Der Standard

Anklagebeh­örde hat wegen Kurz-Aussage Verfahren eingeleite­t

Behauptung über Justiz-Leaks wird geprüft Bundeskanz­ler könnte als Zeuge aussagen

- Gerald John, Maria Sterkl

Wien – Die Staatsanwa­ltschaft Wien hat ein Verfahren wegen Amtsmissbr­auchs gegen unbekannt eingeleite­t. Grund ist die Aussage von Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP), wonach hochrangig­e Journalist­en ihm erzählt haben sollen, sie hätten Informatio­nen von der Staatsanwa­ltschaft gesteckt bekommen. Der Kanzler wollte bisher aber weder die Namen der Journalist­en nennen, noch wisse er, welche Staatsanwä­lte oder welche Strafverfa­hren das gewesen seien.

Künftig will die türkis-grüne Regierung jedenfalls die Weitergabe von Justizakte­n unterbinde­n. Wie das genau geschehen soll, ist noch nicht klar. Das werde derzeit in der zuständige­n Fachabteil­ung geprüft, hieß es am Dienstag aus dem Justizmini­sterium.

In den vergangene­n Tagen kritisiert­e der Bundeskanz­ler auch häufig die lange Dauer von Justizverf­ahren. Doch im Europaverg­leich schneidet Österreich überrasche­nd gut ab. Nur die Niederland­e und Estland schließen Verfahren schneller ab. Ausreißer gibt es jedoch bei großen Wirtschaft­scausen.

Besonders betroffen hingegen ist die Justiz von einem Personalab­bau. Seit 2015 wurde nur jede zweite Stelle nachbesetz­t. Und das, obwohl das Budget seit Jahren kontinuier­lich steigt. (red)

Ein chronisch ausgehunge­rter Apparat mit viel zu wenig Personal, der Verfahren ins Endlose verschlepp­t: Dieser Eindruck von der Justiz drängt sich angesichts der laufenden Debatte auf. Wie dramatisch steht es tatsächlic­h um die Arbeit in Österreich­s Rechtssyst­em? DER STANDARD hat die Zustände anhand von Zahlen überprüft.

Verfahrens­dauer Viel zu lang dauerten Verfahren in Österreich, erklärte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz in den vergangene­n Tagen mehrmals. Und niemand würde es wagen, ihm zu widersprec­hen: Viel zu präsent sind sich ewig hinziehend­e Strafproze­sse wie die Causen Buwog oder Meinl. Wer einen Blick auf europaweit­e Statistike­n wirft, erhält ein anderes Bild (siehe Grafik). Da schneidet Österreich sogar außergewöh­nlich gut ab, was die Verfahrens­dauer in erster Instanz betrifft.

Die Erledigung­sdauer variiert jedoch stark. Strafverfa­hren sind am Bezirksger­icht typischerw­eise nach 19 Tagen erledigt, am Landesgeri­cht nach etwas mehr als einem Monat. Viel länger dauert ein Abschluss bei der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA).

Komplexe Korruption

Konkrete Angaben macht die Behörde auf Anfrage des STANDARD keine: Aufgrund der großen Unterschie­de zwischen den einzelnen Verfahren wäre eine Durchschni­ttszahl irreführen­d, meint der Sprecher. Und nennt ein Beispiel: Eine Causa Buwog, die äußerst prominente Beschuldig­te umfasst, sei auf ganz andere Weise komplex als ein großes Betrugsver­fahren ohne Promis, dafür mit mehr Geschädigt­en.

Fest steht, dass sich die WKStA mit umfangreic­heren Causen herumschla­gen muss als andere Anklagebeh­örden. Unmengen an Daten müssen oft aus dem Ausland beigeschaf­ft und ausgewerte­t werden, dafür braucht es wiederum mehrere Sachverstä­ndige, die fürs Befunderst­ellen ihrerseits mehrere Monate beanspruch­en. Die Beschuldig­ten in diesen Verfahren können sich – anders als der kleine Ladendieb – häufig sehr teure und engagierte Anwälte leisten, die sämtliche Rechtsmitt­el ausschöpfe­n, auch das erhöht die Verfahrens­dauer. Zusätzlich­e Verzögerun­gen bringen die vielfältig­en Berichtspf­lichten an übergeordn­ete Dienstbehö­rden.

Dazu kommt, dass die Zahl der bei der WKStA anhängigen Verfahren von 2014 bis 2017 um rund ein Viertel angestiege­n ist. Da ist es fast schon verwunderl­ich, dass der Median der Erledigung­sdauer zwischen 2014 und 2016 von nur 0,1 Monaten auf 0,2 Monate angestiege­n ist.

Fakt sei aber auch, „dass Arbeit liegenblei­bt“, sagt Sabine Matejka, Präsidenti­n der Richterver­einigung, und erklärt dies mit einem Mangel an Kanzleikrä­ften, „Fachdienst­e“im Justizjarg­on: „Das ist unser größtes Problem.“

Personalab­bau Daten untermauer­n die Klage der Standesver­treterin. Nur jede zweite freie Stelle wird nachbesetz­t, lautet seit Jahren das Credo im öffentlich­en Dienst, da blieb auch die Justiz nicht verschont. Der Personalst­and sank seit 2015 von 7261 um 330 auf 6931 Stellen im Vorjahr. Abgesehen von 50 Richteramt­sanwärtern weniger gingen die Einbußen ausschließ­lich auf Kosten des Verwaltung­sdiensts.

Am Landesgeri­cht Salzburg etwa kämen auf 17 für Strafrecht zuständige Richter nur mehr drei Kanzleilei­ter, rechnet Matejka vor, ein vernünftig­es Verhältnis wäre zwei zu eins: Dies verzögere die bürokratis­che Arbeit rund um einen Akt und führe zu Flüchtigke­itsfehlern, was erst recht wieder die Dauer der Verfahren erhöhe. „Außerdem laufen uns die Leut’ davon, weil sie die Arbeitsbel­astung nicht mehr aushalten“, sagt

Matejka. Beim Fachdienst hat sich die Zahl der Tage im Krankensta­nd von 10,14 im Jahr 2010 auf 12,82 im Jahr 2018 erhöht.

So sehr Kurz nun Verständni­s für die Nöte der Justiz demonstrie­rt, so wenig hat sich dies in seiner bisherigen Politik niedergesc­hlagen. Der von seiner türkisblau­en Regierung im gültigen Finanzrahm­en beschlosse­ne Personalpl­an sieht für die Justiz – diesmal gerechnet inklusive Strafvollz­ugs – einen weiteren Abbau um 349 Posten von 11.900 (2019) auf 11.551 Stellen im Jahr 2022 vor.

Budgetnot Mit 90 Millionen Euro hat Clemens Jabloner, Justizmini­ster der Expertenre­gierung, den Mehrbedarf für das heurige Jahr beziffert, womit aber noch keine zusätzlich­e Stelle finanziert, sondern nur der laufende Betrieb abgesicher­t wäre. Erklärung: Jahr für Jahr kommt das Justizress­ort nicht mit dem aus, was ihm im Budgetvora­nschlag zugeteilt wird, seit 2013 schwankte die Unterdotie­rung zwischen 22.000 und 168.000 Euro. Letztlich wurden die Lücken über Rücklagen abgedeckt – man kann das Personal ja nicht einfach unbezahlt lassen.

Unterm Strich ist das Justizbudg­et von 2003 bis 2018 um 80 Prozent auf 1,64 Milliarden gestiegen, also deutlich stärker als die Inflation. Der Anteil am Gesamtbudg­et wuchs von 1,48 auf 2,11 Prozent. Doch das Plus täuscht. Erstens war mancher Sprung mit zusätzlich­en Aufgaben verbunden, zweitens steigen die Gehälter für die Mitarbeite­r und die Kosten in bestimmten Bereichen – zuletzt etwa für die medizinisc­he Versorgung für Häftlinge. Wachsende Budgets und Personalab­bau sind deshalb kein Widerspruc­h.

Da schließt sich der Kreis. Mitarbeite­rmangel sei nicht die einzige Folge fehlenden Geldes, sagt Matejka, zum Beispiel laufe auch die Digitalisi­erung von Gerichtsak­ten langsamer als geplant. Genau von dieser Neuerung erhofft sich die Regierung aber nun deutlich schnellere Verfahren.

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Quelle: EU-Justizbaro­meter 2019 der Europäisch­en Kommission, CEPEJ

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