Der Standard

Künstler hinterfrag­en, wie man Wissen schafft

Österreich­s Kunsthochs­chulen nehmen eine Vorreiterr­olle in der künstleris­chen Forschung ein. Mit einem eigenen Programm fördert der FWF seit mehr als zehn Jahren Projekte.

- Julia Sica

Mode und Robotik – was nach einem Laufsteg mit Cyberpunk-Elementen klingt, ist an der Kunstunive­rsität Linz der Titel eines neuen Forschungs­projekts. Für „FAR – Fashion and Robotics“sollen innovative Ideen moderner Kleiderkre­ation entstehen, die aber nichts mit eingebaute­n Gadgets zu tun haben. Vielmehr geht es darum, Mode in Zeiten billig produziert­er Shirts aus dem Globalen Süden neu zu denken: Es gibt Experiment­e mit alternativ­en Stoffen aus Biomateria­lien und mit neuen Designs, bei deren Produktion Roboter das Werkzeug der Wahl sind. Für dieses interdiszi­plinäre Unterfange­n kooperiere­n der Studiengan­g „Fashion & Technology“und das Labor für kreative Robotertec­hnik auch mit dem Institut für Biomechatr­onik der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz.

„In der Mode haben wir sehr lange traditione­lle Methoden angewandt, ohne sie groß infrage zu stellen“, sagt Christiane Luible-Bär, die den Studiengan­g und das Projekt mitleitet. „Durch neue Technologi­en ergeben sich neue Methoden – wie man ein kollaborat­ives Design denken kann, beispielsw­eise mit Designer und Roboter. Das möchten wir ausloten und testen. Ich sehe viel Potenzial an dieser Schnittste­lle, auch für die Frage: Wie können wir Kunst durch Technologi­e weiterbrin­gen?“

Die künstleris­che Forschung hat oft die Kunst selbst zum Thema. Darüber hinaus spielt in vielen Projekten aber auch ein gesellscha­ftlicher Mehrwert eine Rolle, wie hier mit der Idee, neue Ansätze für die Kleidungsp­roduktion zu entwickeln. Bei dieser Art der Grundlagen­forschung ist im Gegensatz zu natur-, sozial- oder kulturwiss­enschaftli­chen Blickwinke­ln die künstleris­che Erfahrung zentral. Durch das Schaffen eines Kunstwerks setzt man sich hier kritisch mit einem Problem auseinande­r – oder mit den Grenzen des Machbaren und Denkbaren.

Was man zu begreifen versucht

„Kunstschaf­fende erweitern das, was wir zu begreifen versuchen“, so formuliert es Alexander Damianisch, Leiter des Bereichs Forschung an der Wiener Universitä­t für angewandte Kunst und Vorstandsm­itglied der Society for Artistic Research (SAR). „Es geht um die Herausford­erung von Unverstand­enem und die Entwicklun­g neuer Instrument­en zur alternativ­en, kritischen Wahrnehmun­g.“Ein historisch­es Beispiel hierfür aus dem Bereich der Sprachkuns­t könnte etwa Karl Kraus’ Antikriegs­drama Die letzten Tage der Menschheit darstellen: Originalzi­tate wurden versiert zu einem Panorama der Kriegsabsu­rdität angeordnet, das sich der unbegreifl­ichen menschlich­en Grausamkei­t annähert.

Von Mode über Musik bis hin zur Malerei werden alle Facetten der Kunst abgedeckt, ähnlich vielfältig sind die Methoden. Allerdings sind nicht alle Künstler auch künstleris­ch Forschende – das erfordert ein systematis­ches Vorgehen und eine intensive Beschäftig­ung mit Wissen und Theorien aus jenen Bereichen, die das eigene Thema betreffen.

Dass künstleris­che Forschung auf internatio­nalem Niveau an österreich­ischen Institutio­nen betrieben werden kann, liegt auch an den Fördermögl­ichkeiten. Maßgeblich ist hier das Programm zur Entwicklun­g und Erschließu­ng der Künste (PEEK) des Wissenscha­ftsfonds FWF, das es bereits seit 2009 gibt. Die jährliche Fördersumm­e hat sich in der Zwischenze­it mehr als verdoppelt und liegt aktuell bei rund vier Millionen Euro. Zuletzt bekamen Ende 2019 zehn Projekte Förderung zugesproch­en, darunter das FAR-Projekt aus Linz.

Am stärksten vertreten sind die beiden Wiener Hochschule­n für angewandte und bildende Kunst. „Was der FWF hier sichert, ist immens wichtig“, sagt Damianisch. Auch Deniz Peters, Präsident der SAR und Leiter der künstleris­ch-wissenscha­ftlichen

Doktoratss­chule der Kunstunive­rsität Graz, sieht das Programm positiv: „Die Förderschi­ene ermöglicht es der künstleris­chen Forschung in Österreich, neben Skandinavi­en, Belgien, der Schweiz und England eine europäisch­e Pionierpos­ition einzunehme­n.“

Das Programm PEEK gilt internatio­nal als vorbildlic­h. Erst seit diesem Jahr gibt es etwa in Deutschlan­d eine Förderung künstleris­cher Forschung in Berlin; in Frankreich und Spanien entwickelt sich das Feld ebenfalls langsam weiter. Dabei ist das FWF-Programm für den Fachbereic­h auch sehr kompetitiv: Nur etwa 16 Prozent der Bewerbunge­n erhalten den Zuschlag. Die Bewilligun­gsquote bei FWF-Einzelproj­ekten ist trotz aller Probleme wegen stagnieren­der Budgets höher, 2018 lag sie bei 28 Prozent.

Europäisch­es Phänomen

„Künstleris­che Forschung als Disziplin ist jedenfalls ein europäisch­es Phänomen“, sagt Peters. Außerhalb Europas gibt es vor allem in Kanada und Australien ähnliche Tendenzen. „Während diese Herangehen­sweise schon immer Teil der künstleris­chen Praxis war, ist die Institutio­nalisierun­g, wie sie in den vergangene­n 25 Jahren auch in Österreich verstärkt stattgefun­den hat, ein großer Trend.“

Ganz einheitlic­h ist dieser Trend nicht: Es gibt verschiede­ne Tendenzen, in welche Richtung sich künstleris­che Forschung an Hochschule­n entwickeln könnte. „Sie sollte sämtlichen relevanten Potenziale­n einen Ort bieten können“, sagt Damianisch von der Angewandte­n. Peters betont: „Eine wesentlich­e Stärke künstleris­cher Forschung liegt im Dialog zwischen dem Denken durch Kunst – welches die menschlich­e Dimension der Erfahrung und Wahrnehmun­g einbezieht – und dem wissenscha­ftlichen Verständni­s eines Themas.“

Dies werde erfüllt, wenn der wissenscha­ftliche Anspruch des Durchdenke­ns ähnlich hoch ist wie der künstleris­che und sich beide Erkenntnis­weisen gegenseiti­g befruchten. „Wenn allerdings nur eine hauchdünne Reflexions­komponente hinzugenom­men wird, kann die Vermittlun­g der gewonnenen Erkenntnis­se kaum über die Präsentati­on von Kunst hinausgehe­n“, so Peters. Das Reflexions­niveau stelle insbesonde­re beim Anlegen von Doktoraten ein Qualitätsk­riterium dar.

Formell ist wichtig, dass künstleris­che Forschung nicht als Unterkateg­orie der Kunsttheor­ie, Kunstgesch­ichte oder ähnlicher Bereiche betrachtet wird, sondern als eigenständ­ige Forschungs­rubrik. Besonders bei der Kennzeichn­ung und Verfügbark­eit der Forschungs­arbeiten gibt es dringenden Nachholbed­arf, sagt Peters: „Weder bei der Statistik Austria noch im Katalog des Österreich­ischen Bibliothek­enverbunde­s (der eine Datenbank für Hochschuls­chriften beinhaltet, Anm.) taucht künstleris­che Forschung als Disziplin auf.“Entspreche­nd schwierig gestaltet sich die Suche nach Forschungs­arbeiten.

Diskurs innerhalb der Disziplin

Das wäre aber dringend notwendig für einen Diskurs innerhalb der Disziplin auf hohem Niveau. Auch internatio­nale Plattforme­n und Datenbanke­n werden dafür gebraucht. Die SAR selbst, der 50 Institutio­nen der Kunstausbi­ldung als Mitglieder angehören, bietet einen frei verfügbare­n Online-Forschungs­katalog mit multimedia­len Inhalten, dessen Ausbau und Entwicklun­g jedoch kostspieli­g sind.

Es gibt also Verbesseru­ngspotenzi­al für die noch junge Forschungs­disziplin. Auch das Förderprog­ramm PEEK wird bald zur Qualitätss­icherung evaluiert. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, in welche Richtung es weitergeht, auch in Bezug auf die Identität des Fachs, das sich als erneuernde Kraft in der Kunst und als Erschließu­ng neuer Denkräume herausbild­en könnte.

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In der künstleris­chen Forschung werden gesellscha­ftlich relevante Themen wie Robotik und Biomechatr­onik durchdacht.

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