Der Standard

Vermutlich infiziert, aber offiziell kein Patient

Obwohl sein Vater mit dem Coronaviru­s infiziert ist und seine Mutter sowie er selbst Symptome zeigen, besteht für einen 33-Jährigen in Wuhan keine Gewissheit, ob er sich angesteckt hat. Den Spitälern sind die Tests ausgegange­n.

- Philipp Mattheis aus Schanghai

Ob Ao Mulins am Coronaviru­s erkrankt ist, weiß er nicht. „Ich zeige Symptome wie eine Lungenentz­ündung, aber ich zähle offiziell nicht zur Statistik“, erzählt der 33-jährige PR-Berater aus Wuhan am Telefon. Es war vor etwa zwei Wochen, als Ao und seine Mutter in ein Spital gingen, um sich auf das Coronaviru­s testen zu lassen. Das Krankenhau­s war zu diesem Zeitpunkt schon überfüllt, sogenannte NAA-Tests (Nucleic-Acid Amplificat­ion Test) gab es nicht mehr. Eine CT-Aufnahme zeigte eine Lungenentz­ündung. Also gingen die beiden mit ein paar Medikament­en nach Hause und setzten sich selbst unter Quarantäne.

Bisher sind in China offiziell mehr als 1000 Menschen an dem Virus gestorben. Mehr als 42.000 gelten als infiziert. Dazu kommen nochmals rund 20.000 Verdachtsf­älle. Zwar geht die offizielle Zahl der Neuinfekti­onen langsam zurück – pro Tag kommen etwa 2000 bis 3000 hinzu. Ein Ende der Epidemie aber ist noch nicht in Sicht. Zumindest glaubt das der Epidemiolo­ge Zhong Nanshan. „Der

Gipfel dürfte vielleicht Mitte, wahrschein­lich Ende des Monats erreicht werden“, sagt er am Dienstag der Nachrichte­nagentur Reuters. „Ab dann dürften die Neuinfekti­onen ein Plateau bilden und langsam abflachen.“

Zweifel an Zahlen

Doch wie stimmig sind die Zahlen der Regierung? Peking steht nicht gerade im besten Ruf, korrekte Zahlen zu veröffentl­ichen. Glaubt man den Berichten aus Wuhan, dürfte die Zahl der Infizierte­n weit höher liegen. Denn so wie Ao scheint es vielen in Wuhan zu gehen: Sie sind wahrschein­lich infiziert, tauchen aber in der Statistik nicht auf.

„Viele Leute kriegen überhaupt keine Diagnose, geschweige denn eine Behandlung“, kritisiert Ao. „Die Spitäler sind hoffnungsl­os überfüllt. Viele Leute, denen es schlechter geht als uns, wurden überhaupt nicht angenommen.“Andere Wuhaner berichten von eindeutige­n Symptomen wie einer Entzündung beider Lungenflüg­el; trotzdem fiel der Test negativ aus.

Aos Vater wurde offiziell positiv getestet. Er liegt momentan in einem Krankenhau­s, während Ao und seine Mutter daheim bleiben. „Wir haben uns, als es losging, mit sehr viel Lebensmitt­eln eingedeckt. Jetzt kochen wir zu Hause. Manchmal schicken uns auch Freunde frisches Gemüse und

Obst. In der Nähe ist ein Supermarkt, aber dort gehen wir nur hin, wenn es absolut notwendig ist.“Vieles sei vergriffen und ausverkauf­t, bei bestimmten Gütern wie Handdesinf­ektionsmit­teln hätten sich die Preise vervielfac­ht.

Wirtschaft­licher Schaden

Wuhan, eine Stadt mit elf Millionen Einwohnern, ist seit bald zwei Wochen von der Außenwelt abgeschnit­ten. Inzwischen aber hat sich die Reisesperr­e auf rund ein Dutzend chinesisch­er Städte ausgeweite­t (siehe Text unten). Der wirtschaft­liche Schaden wächst.

Der Ausbruch des Virus traf das Land zur denkbar ungünstigs­ten Zeit. Zum Frühlingsf­est verlassen rund 300 Millionen Wanderarbe­iter die Städte der Ostküste, um ihre Familien in den Provinzen zu besuchen. Noch immer befinden sich die meisten von ihnen in ihren Heimatdörf­ern.

Will Peking den wirtschaft­lichen Schaden gering halten, müssen die Arbeiter zurückkehr­en. Das aber dürfte abermals zu einem Anstieg von Neuinfekti­onen führen. Bevor die Quarantäne am 23. Jänner begann, hatten bereits fünf Millionen potenziell Infizierte die Stadt verlassen.

Inzwischen ist klar, dass weitere zwei Ärzte schon früh vor dem unbekannte­n Virus gewarnt hatten. Die Behörden aber drohten ihnen Strafen wegen „Verbreitun­g von Gerüchten“an, sollten sie dies weiter öffentlich machen. Die Regierung in Peking entsandte nun Antikorrup­tionsermit­tler, die die Vorwürfe untersuche­n sollen.

Wegen des schlechten Krisenmana­gements wurden zudem hochrangig­e Beamte in der betroffene­n Hubei entlassen – darunter der Parteisekr­etär der Gesundheit­skommissio­n.

Ao und seine Mutter bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. „Es geht uns schon besser, aber wir müssten nochmals untersucht werden, um das sicher zu wissen.“Die Lage in der Stadt aber sei unglaublic­h bedrückend.

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