KOPF DES TAGES
Die Frau, die Sinn Féin zum Sieg verhalf
Mary Lou McDonald hat es eilig. Kaum hatte die erste Auszählung den sensationellen Sieg ihrer Sinn-Féin-Partei bei der irischen Parlamentswahl vom Samstag bestätigt, begann die Parteivorsitzende zu Wochenbeginn Kontakt zu kleineren Parteien aufzunehmen.
Sehr genau weiß die 50Jährige, dass der gälische Parteiname „Wir allein“keine Lösung darstellt: Im Dubliner Parlament Dáil (gälisch: Versammlung) stellt die linksnationalistische Sinn Féin (SF) zukünftig nur 37 von 160 Abgeordneten.
Beinahe schien es, als wollte die Dublinerin eilig einen schweren strategischen Fehler wiedergutmachen. In den 39 Wahlkreisen, die jeweils mehrere Vertreter entsenden, waren nur 42 Frauen und Männer mit dem SF-Label angetreten. Im SF-Sog schafften kleinere Gruppierungen wie Sozialdemokraten, Labour und die sozialistische PBP tolle Ergebnisse. Ganz knapp die größte Zahl der Mandate (38) aber sicherte sich die nationalliberale Fianna Fáil, obwohl deren Stimmenanteil (22,5 Prozent) um zwei Punkte hinter SF lag. Eine Koalition der beiden, womöglich ergänzt durch die erstarkten Grünen, könnte für stabile Verhältnisse sorgen und die konservative Minderheitsregierung von Premier Leo Varadkar ablösen.
Ob McDonald selbst aber die Rolle des Taoiseach („Häuptling“) übernehmen kann, wie der Regierungschef auf Gälisch heißt? Zuzutrauen wäre das der erfahrenen Politikerin gewiss. Die studierte Literaturwissenschafterin und verheiratete Mutter zweier Kinder saß fünf Jahre im EU-Parlament. In der Dáil seit 2011, hielt sie als Fraktionschefin dem legendären Parteichef Gerry Adams den Rücken frei. Als der frühere IRA-Terrorist seinen Rücktritt einreichte, stieg sie 2018 zur Nachfolgerin auf. Die weiterhin bestehenden Verbindungen zur irisch-republikanischen Terrortruppe IRA sowie die wenig transparente parteiinterne Demokratie machten SF lange zum Paria der südirischen Politik. Die Partei sei „keine normale Partei, sie hat Elemente von Kult und Verschwörung“, urteilt selbst der sympathisierende Autor Fintan O’Toole.
Die Wähler kümmerte die Vergangenheit wenig. McDonalds Pläne für eine höhere Besteuerung von Unternehmen, mehr sozialen Wohnungsbau und Investitionen ins Gesundheitswesen erwiesen sich als populär. Wie viel davon die Chefin in schwierigen Koalitionsgesprächen umsetzen kann, wird darüber entscheiden, ob SF endgültig zur Normalität der Grünen Insel gehört.