Der Standard

STREIT UM DIE JUSTIZ

Kanzler Sebastian Kurz trat eine Debatte über die Unabhängig­keit der Justiz los.

- BERICHT: Johannes Pucher und Laurin Lorenz

Schwach, gebrechlic­h, von seinem Anwalt und einer Gehilfin gestützt: So zeigen Fotos den Filmmogul Harvey Weinstein, als er im Jänner 2020 ein New Yorker Gericht verließ. Denkt man an die zahlreiche­n sexuellen Vergehen, die ihm vorgeworfe­n werden, drängt sich die Frage auf: Wie kann dieser wacklige alte Mann solch Abscheulic­hes getan haben?

An diesem Punkt sollten kritische Beobachter genauer hinsehen. Gerade in medienwirk­samen Verfahren wird gekonnt auf Bildsprach­e gesetzt, um einem von der Öffentlich­keit bereits für schuldig befundenen Verdächtig­en die Chance auf eine mildere Strafe zu verschaffe­n. Das Zauberwort diesbezügl­ich heißt: Litigation-PR. Zu Deutsch: prozessbeg­leitende Öffentlich­keitsarbei­t.

Szenenwech­sel. Ob der österreich­ische Exfinanzmi­nister Hartwig Löger, dem im Zuge der Casinos-Affäre Amtsmissbr­auch und Bestechung vorgeworfe­n wird, auch einen solchen Berater hat, sei dahingeste­llt. Jedenfalls hat er einen Parteifreu­nd, der Bundeskanz­ler ist. Anfang Jänner stellte Sebastian Kurz im Rahmen eines Hintergrun­dgesprächs die Vermutung von roten Verbindung­sleuten in der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) in den Raum. Auch werde besonders oft gegen die ÖVP ermittelt wie eben im Fall Lögers, so Kurz.

Besonders bei Prozessen, die im Scheinwerf­erlicht der Öffentlich­keit ausgetrage­n werden, gerät die Justiz häufig stark unter Druck. Zu früh würden vertraulic­he Akten von den Behörden an die Medien gespielt, kritisiert­e Kurz in Anspielung auf die WKStA. Dabei sind sich Rechtsprak­tiker einig, dass Informatio­nen aus laufenden Verfahren so gut wie immer von Prozessbet­eiligten selbst nach außen getragen werden. Beschuldig­te haben oft großes Interesse, via Medien die öffentlich­e Meinung zu ihren Gunsten zu beeinfluss­en. Behilflich ist dabei oft Litigation-PR – für jene, die es sich leisten können.

Entstanden ist diese Spezialisi­erung der Öffentlich­keitsarbei­t in den 1980er-Jahren in den USA. Das Medieninte­resse an spektakulä­ren Prozessen ist dort von jeher hoch. Ziel ist es, die Reputation des Mandanten zu schützen. „Einen Prozess kann man vor Gericht gewinnen oder verlieren, aber im Gerichtssa­al der öffentlich­en Meinung wird rasch und gnadenlos über Schuld oder Unschuld entschiede­n“, sagt PR-Experte Alfred Autischer, Gründer der Wiener Litigation-Agentur Gaisberg Consulting.

„Stellen Sie sich vor, was es mit Ihrem Leben, mit Ihrer Familie macht, wenn die ganze Welt glaubt, dass Sie schuldig sind“, sagt Autischer. Oft reiche ja schon eine anonyme Anzeige, damit Medien berichten. Er habe selbst erlebt, dass sich Mandanten aufgrund des öffentlich­en Drucks das Leben nehmen wollten, sagt der PR-Mann.

Teile ihres Akts selbst zu veröffentl­ichen sei für Beschuldig­te oft die einzige Möglichkei­t, ihre Sicht der Dinge glaubhaft darzustell­en, sagt Autischer. Dies ist auch durch die Strafproze­ssordnung gedeckt. Sie erlaubt es Beschuldig­ten, Opfern und Privatbete­iligten, Informatio­nen aus einem Verfahren weiterzuge­ben, wenn es in ihrem Interesse liegt.

Laut Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne) hat die ÖVP in den Koalitions­verhandlun­gen darauf gedrängt, Journalist­en eben dieses Veröffentl­ichen in einem laufenden Verfahren zu verbieten. Ähnliche Regelungen gibt es etwa in Deutschlan­d. Die wörtliche Veröffentl­ichung der Anklagesch­rift oder anderer amtlicher Schriftstü­cke vor Abschluss eines Strafverfa­hrens kann im Nachbarlan­d mit bis zu einem Jahr Freiheitss­trafe sanktionie­rt werden.

Wäre es also sinnvoll, das auch hierzuland­e einzuführe­n, um beispielsw­eise Vorverurte­ilungen entgegenzu­wirken? Harald Kert, Strafrecht­sprofessor an der Wirtschaft­s-Uni Wien, meint: „Nein. Besonders bei langen Verfahren hat die Öffentlich­keit ein berechtigt­es Interesse daran, etwas über den Verfahrens­stand zu erfahren.“Zu schützen seien dabei die Persönlich­keitsrecht­e und die Privatsphä­re

Dritter. Besonders über langwierig­e Prozesse wie die Causa Eurofighte­r, bei denen das Ermittlung­sverfahren Jahre dauern kann, wüsste die Öffentlich­keit de facto kaum etwas, wenn das Veröffentl­ichen von Informatio­nen verboten wäre.

Das erste Statement

In solchen Verfahren, in denen viel Geld oder politische Reputation auf dem Spiel steht, ist profession­elle PR oft entscheide­nd. Man denke an den in seiner französisc­hen Villa verhaftete­n Ex-BawagManag­er Helmut Elsner. Weil er sich von einer Einvernahm­e in Wien aus gesundheit­lichen Gründen entschuldi­gen lassen hatte, aber kurz danach Fotos von ihm in einem Porsche aufgetauch­t waren, war sein Ruf vorerst ruiniert. Dass dann seine Frau an die Öffentlich­keit trat und in diversen Medien den Ruf ihres Mannes verteidigt­e, sei ein Paradebeis­piel für gelungene Litigation­PR, meint Autischer.

Ausschlagg­ebend seien immer die ersten Tage, wenn ein Fall ins Rollen komme. Habe sich die Öffentlich­keit erst einmal eine Meinung über Schuld oder Unschuld gebildet, sei schon vieles zu spät, sagt der Experte. Schon das erste Statement gegenüber der Presse kann ausschlagg­ebend sein. Wer am Anfang schweigt, gibt laut Autischer die Möglichkei­t aus der Hand, die öffentlich verbreitet­e „Geschichte“zu steuern.

Simple Dementi von Vorwürfen oder Gerüchten führten eher zu einer Zementieru­ng der öffentlich­en Meinung. Wichtig sei deshalb zu erklären, was dahinterst­ehe.

Ein positives Beispiel, wie KrisenPR gehen kann, sei der Fall des ehemaligen OMV-Chefs Wolfgang Ruttenstei­ner. Die Staatsanwa­ltschaft wollte den Manager und ExPolitike­r 2010 wegen Insiderhan­dels anklagen. Ruttenstei­ner ging noch am selben Abend in die ZiB 2 und erklärte, dass bei dem umstritten­en Aktienkauf alles rechtens gewesen sei. Er begrüßte sogar die Entscheidu­ng der Justiz, ein faires Gerichtsve­rfahren einzuleite­n. „Damit war das dann bald erledigt“, sagt Autischer.

Während Prozessbet­eiligte Informatio­nen weitergebe­n dürfen, ist dies der Staatsanwa­ltschaft und den Gerichten aufgrund des Amtsgeheim­nisses strikt verboten. In zwanzig Jahren Berufserfa­hrung habe er dies auch noch nie erlebt, so Autischer. Richter und Staatsanwä­lte sind aber auch nur Menschen, die sich gewissen medialen Dynamiken nicht zur Gänze entziehen können. Das wissen PR-Experten. Berufsrich­ter seien deshalb geschult und kontrollie­rten einander über die ausführlic­he Begründung ihrer Urteile verlässlic­h selbst, sagt Harald Wagner, Vizepräsid­ent der Österreich­ischen RichterInn­en-Vereinigun­g. Dem Einfluss der öffentlich­en Meinung müssten sich Richter in jedem Fall entziehen. Bei Geschworen­enprozesse­n im Strafrecht ist die Sache schon heikler: Sich von medial kreierten Bildern im Gerichtssa­al abzugrenze­n sei für Laien eine schwierige Aufgabe, sagt Friedrich Forsthuber, Präsident des Straflande­sgerichts Wien.

Angriffe auf Staatsanwä­lte

Oft sind es aber vor allem Staatsanwä­lte als Gegenseite der Verteidigu­ng, auf die in Verfahren Druck ausgeübt wird. Dies kann nicht nur geschulte öffentlich­e Auftritte oder gezielte politische Attacken auf die Ermittlung­sbehörden umfassen. Gerade in Verfahren mit hohem Einsatz von Geld und Reputation berichten Österreich­s Staatsanwä­lte immer häufiger von Versuchen, ihre Arbeit direkt zu beeinfluss­en. Die Ankläger würden eingeschüc­htert, ihr Privatlebe­n ausgeforsc­ht und sogar ihr familiäres Umfeld bedroht.

Die Präsidenti­n der Vereinigun­g österreich­ischer Staatsanwä­lte, Cornelia Koller, bestätigt, dass es in den vergangene­n fünf Jahre diesbezügl­ich vermehrt Beschwerde­n von Kollegen gegeben habe. Sie fordert einen effektiver­en Schutz der Privatsphä­re der Staatsanwä­lte. Koller will auch die Kommunikat­ion ihrer Behörde neu aufstellen. Dafür müsse zuerst der Medienerla­ss reformiert und es müssten mehr Ressourcen für die Öffentlich­keitsarbei­t bereitgest­ellt werden, sagt Koller. Ein „Ja, es wird ermittelt“ist laut Koller bei großen Verfahren oft zu wenig an Kommunikat­ion.

Am Ende bleibt die Frage: Wozu der Aufwand? Hat die öffentlich­e Meinung Einfluss auf Gerichtsur­teile?

Auf die Schuldfrag­e selbst weniger – wohl aber auf das Strafmaß. So beobachtet­en es zumindest 415 deutsche Richter und 165 Staatsanwä­lte, die 2018 im Zuge einer Studie der Uni Mainz bezüglich ihrer Wahrnehmun­g befragt worden waren. Demnach verfolgen 44 Prozent der Richter und 58 Prozent der Staatsanwä­lte gezielt Medienberi­chte über ihre laufenden Verfahren. Elf Prozent der Befragten sahen einen Einfluss von Medienberi­chterstatt­ung auf die Schuldfrag­e, jeder Vierte sah einen Einfluss auf die Höhe der Strafe, die am Ende verhängt wurde. Hoch sei der Einfluss von Medien vor allem darauf, was Zeugen vor Gericht aussagen.

Es könnte sich für einen Beschuldig­ten also auszahlen, einen mitleiderr­egenden Eindruck wie Harvey Weinstein zu erwecken – oder seinen Akt selbst zu leaken. Im Sinne der Justiz ist das freilich nicht.

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