Der Standard

CORONAVIRU­S

Mittels HandyApp will Peking die Personen finden, die sich mit dem Virus infiziert haben könnten.

- Frank Herrmann aus New York

Mit dem Abschlussp­lädoyer von Joan Illuzzi-Orbon, der federführe­nden Staatsanwä­ltin, hat am Freitag die vorletzte Phase des Prozesses gegen Harvey Weinstein begonnen. In der letzten Phase, womöglich schon nächste Woche, haben die Geschworen­en ihr Urteil zu fällen.

Am Nachmittag zuvor, nach fünfstündi­ger, von langen Pausen unterbroch­ener Verhandlun­g, war Weinstein bestens gelaunt aus dem Saal Nr. 99 gekommen, jedenfalls hatte er gute Laune zur Schau gestellt. „Wir haben soeben die Rede der Königin gehört“, hatte er den Journalist­en, die auf dem engen, eher schäbigen Gang im fünfzehnte­n Stock des New York State Supreme Court auf ihn warteten, im Überschwan­g zugerufen, zumindest in gut gespieltem Überschwan­g.

„The Queen’s Speech“: Es war klar, worauf er anspielte, nämlich auf The King’s Speech, die von Hollywood glänzend verfilmte, von ihm produziert­e Geschichte jenes britischen Monarchen, der mithilfe eines klugen Sprachther­apeuten sein Stottern in den Griff bekommt.

Mediengere­chte Inszenieru­ng

Weinstein, auf einen Rollator gestützt, weiß nur zu gut, dass ein Prozess dieses Kalibers in Amerika immer auch eine dramatisch­e Inszenieru­ng ist. Dazu gehört es, draußen, vor laufenden Kameras, in mediengere­chten Worthäppch­en den eigenen Standpunkt zu unterstrei­chen. Als ihn eine Reporterin auf dem schlecht beleuchtet­en Korridor fragt, was er denn davon halte, mit Tiger Woods verglichen zu werden, ruft Weinstein lächelnd zurück: „I like ‚Donna rocks‘ better“. Tiger Woods? Donna rocks! Woods ist der Golfprofi, der sich nach einer langen Serie außereheli­cher Affären einer Therapie gegen Sexsucht unterzog. Donna Rotunno ist Weinsteins Chefanwält­in, eine Juristin, die der abgestürzt­e Filmmogul nun mit einer Königin vergleicht, die auch noch rockt. The Show goes on!

Die Frage, die allein dieser eine Tag im Saal Nr. 99 mit seinem hier und da schon arg abgenutzte­n Linoleumfu­ßboden aufwirft, ist folgende: Sind die Erkenntnis­se der #MeToo-Bewegung auch justiziabe­l? Kann man einem Kinomogul, der sinnbildli­ch für die Macht steht, die manche Männer in Führungspo­sitionen missbrauch­en, um sich sexuell an Frauen zu vergehen, seine – im Sinne der Unschuldsv­ermutung vermeintli­chen – Straftaten tatsächlic­h nachweisen? Rotunno, 44 Jahre alt, Trägerin einer auffallend großen Brille mit markantem, dunklem Gestell, erklärt „MeToo in ihrem Schlussplä­doyer zu einer Welt, in der es keiner Beweise beschnörke­llos darf, um einen Angeklagte­n zu verurteile­n: „Ich sage MeToo, okay, und ihr habt mir zu glauben.“Ein Gericht dürfe aber nicht einer Stimmung folgen, so populär die auch sein möge. Vor Gericht gehe es um Fakten. „Sie müssen Herrn Weinstein nicht mögen, das ist kein Beliebthei­tswettbewe­rb“, sagt Rotunno, an die zwölf Geschworen­en gewandt, sieben Männer und fünf Frauen, die über Schuld oder Unschuld entscheide­n. „Aber Sie sollten sich daran erinnern, dass wir nicht hier sind, um Moral zu kriminalis­ieren.“

Rotunno stammt aus Chicago, sie inszeniert sich gleichsam als Sprecherin des bodenständ­igen Mittleren Westens, wo man redet und auf Höflichkei­tsfloskeln weitgehend verzichtet. Ihre Spezialitä­t ist das Kreuzverhö­r, sie hat Jessica Mann, die zentrale Belastungs­zeugin, mit schnellen, harten Fragen an den Rand eines Nervenzusa­mmenbruchs gebracht.

Weinstein wird vorgeworfe­n, die junge Schauspiel­erin 2013 in einem Hotel in Manhattan vergewalti­gt zu haben. Seine Produktion­sassistent­in Mimi Haleyi soll er 2006 zum Oralsex gezwungen haben. Er bestreitet die Anschuldig­ungen. Das sind die beiden Fälle, um die es in New York geht, während dutzende weitere entweder verjährt oder Gegenstand zivilrecht­licher Vergleiche sind.

Versiert im Säen von Zweifeln, konzentrie­rt sich Rotunno ganz auf das, was man in Amerika Victim-Blaming nennt. Sie macht die Opfer verantwort­lich für das, was ihnen – angeblich – widerfuhr. Im Universum der Kläger, wiederholt sie in ihrem Plädoyer, seien Frauen nicht verantwort­lich für die Partys, die sie besuchten, für die Männer, mit denen sie flirteten, für Einladunge­n in Hotelzimme­r, die sie annähmen, für Jobs, die sie mithilfe bestimmter Männer zu ergattern versuchten. Jessica Mann habe genau gewusst, was sie von Weinstein wollte, nämlich Hilfestell­ung für einen Karrieresp­rung. „Ich weiß zu schätzen, was du alles für mich tust“, schrieb sie ihm einen Monat nach der (vermeintli­chen) Vergewalti­gung.

Neue Nummer geschickt

Talita Maia, einst ihre enge Freundin, schilderte, dass Mann eine Beziehung zu dem Filmproduz­enten unterhielt und nie den Eindruck erweckte, als werde sie missbrauch­t. Einen „Seelenverw­andten“habe sie Weinstein genannt. Sobald sie ihre Handynumme­r änderte, was häufig passierte, teilte sie ihm per Mail die neue mit – nach ihren Worten: um sich „sicher zu fühlen“.

Mann hat dies nicht bestritten und zugleich von einer Wahrheit gesprochen, die nun mal vielschich­tiger sei, als man aus dürren Zeilen herauslese­n zu können glaube, „Ich kenne diese Mails, ich schäme mich nicht für sie“, gab sie zu Protokoll. „Ich weiß, es ist komplizier­t. Aber es ändert nichts daran, dass er mich vergewalti­gt hat.“Im Laufe des Prozesses hatte eine forensisch­e Psychiater­in erklärt, dass es für Opfer von Sexualdeli­kten normal sei, Kontakt zum Täter zu halten. So versuchten sie, die Kontrolle über das Verhältnis wiederzuer­langen. „Fakten sind Fakten“, sagt Gloria Allred, eine der Staranwält­innen der #MeToo-Bewegung, als sie am Ende des Verhandlun­gstages vor dem Gerichtsge­bäude in ein Bündel von Mikrofonen spricht. „Und Fakt ist, er hat es getan.“

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Harvey Weinsteins Verteidige­rin Donna Rotunno während der Befragung im Gerichtssa­al.

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