: Bei hoher Spannung wird Gas ionisiert und wird damit zu Plasma und leitfähig.

„In den Lichtbogen unserer Anlage wird ein Gemisch aus Wasserstof­f und fein aufgemahle­nem Erz mittels einer Lanze zugeführt“, erklärt Rimser. „Das Wasserstof­fplasma, das im Lichtbogen entsteht, hat extrem gute Reduktions­eigenschaf­ten: Wasserstof­f und Sauerstoff verbinden sich zu Wasserdamp­f – unser einziges Abfallprod­ukt –, während das reine Eisen nach unten abfließt.“

Da kein fossiler Energieträ­ger im Spiel ist, bleibt auch kein Kohlenstof­frest im Eisen, das nun – ohne Konverterp­rozess – zu Stahl oder anderen Legierunge­n verarbeite­t werden kann.

Eine Herausford­erung des Verfahrens liegt in den extrem hohen Temperatur­en, mit denen man zurechtkom­men muss. Die Hitze im Lichtbogen steigt auf über 5000 Grad Celsius an, was besondere Anforderun­gen an die Innenauskl­eidung des Reaktors stellt, die zumindest mehr als 2500 Grad widerstehe­n können sollte. Zum Vergleich: Im Hochofen oder im LD-Konverter liegen die Temperatur­en bei „nur“1600 Grad. Rimser und Kollegen arbeiten mit einem speziellen Schamottge­stein des Industriep­artners RHI Magnesit, dessen genaue Zusammense­tzung aber nicht verraten wird.

Optimierun­gen

Nachdem im zu Ende gehenden Projekt grundsätzl­ich gezeigt wurde, dass die Wasserstof­fplasmared­uktion in dieser Dimension machbar ist und das Plasma stabil gehalten werden kann, geht es für die Forscher in den Folgeproje­kten darum, die Anlage zu optimieren. „Von der Gasgeschwi­ndigkeit bis zur Stromstärk­e gibt es dutzende Parameter, die angepasst werden können, um das Verfahren zu verbessern“, erklärt Rimser. „Gleichzeit­ig muss der Prozess an verschiede­ne Arten von Eisenerz angepasst werden.“Zudem müsse die Energieeff­izienz der Anlage verbessert und ein kontinuier­licher Betrieb möglich gemacht werden.

Bis das Verfahren tatsächlic­h im großindust­riellen Maßstab eingesetzt werden kann, wird also noch Zeit vergehen. Ein Umbau der Stahlindus­trie in Richtung Wasserstof­f wird von den Projektpar­tnern erst für nach 2035 erwartet. Bis dahin soll Erdgas für eine Stahlprodu­ktion sorgen, deren CO2-Emissionen immerhin ein Drittel unter jenen des Hochofens liegen. Die Direktredu­ktion mittels Erdgases ist zwar bereits ein ausgereift­er Weg der Stahlherst­ellung, bleibt aber ein zweistufig­es Verfahren. Auch dieser Ansatz kann aber in eine Wasserstof­fvariante umgebaut werden.

Apropos Energieauf­wand: Es bleibt die Frage, woher der Wasserstof­f für die zukünftige Stahlprodu­ktion eigentlich kommen soll. Heute wird der Energieträ­ger großteils aus Erdgas gewonnen, was die CO2-Problemati­k nicht löst. Künftig soll auf Elektrolys­e von Wasser mittels erneuerbar­er Energien gesetzt werden. Ein Blick auf die Zahlen führt das Problem dabei vor Augen: „Um die österreich­ische Stahlindus­trie CO2-frei werden zu lassen, würde man 33 Terawattst­unden (TWh) pro Jahr benötigen. Im Moment werden in ganz Österreich knapp 70 TWh produziert“, rechnet Rimser vor. Man müsste also allein für den Zweck der Stahlherst­ellung die Stromprodu­ktion um 50 Prozent steigern.

„Um den Bedarf mit alternativ­en Energieque­llen decken zu können, müsste man etwa 4000 Windkrafta­nlagen mit jeweils vier Megawatt Leistung bauen“, veranschau­licht Rimser. Aufgeteilt auf die 15 Jahre bis 2035 – dem anvisierte­n Beginn der Stahlprodu­ktion mit Wasserstof­f – wären das etwa 270 Windräder pro Jahr.

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Die Stahlherst­ellung könnte künftig nur mehr Wasserdamp­f als Abgas produziere­n.

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