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Mit dem Abschlussplädoyer von Joan Illuzzi-Orbon, der federführenden Staatsanwältin, hat am Freitag die vorletzte Phase des Prozesses gegen Harvey Weinstein begonnen. In der letzten Phase, womöglich schon nächste Woche, haben die Geschworenen ihr Urteil zu fällen.
Am Nachmittag zuvor, nach fünfstündiger, von langen Pausen unterbrochener Verhandlung, war Weinstein bestens gelaunt aus dem Saal Nr. 99 gekommen, jedenfalls hatte er gute Laune zur Schau gestellt. „Wir haben soeben die Rede der Königin gehört“, hatte er den Journalisten, die auf dem engen, eher schäbigen Gang im fünfzehnten Stock des New York State Supreme Court auf ihn warteten, im Überschwang zugerufen, zumindest in gut gespieltem Überschwang.
„The Queen’s Speech“: Es war klar, worauf er anspielte, nämlich auf The King’s Speech, die von Hollywood glänzend verfilmte, von ihm produzierte Geschichte jenes britischen Monarchen, der mithilfe eines klugen Sprachtherapeuten sein Stottern in den Griff bekommt.
Mediengerechte Inszenierung
Weinstein, auf einen Rollator gestützt, weiß nur zu gut, dass ein Prozess dieses Kalibers in Amerika immer auch eine dramatische Inszenierung ist. Dazu gehört es, draußen, vor laufenden Kameras, in mediengerechten Worthäppchen den eigenen Standpunkt zu unterstreichen. Als ihn eine Reporterin auf dem schlecht beleuchteten Korridor fragt, was er denn davon halte, mit Tiger Woods verglichen zu werden, ruft Weinstein lächelnd zurück: „I like ‚Donna rocks‘ better“. Tiger Woods? Donna rocks! Woods ist der Golfprofi, der sich nach einer langen Serie außerehelicher Affären einer Therapie gegen Sexsucht unterzog. Donna Rotunno ist Weinsteins Chefanwältin, eine Juristin, die der abgestürzte Filmmogul nun mit einer Königin vergleicht, die auch noch rockt. The Show goes on!
Die Frage, die allein dieser eine Tag im Saal Nr. 99 mit seinem hier und da schon arg abgenutzten Linoleumfußboden aufwirft, ist folgende: Sind die Erkenntnisse der #MeToo-Bewegung auch justiziabel? Kann man einem Kinomogul, der sinnbildlich für die Macht steht, die manche Männer in Führungspositionen missbrauchen, um sich sexuell an Frauen zu vergehen, seine – im Sinne der Unschuldsvermutung vermeintlichen – Straftaten tatsächlich nachweisen? Rotunno, 44 Jahre alt, Trägerin einer auffallend großen Brille mit markantem, dunklem Gestell, erklärt „MeToo in ihrem Schlussplädoyer zu einer Welt, in der es keiner Beweise beschnörkellos darf, um einen Angeklagten zu verurteilen: „Ich sage MeToo, okay, und ihr habt mir zu glauben.“Ein Gericht dürfe aber nicht einer Stimmung folgen, so populär die auch sein möge. Vor Gericht gehe es um Fakten. „Sie müssen Herrn Weinstein nicht mögen, das ist kein Beliebtheitswettbewerb“, sagt Rotunno, an die zwölf Geschworenen gewandt, sieben Männer und fünf Frauen, die über Schuld oder Unschuld entscheiden. „Aber Sie sollten sich daran erinnern, dass wir nicht hier sind, um Moral zu kriminalisieren.“
Rotunno stammt aus Chicago, sie inszeniert sich gleichsam als Sprecherin des bodenständigen Mittleren Westens, wo man redet und auf Höflichkeitsfloskeln weitgehend verzichtet. Ihre Spezialität ist das Kreuzverhör, sie hat Jessica Mann, die zentrale Belastungszeugin, mit schnellen, harten Fragen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs gebracht.
Weinstein wird vorgeworfen, die junge Schauspielerin 2013 in einem Hotel in Manhattan vergewaltigt zu haben. Seine Produktionsassistentin Mimi Haleyi soll er 2006 zum Oralsex gezwungen haben. Er bestreitet die Anschuldigungen. Das sind die beiden Fälle, um die es in New York geht, während dutzende weitere entweder verjährt oder Gegenstand zivilrechtlicher Vergleiche sind.
Versiert im Säen von Zweifeln, konzentriert sich Rotunno ganz auf das, was man in Amerika Victim-Blaming nennt. Sie macht die Opfer verantwortlich für das, was ihnen – angeblich – widerfuhr. Im Universum der Kläger, wiederholt sie in ihrem Plädoyer, seien Frauen nicht verantwortlich für die Partys, die sie besuchten, für die Männer, mit denen sie flirteten, für Einladungen in Hotelzimmer, die sie annähmen, für Jobs, die sie mithilfe bestimmter Männer zu ergattern versuchten. Jessica Mann habe genau gewusst, was sie von Weinstein wollte, nämlich Hilfestellung für einen Karrieresprung. „Ich weiß zu schätzen, was du alles für mich tust“, schrieb sie ihm einen Monat nach der (vermeintlichen) Vergewaltigung.
Neue Nummer geschickt
Talita Maia, einst ihre enge Freundin, schilderte, dass Mann eine Beziehung zu dem Filmproduzenten unterhielt und nie den Eindruck erweckte, als werde sie missbraucht. Einen „Seelenverwandten“habe sie Weinstein genannt. Sobald sie ihre Handynummer änderte, was häufig passierte, teilte sie ihm per Mail die neue mit – nach ihren Worten: um sich „sicher zu fühlen“.
Mann hat dies nicht bestritten und zugleich von einer Wahrheit gesprochen, die nun mal vielschichtiger sei, als man aus dürren Zeilen herauslesen zu können glaube, „Ich kenne diese Mails, ich schäme mich nicht für sie“, gab sie zu Protokoll. „Ich weiß, es ist kompliziert. Aber es ändert nichts daran, dass er mich vergewaltigt hat.“Im Laufe des Prozesses hatte eine forensische Psychiaterin erklärt, dass es für Opfer von Sexualdelikten normal sei, Kontakt zum Täter zu halten. So versuchten sie, die Kontrolle über das Verhältnis wiederzuerlangen. „Fakten sind Fakten“, sagt Gloria Allred, eine der Staranwältinnen der #MeToo-Bewegung, als sie am Ende des Verhandlungstages vor dem Gerichtsgebäude in ein Bündel von Mikrofonen spricht. „Und Fakt ist, er hat es getan.“