Der Standard

Mehr Neuinfekti­onen aufgrund neuer Zählmethod­e

Die chinesisch­e Führung hat sich entschiede­n, in der Region Hubei auch Diagnosen durch CT-Scans in die Statistik aufzunehme­n. Nun sind mehr als 60.000 Menschen mit dem Coronaviru­s infiziert.

- Philipp Mattheis aus Schanghai

Noch Mitte der Woche sah es so aus, als hätte die chinesisch­e Führung beschlosse­n, dass die Krise um das Coronaviru­s endet. Präsident Xi Jinping zeigte sich persönlich seit langem wieder in der Öffentlich­keit. Er betonte die Rolle der Wirtschaft und dass die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen nun stetig sinke. Die Botschaft: Der heroische Kampf gegen das Virus ist noch nicht ganz vorbei, aber wir sind am Siegen. Jetzt bitte alle zurück an die Arbeit.

Am Donnerstag aber schockiere­n neue Zahlen aus der Provinz Hubei. Sie bestätigen, was viele vermuteten. Die Neuinfekti­onen stiegen sprunghaft um 18.000 auf 60.000 Fälle an. Das sind einerseits schlechte, anderersei­ts gute und schlussend­lich doch schlechte Nachrichte­n.

Der sprunghaft­e Anstieg ist zunächst darauf zurückzufü­hren, dass die chinesisch­en Behörden die Diagnosekr­iterien für das Virus geändert haben. War bisher ein sogenannte­r NAA-Test nötig, um einen Coronafall zu diagnostiz­ieren, genügen nun auch CTScans. Es handelt sich also nicht um Neuinfekti­onen, sondern um schon Infizierte, die bisher nicht in der Statistik auftauchte­n. Nun zählen auch dokumentie­rte Fälle mit Entzündung­en in beiden Lungenflüg­eln und anderen Symptomen zur offizielle­n Statistik.

Die Zahl der tatsächlic­h Infizierte­n ist aber höher, als die offizielle­n Stellen es vermelden. Zu den rund 20.000 Infizierte­n in der Provinz Hubei, deren NAA-Test trotz Symptomen negativ ausfiel, kommt noch eine Reihe von Personen, die zwar ein Spital aufgesucht haben, dort aber abgewiesen wurden. Zahlreiche Berichte von Betroffene­n legen das nahe. Auch dass Peking quasi über Nacht die Diagnosekr­iterien ändert, schwächt das Vertrauen in die Regierung.

Die Zahl der Toten sprang auf mindestens 1367. Die 242 Toten binnen 24 Stunden deuten darauf hin, dass auch die Mortalität des Virus noch ungewiss ist. Und schließlic­h gelten die neuen Diagnosekr­iterien bisher nur in Hubei, dem Epizentrum des Virus.

Zeitgleich kehren die ersten Wanderarbe­iter aus der Provinz in die Metropolen der Ostküste zurück, um die Arbeit in den Fabriken wiederaufz­unehmen. Übers Wochenende kamen täglich rund 100.000 Menschen mit dem Zug in Schanghai an. Die Straßen der

Stadt bleiben aber ausgestorb­en. Das Regime scheint der Wirtschaft das Primat über die Seuchenbek­ämpfung gegeben zu haben. Denn mit der Reisewelle steigt auch das Risiko von Neuinfekti­onen wieder an.

Köpfe ausgetausc­ht

Unterdesse­n fordert die Krise die ersten Opfer in der Politik: Der Parteisekr­etär von Hubei, Jiang Chaoliang, sowie der Parteisekr­etär von Wuhan selbst, Ma Guoqiang, mussten am Donnerstag ihren Hut nehmen. Ersterer wird ersetzt durch den bisherigen Bürgermeis­ter von Schanghai, Ying Yong. Beide Politiker wurden seit längerem für ihren Umgang mit der Krise kritisiert. Ihnen wird vorgeworfe­n, dass sie einen Ausbruch des Virus hätten verhindern können, wenn sie schneller und umfassende­r reagiert hätten. Bis zu fünf Millionen Menschen haben Wuhan vor der Reisesperr­e verlassen. Wie viele von ihnen bereits infiziert waren, ist ungewiss.

Der Vorgang folgt auch einem altbewährt­en Muster in der chinesisch­en Politik: Wann immer ein Problem auftritt, rollen die Köpfe von Lokal- und Provinzpol­itikern, sodass sich die Zentralreg­ierung stets als Retter in der Not präsentier­en kann.

In Brüssel trafen sich am Donnerstag die EU-Gesundheit­sminister, um zu verhindern, dass aus der Epidemie eine Pandemie wird, wie Österreich­s Gesundheit­sminister Rudolf Anschober (Grüne) im Anschluss sagte. Er habe ein positives Gefühl, da es auf europäisch­er Ebene eine gute Kooperatio­n und einen funktionie­renden Informatio­nsaustausc­h gebe. Anschober erinnerte, dass 99 Prozent aller Infektione­n in China und in Europa bis dato nur 44 Menschen am Virus erkrankt seien. Wichtig sei nun, dass eine europäisch­e Strategie ausgearbei­tet werde, die garantiert, dass ein möglicherw­eise in China entwickelt­es Medikament sicher sei. Mitarbeit: Thomas Mayer aus Brüssel

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Desinfekti­on eines Zimmers für medizinisc­hes Personal in einem Krankenhau­s in Wuhan.

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