Mehr Neuinfektionen aufgrund neuer Zählmethode
Die chinesische Führung hat sich entschieden, in der Region Hubei auch Diagnosen durch CT-Scans in die Statistik aufzunehmen. Nun sind mehr als 60.000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert.
Noch Mitte der Woche sah es so aus, als hätte die chinesische Führung beschlossen, dass die Krise um das Coronavirus endet. Präsident Xi Jinping zeigte sich persönlich seit langem wieder in der Öffentlichkeit. Er betonte die Rolle der Wirtschaft und dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen nun stetig sinke. Die Botschaft: Der heroische Kampf gegen das Virus ist noch nicht ganz vorbei, aber wir sind am Siegen. Jetzt bitte alle zurück an die Arbeit.
Am Donnerstag aber schockieren neue Zahlen aus der Provinz Hubei. Sie bestätigen, was viele vermuteten. Die Neuinfektionen stiegen sprunghaft um 18.000 auf 60.000 Fälle an. Das sind einerseits schlechte, andererseits gute und schlussendlich doch schlechte Nachrichten.
Der sprunghafte Anstieg ist zunächst darauf zurückzuführen, dass die chinesischen Behörden die Diagnosekriterien für das Virus geändert haben. War bisher ein sogenannter NAA-Test nötig, um einen Coronafall zu diagnostizieren, genügen nun auch CTScans. Es handelt sich also nicht um Neuinfektionen, sondern um schon Infizierte, die bisher nicht in der Statistik auftauchten. Nun zählen auch dokumentierte Fälle mit Entzündungen in beiden Lungenflügeln und anderen Symptomen zur offiziellen Statistik.
Die Zahl der tatsächlich Infizierten ist aber höher, als die offiziellen Stellen es vermelden. Zu den rund 20.000 Infizierten in der Provinz Hubei, deren NAA-Test trotz Symptomen negativ ausfiel, kommt noch eine Reihe von Personen, die zwar ein Spital aufgesucht haben, dort aber abgewiesen wurden. Zahlreiche Berichte von Betroffenen legen das nahe. Auch dass Peking quasi über Nacht die Diagnosekriterien ändert, schwächt das Vertrauen in die Regierung.
Die Zahl der Toten sprang auf mindestens 1367. Die 242 Toten binnen 24 Stunden deuten darauf hin, dass auch die Mortalität des Virus noch ungewiss ist. Und schließlich gelten die neuen Diagnosekriterien bisher nur in Hubei, dem Epizentrum des Virus.
Zeitgleich kehren die ersten Wanderarbeiter aus der Provinz in die Metropolen der Ostküste zurück, um die Arbeit in den Fabriken wiederaufzunehmen. Übers Wochenende kamen täglich rund 100.000 Menschen mit dem Zug in Schanghai an. Die Straßen der
Stadt bleiben aber ausgestorben. Das Regime scheint der Wirtschaft das Primat über die Seuchenbekämpfung gegeben zu haben. Denn mit der Reisewelle steigt auch das Risiko von Neuinfektionen wieder an.
Köpfe ausgetauscht
Unterdessen fordert die Krise die ersten Opfer in der Politik: Der Parteisekretär von Hubei, Jiang Chaoliang, sowie der Parteisekretär von Wuhan selbst, Ma Guoqiang, mussten am Donnerstag ihren Hut nehmen. Ersterer wird ersetzt durch den bisherigen Bürgermeister von Schanghai, Ying Yong. Beide Politiker wurden seit längerem für ihren Umgang mit der Krise kritisiert. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie einen Ausbruch des Virus hätten verhindern können, wenn sie schneller und umfassender reagiert hätten. Bis zu fünf Millionen Menschen haben Wuhan vor der Reisesperre verlassen. Wie viele von ihnen bereits infiziert waren, ist ungewiss.
Der Vorgang folgt auch einem altbewährten Muster in der chinesischen Politik: Wann immer ein Problem auftritt, rollen die Köpfe von Lokal- und Provinzpolitikern, sodass sich die Zentralregierung stets als Retter in der Not präsentieren kann.
In Brüssel trafen sich am Donnerstag die EU-Gesundheitsminister, um zu verhindern, dass aus der Epidemie eine Pandemie wird, wie Österreichs Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) im Anschluss sagte. Er habe ein positives Gefühl, da es auf europäischer Ebene eine gute Kooperation und einen funktionierenden Informationsaustausch gebe. Anschober erinnerte, dass 99 Prozent aller Infektionen in China und in Europa bis dato nur 44 Menschen am Virus erkrankt seien. Wichtig sei nun, dass eine europäische Strategie ausgearbeitet werde, die garantiert, dass ein möglicherweise in China entwickeltes Medikament sicher sei. Mitarbeit: Thomas Mayer aus Brüssel