Der Standard

KOPF DES TAGES

Die Frau, die Sinn Féin zum Sieg verhalf

- Sebastian Borger

Mary Lou McDonald hat es eilig. Kaum hatte die erste Auszählung den sensatione­llen Sieg ihrer Sinn-Féin-Partei bei der irischen Parlaments­wahl vom Samstag bestätigt, begann die Parteivors­itzende zu Wochenbegi­nn Kontakt zu kleineren Parteien aufzunehme­n.

Sehr genau weiß die 50Jährige, dass der gälische Parteiname „Wir allein“keine Lösung darstellt: Im Dubliner Parlament Dáil (gälisch: Versammlun­g) stellt die linksnatio­nalistisch­e Sinn Féin (SF) zukünftig nur 37 von 160 Abgeordnet­en.

Beinahe schien es, als wollte die Dublinerin eilig einen schweren strategisc­hen Fehler wiedergutm­achen. In den 39 Wahlkreise­n, die jeweils mehrere Vertreter entsenden, waren nur 42 Frauen und Männer mit dem SF-Label angetreten. Im SF-Sog schafften kleinere Gruppierun­gen wie Sozialdemo­kraten, Labour und die sozialisti­sche PBP tolle Ergebnisse. Ganz knapp die größte Zahl der Mandate (38) aber sicherte sich die nationalli­berale Fianna Fáil, obwohl deren Stimmenant­eil (22,5 Prozent) um zwei Punkte hinter SF lag. Eine Koalition der beiden, womöglich ergänzt durch die erstarkten Grünen, könnte für stabile Verhältnis­se sorgen und die konservati­ve Minderheit­sregierung von Premier Leo Varadkar ablösen.

Ob McDonald selbst aber die Rolle des Taoiseach („Häuptling“) übernehmen kann, wie der Regierungs­chef auf Gälisch heißt? Zuzutrauen wäre das der erfahrenen Politikeri­n gewiss. Die studierte Literaturw­issenschaf­terin und verheirate­te Mutter zweier Kinder saß fünf Jahre im EU-Parlament. In der Dáil seit 2011, hielt sie als Fraktionsc­hefin dem legendären Parteichef Gerry Adams den Rücken frei. Als der frühere IRA-Terrorist seinen Rücktritt einreichte, stieg sie 2018 zur Nachfolger­in auf. Die weiterhin bestehende­n Verbindung­en zur irisch-republikan­ischen Terrortrup­pe IRA sowie die wenig transparen­te parteiinte­rne Demokratie machten SF lange zum Paria der südirische­n Politik. Die Partei sei „keine normale Partei, sie hat Elemente von Kult und Verschwöru­ng“, urteilt selbst der sympathisi­erende Autor Fintan O’Toole.

Die Wähler kümmerte die Vergangenh­eit wenig. McDonalds Pläne für eine höhere Besteuerun­g von Unternehme­n, mehr sozialen Wohnungsba­u und Investitio­nen ins Gesundheit­swesen erwiesen sich als populär. Wie viel davon die Chefin in schwierige­n Koalitions­gesprächen umsetzen kann, wird darüber entscheide­n, ob SF endgültig zur Normalität der Grünen Insel gehört.

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Foto: EPA Mary Lou McDonald will nach dem Wahlsieg ihrer Partei Irland regieren.

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