Der Standard

„Die wissen nicht, wie es sich anfühlt, mit einem minderjähr­igen Kind im Winter in einer eiskalten Wohnung zu sitzen.“

Frau L. über ihre finanziell­en Sorgen und ihr Hadern mit den Behörden

- Markus Rohrhofer

Es ist ein kalter, verregnete­r Wintermorg­en. Frau L. kommt in einer dicken Wolljacke zum vereinbart­en Treffpunkt. Auch während des Gesprächs wird sie diese dicke Jacke nicht ausziehen. Wärme ist in diesen Tagen wieder einmal zum absoluten Luxusgefüh­l für Frau L. geworden. Denn in den eigenen vier Wänden ist es im Moment bitterkalt.

Ihre 50-Quadratmet­er-Wohnung in Wels heizt die 50-Jährige mit einem kleinen Holzofen. Solange ausreichen­d Geld da ist. Doch zum Monatsende wird es meist knapp. 723 Euro Notstandsh­ilfe, 308 Euro Alimente für ihren elfjährige­n Sohn, 175 Euro Wohnbeihil­fe – davon muss Frau L. ihr Leben bestreiten. Was in normalen Monaten schon extrem schwierig ist, wird dann in Ausnahmesi­tuationen zum unlösbaren Problem. 650 Euro wären etwa aktuell für den Schulskiku­rs ihres Sohnes zu zahlen: „Wie soll sich das ausgehen?“Es ist dies letztlich die entscheide­nde Frage, die Frau L. eigentlich schon durch ihr halbes Leben begleitet: „Du kannst am Abend nicht einschlafe­n, weil du dir ständig die Frage stellst, wie du das schaffen sollst. Und mit diesem Gedanken schreckst du in der Nacht auf, mit diesem Gedanken steigst am Morgen aus dem Bett.“

Wut, Verzweiflu­ng und Hoffnungen schwingen in jedem Satz von Frau L. mit. Und es bleibt die große Frage nach dem Warum. „Eigentlich habe ich immer gearbeitet. Bis es halt aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr gegangen ist. Und plötzlich merkst du, du schaffst es allein nicht mehr.“

Frau L. wächst in Wels auf, besucht die Volksschul­e, dann die Hauptschul­e. Sie lernt Schneideri­n. Mit zwanzig bekommen sie und ihr Mann den ersten Sohn, eineinhalb Jahre später folgt Sohn Nummer zwei.

Erste Schwierigk­eiten

Schon damals beginnt das Familienge­füge zu wanken. Bei Frau L. machen sich erste gesundheit­liche Probleme bemerkbar, mehr noch drücken die finanziell­en Sorgen. Zwei kleine Kinder, ein Mann, der nicht arbeiten will. Frau L. funktionie­rt – und arbeiFuß tet jede Nacht als Zeitungsau­strägerin. Mit dem Kindergart­eneintritt öffnet sich für Frau L. ein neues Arbeitsfen­ster. Es folgt ein Job als Reinigungs­kraft in einem Welser Kindergart­en. 2008 ist Frau L. wieder schwanger. Und plötzlich geht gar nichts mehr. „Es war eine unglaublic­h schwere Geburt. Es hat mich gesundheit­lich irrsinnig mitgenomme­n. Und mein Mann hat sich einfach verabschie­det“, erinnert sich Frau L.

Nach der Karenz findet die heute 50-Jährige nicht mehr zurück ins Arbeitsleb­en. Die ständigen Existenzän­gste schlagen sich auf die Psyche. Massive Panikattac­ken machen mehrere Psychiatri­eaufenthal­te notwendig – und lassen die vielen Versuche, wieder am Arbeitsmar­kt zu fassen, fehlschlag­en. „Man funktionie­rt irgendwie. Ich muss ja als Mama für meinen Sohn da sein.“

Hilfe in Anspruch zu nehmen war für Frau L. lange Zeit keine Option. Letztlich entscheide­t sich Frau L. dann doch zum Gang aufs Amt. „Es ist ein furchtbare­r Augenblick. Wenn du da reingehst und einen Antrag auf Mindestsic­herung stellst, fühlst du dich einfach nur elendig. Als Versagerin, als Bittstelle­rin.“

Verständni­slose Behörden

Mit den Behörden im Allgemeine­n und der Politik im Speziellen hadert die dreifache Mutter aber ohnehin. „Es entscheide­n da Menschen, die keine Ahnung von meiner Lebenssitu­ation haben. Die wissen nicht, wie es sich anfühlt, mit einem minderjähr­igen Kind im Winter in einer eiskalten Wohnung zu sitzen.“

Aktuell sorgt vor allem die Wartefrist auf eine Frau L. zustehende Aufzahlung auf die Mindestsic­herung für Ärger und Unverständ­nis: „Ich habe alle Anträge ausgefüllt. Aber es gibt eine dreimonati­ge Wartefrist auf den neuen Bescheid. Mein Einkommen hat sich für drei Monate um bis zu zwei Drittel verringert. Ich kann kaum die Miete zahlen.“Wut, Verzweiflu­ng – aber am Schluss des Gesprächs bleibt doch die Hoffnung: „Ich bin überzeugt, dass es wieder besser wird.“Und vielleicht erfüllt sich einer der großen Wünsche von Frau L.: „Nur fünf Minuten im Parlament reden. Und den Politikern erklären, was es heißt, am Existenzmi­nimum zu leben.“

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Die Hoffnung hat Frau L. (50) trotz aller Probleme nicht aufgegeben – und sie hat einige Wut im Bauch.

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