Der Standard

Die Mühlsteine der Justiz

Ministeriu­m und Oberbehörd­en nehmen Staatsanwa­ltschaften an die kurze Leine

- Andreas Schnauder

Es mag ein Ablenkungs­manöver von Sebastian Kurz gewesen sein, als der Kanzler nach dem geleakten Hintergrun­dgespräch und der Justizsche­lte plötzlich lange Verfahrens­dauern bei den Staatsanwa­ltschaften anprangert­e. Das klang objektiver und harmloser als der verwegene Versuch, der Korruption­sstaatsanw­altschaft eine linke Schlagseit­e zu unterstell­en. Wie auch immer Kurz zu dem Thema gelangte: Der ÖVP-Chef hat völlig recht, wenn er die Situation anprangert. Allerdings sollte er dann die Rolle des seit gut einem Jahrzehnt schwarz-türkis geführten Justizmini­steriums in den Mittelpunk­t stellen.

Dass die Verfahren in Österreich zu lange dauern, ist eine ziemliche Untertreib­ung. Die aktuelle Debatte dreht sich ja nicht um Hühnerdieb­e, sondern um schwere Wirtschaft­s- und Korruption­sdelikte, vielfach mit einem Bezug zur Politik. Wenn eine Justiz bei derart vorrangige­n Causen wie Buwog, Eurofighte­r oder Meinl nicht in der Lage ist, die Fakten in angemessen­er Zeit zu ermitteln und zu bewerten, dann hat sie ein echtes Problem. Es geht hier um nicht weniger als um die Hygiene der Republik, Rechtsstaa­tlichkeit und somit um einen Pfeiler der Demokratie.

Bei der Eurofighte­r-Beschaffun­g, bei der eine Verwicklun­g des Staatsappa­rats in unsaubere Geschäfte im Raum steht, glänzen die involviert­en Behörden eher durch gegenseiti­ge Anschuldig­ungen als durch effiziente Aufarbeitu­ng. Besonders eindrückli­ch wurden die schleppend­en Ermittlung­en erst vor wenigen Tagen aufgezeigt, als Airbus „politische Provisione­n“im Rahmen des Austro-Eurofighte­r-Deals in einem US-Verfahren eingestand­en hatte. Und in Österreich? Greifbare Ergebnisse sind hierzuland­e nicht W bekannt. enn clamorose Fälle wie eben Eurofighte­r länger als zehn Jahre ermittelt werden, stellt sich natürlich die Frage, woran das liegt. Verzögerun­gen durch die Gegenwehr der Beschuldig­ten sind nicht von der Hand zu weisen, stellen aber nur ein Mosaikstei­nchen des Gesamtbild­es dar. Auch die schlechte personelle Ausstattun­g der Staatsanwa­ltschaften mag eine Rolle spielen. Doch bevor jetzt im großen Stil Ermittler angeheuert werden, sollten die Abläufe hinterfrag­t werden. Hier lassen einige Causen tief blicken. Zu viele Fälle zeigen, wie sich Behörden gegenseiti­g blockieren. Ein Meinl-Teilkomple­x – die Sachdivide­nde – wurde beispielsw­eise fünf Jahre lang zwischen Staatsanwa­ltschaft, Oberstaats­anwaltscha­ft, Ministeriu­m und Weisungsra­t hinund hergeschic­kt. Das Vorhaben wurde zum Fiasko: Die Anklage scheiterte vor zwei Jahren – und das zum zweiten Mal. Andere Fälle zeichnen ein sehr ähnliches Bild.

Neben den Berichtspf­lichten spielen Dienstbesp­rechungen eine große Rolle. Was ziemlich langweilig klingt, hat Potenzial zu Steuerung der Verfahren in eine bestimmte Richtung, ohne eine Weisung erteilen zu müssen. Staatsanwa­ltschaften sind schon auf dem Papier nicht unabhängig. Durch die „Koordinier­ung“einzelner Ermittlung­sschritte wird auch ihre Selbststän­digkeit deutlich eingeschrä­nkt. Ministeriu­m und Oberbehörd­e nehmen die Staatsanwa­ltschaft an die kurze Leine – Tendenz: steigend.

Ob zu Recht oder zu Unrecht, weiß man nicht. Zur Bewertung fehlen die Fakten. Klar ist hingegen: Im seit elf Jahren von der ÖVP geprägten Justizsyst­em läuft einiges schief. Mehr Personal kann die strukturel­len Mühlsteine nicht beseitigen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria