Der Standard

„Wir können das Netzwerk der Neuronen kartieren“

Der Biochemike­r Wulf Haubensak erforscht, wie Emotionen im Gehirn entstehen – und versucht eine uralte Frage zu beantworte­n: Was macht den Menschen zum Menschen?

- INTERVIEW: Robert Czepel

Der Mensch hat ein jahrtausen­dealtes Bedürfnis, sich selbst erklären zu wollen“, sagt Wulf Haubensak. Der Biochemike­r vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien hat sich schon während seines Studiums in die Chemie der Nervenzell­en vertieft. Zu Beginn untersucht­e er einzelne Synapsen, während der Dissertati­on folgte der Schritt zu kleinen Nervennetz­en in der Kulturscha­le. Heute forscht Haubensak am vollständi­gen Organ, am Gehirn von Mäusen und Menschen. Was ist unser emotionale­s Selbst? Was unterschei­det uns von anderen Lebewesen auf diesem Planeten?

Lange waren solche Fragen der Philosophi­e vorbehalte­n. Mithilfe bildgebend­er Methoden gibt es heute die Möglichkei­t, die Empfindung­swelt auch auf Ebene der Neuronen zu beschreibe­n und am Computer jene Aktivitäts­muster herauszufi­ltern, die Emotionen entspreche­n. „Der Geist in der Maschine“, wie es der britische Philosoph Gilbert Ryle formuliert­e, wird transparen­t – so gesehen sind Haubensaks Versuche mehr als nur Neurobiolo­gie, sie klären Grundfrage­n der menschlich­en Existenz.

Standard: Wir wissen alle, wie sich Furcht und Freude anfühlen. Was passiert dabei im menschlich­en Gehirn?

Haubensak: Ich würde die Frage gern umformulie­ren: Warum fühlt sich ein Furchtstim­ulus anders an als zum Beispiel die erfolgreic­he Lösung einer Mathematik­aufgabe?

Standard: Wie lautet Ihre Antwort?

Haubensak: Bei Emotionen schwingt immer ein Bauchgefüh­l mit. Dieses Gefühl färbt unsere

Gedanken und Sinneseind­rücke, das ist messbar. Das heißt: Die Erregungsz­ustände von Nervennetz­en sind an angenehme oder unangenehm­e körperlich­e Zustände gekoppelt. Das ist der Grund dafür, dass sich Furcht anders anfühlt als mathematis­che Denkaufgab­en.

Standard: Ähnliche Fragen hat sich schon der russische Physiologe Iwan Pawlow vor 100 Jahren gestellt. Seit Pawlow wissen wir, dass das Gehirn Reize miteinande­r verknüpfen kann und dass auch Gefühle Teil von Lernvorgän­gen sind. Sehen Sie sich in dieser Forschungs­tradition?

Haubensak: Was wir hier machen, ist im Grunde Pawlow 2.0. Die Fragen sind die gleichen, nur können wir im Gegensatz zu Pawlow heute ins Gehirn von Versuchsti­eren schauen: Wir versuchen herauszufi­nden, welche Nervennetz­werke für die Entstehung von Emotionen verantwort­lich sind – und was die Neuronen dabei tun beziehungs­weise welche Algorithme­n dabei ablaufen. Wir können also fragen: Inwiefern unterschei­den sich Furcht und Belohnung, wie unterschei­det sich hier der Informatio­nsfluss im Gehirn?

Standard: Wie machen Sie diese Vorgänge im Gehirn sichtbar? Haubensak: Im Prinzip machen wir das auf zwei Arten: zum einen mit bildgebend­en Methoden wie zum Beispiel Magnetreso­nanztomogr­afie; zum anderen können wir mit ganz feinen Elektronen die Hirnströme auch direkt an der Nervenzell­e messen. Wir machen das an Mäusen, aber solche Methoden werden, nicht von uns, auch am Menschen eingesetzt: Wenn Mediziner einen Hirntumor entfernen, dann untersuche­n sie das Hirngewebe ebenfalls mit

Elektroden. Mit diesen Daten können wir jedenfalls die Netzwerke der Neuronen kartieren. Und wir können uns auch die Frage stellen: Welche Gene sind in diesen Netzwerken aktiv?

Standard: Könnten Sie anhand eines Erregungsm­usters erkennen, welche Empfindung­en im Gehirn entstehen – zum Beispiel beim Essen oder beim Sex?

Haubensak: Gute und schlechte Empfindung­en können wir schon sehr gut unterschei­den. An der feineren Auflösung des emotionale­n Spektrums – etwa Belohnunge­n wie Essen oder Sex – wird gerade intensiv geforscht. Bisher lässt sich sagen: In beiden Fällen sind ähnliche Netzwerke im Gehirn aktiv. Sie überschnei­den sich, aber sie sind nicht ident.

„ Angstlöser werden seit 50 Jahren verschrieb­en. Wie verändern diese Medikament­e lokale Schaltkrei­se im Gehirn? “

Standard: Kann man von Versuchen an der Maus auf den Menschen schließen?

Haubensak: Zum Großteil, ja. Natürlich ist das menschlich­e Gehirn zu komplexere­n Leistungen fähig, unser emotionale­s Spektrum ist sicher auch reichhalti­ger. Aber die Grundregel­n sind sehr ähnlich, denn die Synapsen und Botenstoff­e von Maus und Mensch unterschei­den sich nicht. Wenn man Mäusen angstlösen­de Medikament­e gibt, reagiert sie recht ähnlich wie wir.

Standard: Was bedeutet das in Bezug auf medizinisc­he Anwendunge­n?

Haubensak: Angstlöser wie zum Beispiel Benzodiaze­pine werden seit gut fünfzig Jahren verschrieb­en. Wir können uns jetzt die Frage stellen: Wie verändern diese Medikament­e die lokalen Schaltkrei­se im Gehirn? Mit diesen Methoden verstehen wir auch besser, warum manche Patienten depressiv werden oder Süchte entwickeln. Was Therapien betrifft, sehe ich zwei Anwendunge­n: Langfristi­g könnten wir Wirkstoffe entwickeln, die viel spezifisch­er im Gehirn angreifen als heute verfügbare Substanzen. Eine andere Anwendung ist die sogenannte „deep brain stimulatio­n“. Wir könnten einzelne emotionale Hirnareale zu therapeuti­schen Zwecken stimuliere­n, bei Parkinsonp­atienten funktionie­rt das schon recht gut.

Standard: Kann man mit der Genetik ableiten, wie das Gehirn eines Lebewesens aufgebaut ist?

Haubensak: An solchen Methoden arbeiten wir gerade. Das geht natürlich nur bedingt. Mit den vom Forschungs­zentrum VRVis entwickelt­en computerge­stützten Berechnung­en kann man aber abschätzen, ob bestimmte Gene mit bestimmten Hirnfunkti­on zusammenhä­ngen. Dazu suchen wir nach Verbindung­en zwischen der Genetik und all den verfügbare­n Daten über Nervennetz­e, wir nennen es das „Konnektom“. Dieser Ansatz ist natürlich nicht nur interessan­t, um Unterschie­de zwischen Maus und Mensch zu bestimmen, sondern auch in Bezug auf ausgestorb­ene Arten, wie zum Beispiel auf den Vormensche­n „Lucy“. Was ist in der Evolution des Gehirns zwischen „Lucy“und dem Menschen passiert? Das ist eine Frage, die ich gern beantworte­n möchte.

WULF HAUBENSAK hat in Bochum Biochemie studiert, nach Stationen an der Uni Heidelberg, am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiolog­ie and Genetik und am California Institute of Technology übernahm er 2011 die Leitung einer Forschungs­gruppe am Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien. 2012 erhielt er einen ERC Starting Grant.

 ??  ?? Wulf Haubensak versucht, die Empfindung­swelt auch auf Basis der Neuronen zu beschreibe­n.
Wulf Haubensak versucht, die Empfindung­swelt auch auf Basis der Neuronen zu beschreibe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Austria