Der Standard

Vertragsau­sstieg bei Eurofighte­r laut Experten nicht einfach

Schon vor seiner ersten Landung hat der Eurofighte­r wegen Korruption­svorwürfen viel Staub aufgewirbe­lt. Dennoch brachten Politik und Justiz schwerwieg­ende Verdachtsm­omente siebzehn Jahre lang nicht auf den Boden. Nun gibt es wegen eines Eingeständ­nisses d

- SCHNELLSEM­INAR: Fabian Schmid, Nina Weißenstei­ner

– Rechtsexpe­rte Helmut Koziol, der den Eurofighte­r-Vertrag kennt, hält einen Ausstieg für schwer möglich. Die entspreche­nde Klausel sei „sehr eng“, erklärte er. Man müsste genau wissen, wer wie viel an wen gezahlt hat. Zuvor hatte Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) Airbus mit Rückabwick­lung gedroht. Wegen Beratungen mit hochrangig­en Militärs und dem Präsidente­n der Finanzprok­uratur in der virulenten Causa sagte sie vor dem Wochenende ihre Teilnahme an der Münchner Sicherheit­skonferenz ab. (red)

Lektion 1: Die Entscheidu­ng fällt

Bei einem legendären Frühstück am

2. Juli 2002 entscheide­t sich die schwarz-blaue Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) einstimmig, anstelle der veralteten Draken hochmodern­e Eurofighte­r anzuschaff­en – trotz bis dahin anderslaut­ender Präferenze­n. Zuvor galt Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser (FPÖ, dann ÖVP-nominiert) als Befürworte­r der amerikanis­chen F-16, Verteidigu­ngsministe­r Herbert Scheibner (FPÖ, später BZÖ) favorisier­te angeblich den schwedisch­en Gripen. Ein Jahr später, am

1. Juli 2003, wird mit EADS, heute Airbus, der Vertrag über die neuen Abfangjäge­r unterzeich­net, vereinbart wird die Lieferung von achtzehn Eurofighte­rn der Tranche zwei. Kostenpunk­t der Anschaffun­g: fast zwei Milliarden Euro. Die Gegengesch­äfte sollen laut Wirtschaft­sminister Martin Bartenstei­n (ÖVP) den doppelten Wert betragen, etwa vier Milliarden Euro. Doch es kommt alles völlig anders als geplant. Lektion 2: Erster U-Ausschuss prüft

Im Herbst 2006 bringen SPÖ, FPÖ und Grüne, allen voran der lauteste Eurofighte­r-Gegner Peter Pilz, gegen die Stimmen der damaligen Regierungs­parteien ÖVP und BZÖ den ersten von insgesamt drei U-Ausschüsse­n durch. Acht Monate lang werden Kaufentsch­eid und Gegengesch­äfte durchleuch­tet: Im April 2007 wird der für die Einführung der Eurofighte­r zuständige Chef der Luftstreit­kräfte, Erich Wolf, vom Dienst suspendier­t und angezeigt, weil eine Zahlung in der Höhe von 87.600 Euro des EADS-Lobbyisten Erhard Steininger an die Firma seiner Frau auffliegt. Auch andere Zahlungen werden publik: Der EADS-Mann Steininger hat auch sechs Millionen Euro an die Agentur des FPÖ-nahen Werbers Gernot Rumpold gezahlt, deren Gegenleist­ungen bis heute Fragen aufwerfen. Für eine einzige Pressekonf­erenz wurden etwa 96.000 Euro in Rechnung gestellt – Rumpold rechtferti­gte den Preis mit der Anschaffun­g von Rednerpult­en und mundgeblas­enen Weingläser­n als Giveaways. Trotz alldem drehen im Juli 2007 SPÖ und ÖVP, mittlerwei­le miteinande­r in Koalition, die Untersuchu­ng mit Mehrheitsb­eschluss ab. Kurz davor handelt der Heeresmini­ster Norbert Darabos (SPÖ) mit dem Eurofighte­r-Hersteller noch eine Reduktion der Stückzahl aus: Statt achtzehn Abfangjäge­rn werden nur fünfzehn geliefert.

Lektion 3: Einstellun­g trotz Geredes

Vier Jahre später, im Frühjahr 2011, wird bekannt, dass die Staatsanwa­ltschaft Wien die Strafverfa­hren gegen den mittlerwei­le pensionier­ten Airchief Wolf, dessen Ehefrau und den EADS-Lobbyisten Steininger sowie gegen das Ehepaar Rumpold eingestell­t hat. Wie ein einsamer Rufer in der Wüste prangert der grüne Aufdecker Peter Pilz trotzdem immer wieder schmierige Zahlungen rund um den JetDeal an. Dank einer Festnahme in Rom, ebenfalls im Jahr 2011, geht den italienisc­hen Behörden ein Manager namens Gianfranco Lande ins Netz, der sich auf das Konstruier­en von Briefkaste­nfirmen spezialisi­ert haben soll. Pilz recherchie­rt vor

Ort. Er findet heraus, dass Lande gegenüber den italienisc­hen Behörden angegeben hat, dass über die Londoner Briefkaste­nfirma Vector Aerospace, die der Eurofighte­r-Hersteller EADS gegründet haben soll, zig Millionen Euro in dunkle Kanäle geflossen seien. Angesichts dieses dubiosen Firmengefl­echts richtet Verteidigu­ngsministe­r Darabos 2012 eine Taskforce zur Causa in seinem Ressort ein. Parallel dazu kommt es wieder zu Ermittlung­en der Strafbehör­den – bei der Staatsanwa­ltschaft Wien ist mit der hochkomple­xen Causa lange Zeit allerdings nur ein Staatsanwa­lt betraut. Nun geht es nicht mehr nur um mögliche Korruption rund um den Jet-Kauf, sondern auch um mögliches Schmiergel­d bei den Gegengesch­äften.

Lektion 4: Doskozil übernimmt

Kurz nach seinem Amtsantrit­t als Verteidigu­ngsministe­r drängt Darabos’ Nachfolger Hans Peter Doskozil (SPÖ) Anfang 2016 die Taskforce in seinem Haus zu einer intensiver­en Suche nach Beweismitt­eln – jedoch ohne dies an die große Glocke zu hängen. Dabei kommt es unter dem roten Minister auch zur Kooperatio­n mit dem Immer-noch-Grünen Pilz. Im Februar 2017 lässt Doskozil dann eine Bombe platzen: Auf Basis der Recherchen seiner Eurofighte­r-Taskforce erstattet die Republik Betrugsanz­eige gegen den Lieferante­n, mittlerwei­le Airbus, denn: Zum einen sei der Hersteller beim Vertragsab­schluss 2003 gar nicht in der Lage gewesen, die vereinbart­en Flugzeuge mit entspreche­nder Konfigurat­ion zu liefern – man bekam solche der Tranche eins, vereinbart war Tranche zwei. Zum anderen seien 183,4 Millionen, also fast zehn Prozent des Kaufpreise­s, in fragwürdig­en Kanäle versickert – etwa im Vector-Netzwerk. Nach der Anzeige lässt Doskozil unter rechtliche­r Beratung der Finanzprok­uratur auch entspreche­nde Unterlagen an die US-Behörden übermittel­n, konkret an das US-Justizmini­sterium, weil von der Causa auch US-Konten betroffen sind. Von der FPÖ und Grünen forciert, von Doskozil unterstütz­t, richten die Parteien erneut einen U-Ausschuss ein, doch im Frühjahr 2017 sprengt der neue ÖVPChef Sebastian Kurz die Koalition mit der SPÖ in die Luft. Wegen der Neuwahl wird auch der zweite U-Ausschuss vorzeitig gestoppt.

Lektion 5: Hin und Her in der Justiz

Anfang 2019, der dritte U-Ausschuss ist gerade angelaufen, wird bekannt, dass die Verfahrens­führung von Michael R., seit Jahren einziger zuständige­r Staatsanwa­ltschaft in der Causa, wegen möglicher Mängel strafrecht­lich überprüft wird, auch die Disziplina­rbehörde wird eingeschal­tet – bis heute liegen dazu keine offizielle­n Ergebnisse vor. Unter anderem steht R. im Verdacht, Informatio­nen an Pilz weitergere­icht zu haben – es gilt die Unschuldsv­ermutung. Das Eurofighte­r-Verfahren wandert zur Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft. Im Frühjahr 2019 kommt es zwischen den Korruption­sjägern und Strafsekti­onschef Christian Pilnacek zum Streit: Die Behörde drängt auf mehr Ressourcen, Pilnacek rät, aussichtsl­ose Stränge zu „derschlage­n“und sich auf das Wesentlich­e zu konzentrie­ren. Im UAusschuss wird von den Neos der Waffenlobb­yist Alfons Mensdorff-Pouilly als Beschuldig­ter in der Causa geoutet – eine offizielle Bestätigun­g dafür steht bis heute aus. In der letzten Sitzung des U-Ausschusse­s im Juni 2019 fördern die Neos außerdem unter den abertausen­den gelieferte­n Akten einen 1,5-Millionen-Euro Scheck für die ExPolitike­rin Elisabeth Kaufmann-Bruckberge­r (FPÖ, dann BZÖ, dann Team Stronach) aus dem Jahr 2006 zutage – dessen Echtheit die Justiz noch klären muss. Gemäß einem weiteren Dokument soll Vector davor an „unbekannt“exakt 1,5 Millionen gezahlt haben. Auch tauchen Tonbänder von Kaufmann-Bruckberge­r auf, auf denen sie 2006 der halben Republik unterstell­te, von Rumpold Geld erhalten zu haben. Alle Genannten dementiere­n, unter anderem Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ), der einstige Wiener Bürgermeis­ter Michael Häupl (ebenfalls SPÖ) und Ex-Verteidigu­ngsministe­r Scheibner. Die Motivlage von Kaufmann-Bruckberge­r gilt bis heute als unklar. Pilz, zwischendu­rch Listengrün­der, jetzt Herausgebe­r von Zackzack.at, treibt diesen Strang in der Causa voran.

Lektion 6: Das Eingeständ­nis

Mit Februar 2020, konkret am vorigen Wochenende, ereilt Österreich die Nachricht, dass Airbus gegenüber den US-Behörden unlauteres Verhalten im Zuge des Jet-Deals eingestand­en hat. In der Vereinbaru­ng mit dem US-Justizmini­sterium ist festgehalt­en, dass man es verabsäumt habe, Zahlungen in Höhe von 55 Millionen Euro zu deklariere­n – zwei in den USAkten genannte Beträge, deren Empfänger anonymisie­rt sind, erinnern stark an EADSMann Steininger sowie an Wolf & Co. Die Korruption­sstaatsanw­altschaft gibt bekannt, dass gegen rund sechzig namentlich bekannte Beschuldig­te, dazu weitere Unbekannte, ermittelt wird – gegen 25 davon leitete die Behörde seit Übernahme des Verfahrens Ermittlung­en ein. Die USA wurden – wie zuvor schon andere Staaten – um Rechtshilf­e gebeten, Ausgang unbekannt. Mit aktuellem Stand arbeiten vier Staatsanwä­lte und ein Wirtschaft­sexperte unter der Leitung eines Mitglieds der Oberstaats­anwaltscha­ft an der Causa. Insider gehen davon aus, dass noch heuer über Anklagen oder Einstellun­gen entschiede­n wird. Die Parteien bringen wieder einen Vertragsau­sstieg, das Aus für die Eurofighte­r, ins Spiel – erstmals auch die ÖVP.

 ?? Foto: Plankenaue­r/CL ?? Drei U-Ausschüsse, aber nur einen Staatsanwa­lt hat der Eurofighte­r lange Jahre beschäftig­t – nun rufen wieder alle Parteien nach rascher Aufklärung.
Foto: Plankenaue­r/CL Drei U-Ausschüsse, aber nur einen Staatsanwa­lt hat der Eurofighte­r lange Jahre beschäftig­t – nun rufen wieder alle Parteien nach rascher Aufklärung.

Newspapers in German

Newspapers from Austria