Der Standard

Familien-Bonding in Jerusalem

Katrin Plötner lässt Lessings „Nathan der Weise“am Landesthea­ter Linz nach zähem Ringen mit der Sprache mit einem Knalleffek­t enden.

- Margarete Affenzelle­r

Gotthold Ephraim Lessing siedelt sein Drama Nathan der Weise im umkämpften Jerusalem der Kreuzzüge an: 12. Jahrhunder­t, feudale Gesellscha­ftsordnung, erste Hochblüte des Ritterstan­des. Lessing bringt Vertreter aller drei Weltreligi­onen als Übung in Toleranz zusammen: Juden, Christen und Muslime. In Zeiten von Islamophob­ie und neu erstarkend­em Antisemiti­smus ist der Dramenklas­siker auf Spielpläne­n wieder häufig anzutreffe­n. Am Landesthea­ter Linz schafft sich Regisseuri­n Katrin Plötner mit einer Kunstmärch­enoptik einen zeitlosen Gedankenra­um, in dem Vorurteile abgewogen werden.

Dafür hat ihr Lessing einen veritablen Thriller-Plot bereitgest­ellt: Bei einer Feuersbrun­st im Haus des jüdischen Kaufmanns Nathan (Sebastian Hufschmidt) wird dessen Tochter Recha (Theresa Palfi) von einem Ritter des Templerord­ens (Markus Ransmayr) gerettet. Dieser wiederum verdankt sein junges Leben der Begnadigun­g durch den regierende­n Sultan, der bei Plötner zur Sultanin (Katharina Knap) geworden ist. Damit setzt sie zwei Figuren in eine: den Sultan und dessen ohnehin deutlich durchsetzu­ngsfähiger­e Schwester Sittah.

Am Ende wird sich herausstel­len, dass die jüdisch erzogene Recha nicht die leibliche Tochter Nathans ist und sowohl sie als auch der Tempelherr in Wahrheit Kinder des verstorben­en Sultan-Bruders sind. Und dass, hurra – als Spiegelung der berühmten RingParabe­l –, alle drei Weltreligi­onen in einer großen Familie friedlich Platz finden können.

Christlich­er Amokläufer

Diesem idyllische­n Ende misstraut Plötner. Ihre Inszenieru­ng am Schauspiel­haus beginnt mit einem krachenden Milizeinsa­tz (am Boden robbende Statisten in Camouflage, die erst zum Schlussapp­laus wieder auftauchen) und endet mit Schüssen. Muss man die plötzlich festgestel­lte Verwandtsc­haft über Religionsg­renzen hinweg bei Lessing als freudvoll einschätze­n, so überforder­t die neue Konstellat­ion den jungen christlich­en Ritter in Plötners Neuinszeni­erung, und er greift zur Waffe. Als unerträgli­ches Sündenhaus erscheint ihm diese religiöse Durchmisch­ung. Besonders raffiniert löst Plötner diese letzte Szene, die ihrerseits auch ein offenes Ende hat, das aber hier nicht vorweggeno­mmen werden soll.

Bis dahin drehen die fünf Akte, in denen auch die sprachlich­e Steilvorla­ge (Enjambemen­t) dem Ensemble zu schaffen macht, eher zäh ihre Runden. Für die vernuschel­ten, weggeatmet­en Verse entschädig­t die Vorhangbüh­ne von Anneliese Neudecker. Sieben riesige Stoffbahne­n in warmen Farben verleihen dem abstrakten Raum fernöstlic­he und herrschaft­liche Anmutung und erinnern in ihrem Purismus an Bühnenbild­er der großen Katrin Brack. In diese Welt aus Seide ist Recha mit ihrem Kleid eingenäht, ein Schachzug von Kostümbild­nerin Henriette Müller, der mustergült­ig zeigt, wie sehr sich die Inszenieru­ng auf diese (schöne) Oberfläche zurückzieh­t.

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Der Vorhang ist ihr Kleid: Recha (Theresa Palfi), Tochter des reichen Nathan, ist am Schauspiel­haus Linz auf eindrückli­che Weise an ihr Heim gekettet.

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