Der Standard

Der lange Weg zur Kreislaufw­irtschaft

Um die Wiederverw­ertung von Rohstoffen zum allgemeine­n Prinzip zu machen, braucht es geeignete Rahmenbedi­ngungen. Auch eine mutige Politik gehört dazu.

- Alois Pumhösel

Warum sind alte Handys keine Goldgrube? „Eine Tonne Handys beinhaltet insgesamt Gold im Ausmaß von vielleicht 250 Gramm. Wenn ich im Tagebau Gold abbaue, sind pro Tonne abgebauten Gesteins vielleicht fünf Gramm Gold zu finden. Trotzdem schaffen wir es nicht, ein Abfallsyst­em zu etablieren, bei dem ein Recycling der Altgeräte eine wesentlich­e Rolle spielt“, sagt Anke Bockreis. „Zwar gibt es Anlagen, die das machen, allerdings nur zu einem hohen Preis. In diesem Bereich sind wir zu wenig dran.“

Bockreis ist Professori­n für Abfallbeha­ndlung und Ressourcen­management sowie Vizerektor­in für Infrastruk­tur an der Uni Innsbruck. Ihr anschaulic­her Vergleich zeigt, dass der Weg zur vielbeschw­orenen Kreislaufw­irtschaft weit ist und die Wirtschaft in vielen Bereichen noch am Anfang steht. Gleichzeit­ig ist aber klar, dass der Weg gegangen werden muss, möchte man angesichts des Klimawande­ls ein ressourcen­schonendes Wirtschaft­s- und Produktion­sumfeld etablieren.

Bockreis war eine der Vortragend­en beim „Innsbrucke­r Abfall- und Ressourcen­tag 2020“, der vergangene Woche an der Uni Innsbruck stattfand. Veranstalt­er war die Gesellscha­ft für Wasser- und Abfallwirt­schaft, eine Tochterges­ellschaft der Branchenve­rtreter des Wasser- und Abfallwirt­schaftsver­bands (ÖWAV), gemeinsam mit der Uni und dem Land Tirol. Die Wissenscha­fterin, die auch Teil des Vorstands des ÖWAV ist, stellte in ihrem Vortrag die Frage, was die Abfallwirt­schaft im Kampf gegen den Klimawande­l beitragen kann.

Emissionen der Abfallwirt­schaft

Die Treibhausg­asemission­en, die die Abfallwirt­schaft selbst verursacht, sind vergleichs­weise gering. 2017 entfielen in Österreich laut Umweltbund­esamt 3,5 Prozent auf diesen Bereich. Zum Vergleich: Der Verkehr machte im selben Jahr knapp 29 Prozent aus, Industrie und Energie über 38 Prozent. Dabei sei für Bockreis aber auch zu beachten, dass die einzelnen Bereiche nicht scharf abgrenzbar sind: Wird Müll von einem Ort zum anderen transporti­ert, wird das dem Verkehr zugerechne­t, weggeworfe­ne Produkte landen in der Bilanz der Industrie.

Innerhalb der Abfallbran­che stiegen die Emissionen in den vergangene­n Jahrzehnte­n vor allem in zwei Bereichen: Zum einen gab es Zuwächse in der biologisch­en Abfallbeha­ndlung, die Kompostier­ungs- oder Vergärungs­prozesse nutzt – insgesamt ist ihr Anteil aber nach wie vor überschaub­ar. Den Hauptantei­l macht die thermische Verwertung mit 1,7 Prozent der Treibhausg­asGesamtem­issionen aus, hier gab es seit 1990 große Zuwächse. Die einst hohen CO2-Emissionen der Deponierun­g wurden stark reduziert und machen dagegen nur noch ein Drittel der Werts von 1990 aus.

Die Frage ist nun aber, wie die Abfallwirt­schaft bei einer Etablierun­g der

Kreislaufw­irtschaft und einer einhergehe­nden Reduzierun­g der CO2-Emissionen in anderen Bereichen beitragen kann. Welche Rahmenbedi­ngungen braucht es, um das Prinzip Wiederverw­ertung zu einem allgemeine­n Status quo zu machen?

Eine der wichtigste­n Maßnahmen ist für Bockreis die Stärkung des öffentlich­en Bewusstsei­ns. „Das oberste Prinzip muss Abfallverm­eidung sein“, sagt Bockreis. „Jeder sollte sich überlegen, ob das individuel­le Konsumverh­alten noch zeitgerech­t ist und wir all die Dinge, die wir kaufen, überhaupt benötigen.“Gleichzeit­ig wird vieles weggeworfe­n, was eigentlich noch konsumierb­ar ist: Warum schafft es schief gewachsene­s Gemüse nicht in den Handel? Warum wird ein Joghurt am Tag nach dem Ende des Haltbarkei­tsdatums – obwohl es noch problemlos genießbar ist – weggeworfe­n?

Bockreis plädiert dafür, dass der Umgang mit Ressourcen schon früh in der Schulbildu­ng ein Thema wird. Gleichzeit­ig solle die Wertigkeit der Produkte erhöht werden. „Auch an ein Zwei-Euro-Shirt hat ein Arbeiter Hand angelegt. Den Produkten muss ein entspreche­nder Wert gegeben werden, dann gehen die Konsumente­n auch anders damit um“, sagt Bockreis. Die Akzeptanz von Recyclingp­rodukten und die Berücksich­tigung der Recyclingf­ähigkeit beim Kauf sei zudem zu verbessern.

Restmüllpo­tenzial

Auch die stoffliche Verwertung selbst müsse ausgebaut werden. „Im Restmüll, der zurzeit verbrannt wird, ist noch viel Potenzial drinnen“, betont die Wissenscha­fterin. Bessere Mülltrennu­ng oder effiziente­re Mechanisme­n der Sortierung sind gefragt. Ist eine kaskadisch­e Nutzung möglich? Kann also etwa die Milchsäure im Bioabfall in Bioverpack­ungen oder -kraftstoff verwandelt werden, bevor die Qualität nur noch für die Energiepro­duktion in einer Biogasanla­ge ausreicht?

Der Verpackung­sbereich sollte zudem einheitlic­her werden, damit die Entsorgung nicht mit zu vielen Kunststoff­varianten konfrontie­rt ist. „Bei den Verpackung­en, die notwendig sind, sollte man sich für jene entscheide­n, die gut sortierbar sind“, erläutert Bockreis. Erste Ansätze für ein „Design for Recycling“gebe es bereits. Die Kreislauff­ührung darf aber auch nicht dazu führen, dass sich Schadstoff­e in den wiederverw­erteten Materialie­n anreichern. Es muss etwa Grenzwerte geben, wie viel Mikroplast­ik im Kompost noch akzeptabel ist.

Schlussend­lich braucht es geeignete regulatori­sche Maßnahmen. Ein Nachhaltig­keitsindex wäre ein Beispiel für eine erste Maßnahme: Die ökologisch­en Auswirkung­en könnten dabei auf einem Produkt oder einer Verpackung leicht verständli­ch für den Konsumente­n verzeichne­t werden – etwa mittels einer Note oder eines Ampelsyste­ms. Bockreis: „Wir brauchen eine mutige Politik, die willens ist, Maßnahmen trotz Gegenwinds umzusetzen.“

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