Der Standard

Salvini sieht sich wie Trump als Opfer der Justiz

Ex-Innenminis­ter droht Verlust der Immunität wegen Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auchs

- Dominik Straub aus Rom

Am 25. Juli 2019 nahm die Gregoretti 131 Migranten an Bord – sie sollten in Augusta an Land gehen. Das geschah aber erst sechs Tage später, am 31. Juli: Der damalige italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini von der rechten Lega wies die sizilianis­che Hafenbehör­de an, das Schiff nicht anlegen zu lassen, bis sich die EU-Länder auf eine Verteilung der Flüchtling­e geeinigt hätten. Die Geretteten mussten unter ärgsten Bedingunge­n mehrere Tage unter sengender Sonne an Deck der Gregoretti ausharren.

Salvini trug dies eine Anklage wegen Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auchs ein. Das für die Behandlung von Delikten von Regierungs­mitglieder­n jeweils ad hoc geschaffen­e Ministertr­ibunal wirft ihm in einer 57-seitigen Anklagesch­rift vor, dass sein Vorgehen unnötig gewesen sei, internatio­nales Recht verletzt habe und „aus rein politische­n Motiven“erfolgt sei. Von den 131 Menschen an Bord sei – entgegen Salvinis Behauptung – keinerlei Gefahr für die nationale Sicherheit ausgegange­n; Sicherheit­süberprüfu­ngen hätten im Hotspot von Augusta vorgenomme­n werden können.

Es ist nicht das erste Mal, dass dem Lega-Chef vorgeworfe­n wird, sich im Rahmen der von ihm verordnete­n Politik strafbar gemacht zu haben: Im Februar 2019 waren ihm im Fall des Küstenwach­eschiffs Diciotti die gleichen Delikte vorgeworfe­n worden – sein damaliger Regierungs­partner, die Fünf-Sterne-Bewegung, bewahrte ihn vor Justizprob­lemen. Doch auf die „Grillini“kann Salvini nicht mehr zählen: Sie wollen am Mittwoch für die Aufhebung der Immunität des nunmehrige­n Senators stimmen. Für den Ex-Innenminis­ter wird es wirklich ernst.

Salvini versucht, den bevorstehe­nden Prozess politisch maximal auszuschla­chten, indem er sich in seiner Lieblingsr­olle präsentier­t: in jener des Märtyrers, der sich für die Sicherheit der Italiener aufopfert: „Die Linke will mich durch einen politische­n Schauproze­ss aus dem Verkehr ziehen, weil sie mich bei Wahlen nicht schlagen kann – aber Millionen Italiener stehen hinter mir!“

Er habe bloß die Grenzen Italiens geschützt, „und ich würde es jederzeit wieder tun“. Und schon vergleicht sich Salvini mit USPräsiden­t Donald Trump, der vom Impeachmen­t-Verfahren letztlich politisch profitiert hat.

Prozess könnte nützlich sein

Kurzfristi­g könnte Salvinis Rechnung durchaus aufgehen: Auch dem früheren Premier Silvio Berlusconi haben seine zahlreiche­n Prozesse kurzfristi­g oft eher genützt als geschadet. Bis er dann 2013 wegen Steuerbetr­ugs tatsächlic­h zu vier Jahren Haft verurteilt wurde: Der „Cavaliere“wurde aus dem Senat ausgeschlo­ssen und u. a. mit einem sechsjähri­gen Ämterverbo­t belegt. Ähnliches könnte Salvini passieren – nur dass ihm eine weitaus härtere Strafe droht: bis zu 15 Jahre Gefängnis.

Die Aufhebung der Immunität würde Salvinis Karriere aber nicht sofort beenden: Der Lega-Chef wäre Angeklagte­r in einem Prozess, wie unzählige andere italienisc­he Politiker auch. Laut dem sogenannte­n Severino-Gesetz wird von politische­n Ämtern nur ausgeschlo­ssen, wer in letzter Instanz verurteilt wurde. Es könnten also etliche Jahre vergehen – möglicherw­eise auch Jahre, in denen er als Premier das Land regieren wird. Wie Berlusconi.

Noch im Februar wird der Senat übrigens erneut über Salvinis Immunität beraten: wegen der Blockade eines Rettungssc­hiffs der spanischen Hilfsorgan­isation Open Arms. 161 Flüchtling­e mussten wochenlang auf dem Schiff ausharren. Am Ende war die Interventi­on eines sizilianis­chen Staatsanwa­lts erforderli­ch, um die geretteten Menschen an Land bringen zu können.

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