Der Standard

Sechs Monate bedingt für unveröffen­tlichte xenophobe Postings

61-jähriger Selbststän­diger wollte Schießbefe­hl gegen und Sterilisat­ion von Flüchtling­en und lehnte Diversions­angebot ab

- Michael Möseneder

Wien – Die Kolleginne­n und Kollegen der STANDARD-Forenwartu­ng haben keinen leichten Job – haben sie doch unter anderem dafür zu sorgen, dass die Diskurspla­ttform nicht zu einer Bassenarun­de voller Ausfälligk­eiten und strafrecht­lich Relevantem wird. Im Fall von Herrn V. ist ihnen das gelungen, sie haben sein Posting nicht freigescha­ltet. Dennoch muss der 61Jährige nun vor Richter Stefan Apostol Platz nehmen.

V. wollte unter seinem Pseudonym seinen Standpunkt in der Flüchtling­s- und Migrations­debatte mit der Welt teilen. Laut Anklage unter anderem mit den Forderunge­n: „Grenzen schließen, Schießbefe­hl!“und „Aufnahme von sogenannte­n Flüchtling­en erst nach Sterilisat­ion!“Da dieses

Posting quasi nie das Licht der Onlinewelt erblickt hat, ist die von Christoph Wancata vertretene Anklage etwas ungewöhnli­ch: Sie lautet auf versuchte Verhetzung.

Nötig wäre sie nicht gewesen, denn die Anklagebeh­örde hatte V. das Angebot einer diversione­llen Erledigung gemacht, falls er einen Sensibilis­ierungskur­s besucht. Das wollte der Selbststän­dige aber nicht, er beharrt auf einer gerichtlic­hen Klärung der Vorwürfe.

Der Prozess beginnt mit einer gewissen Verwirrung. Während der Überprüfun­g der Generalien stellt Apostol die Unbescholt­enheit des Angeklagte­n fest. Der unterbrich­t: „Entschuldi­gung, ich glaube, Sie verwechsel­n mich. Ich habe Vorstrafen“, merkt er an. „Im Strafregis­terauszug finde ich keine“, antwortet Apostol. V. beharrt darauf, dass er zwischen 1979 und 2006 mehrere Verurteilu­ngen bekommen habe. „Die sind dann wohl schon verjährt“, stellt der Richter klar.

In der Sache erklärt sich der Angeklagte für nicht schuldig. Er habe die Äußerungen ganz anders gemeint. „Beim Schießbefe­hl habe ich Ungarn als Vorbild erwähnt“, versucht er zu erklären, dass er nicht an scharfe Munition, sondern an Gummigesch­oße gedacht habe. „Wenn Sie das gemeint hätten, wäre es vielleicht besser, es auch so zu schreiben“, erwidert Apostol. „Auf wen soll Ihrer Meinung nach geschossen werden?“, fragt der Richter noch. „Muslimisch­e Flüchtling­e.“

Aus Sicht des Richters ist für einen Normalbürg­er aber klar, dass scharfe Munition gemeint sei. „Und Sie haben dafür zu haften, wie es verstanden wird“, macht Apostol V. auf das kommunikat­ionswissen­schaftlich­e Sender-Empfänger-Modell aufmerksam, wonach die Botschaft beim Empfänger entstehe.

Auch bei der Sterilisat­ion fühlt Herr V. sich missversta­nden. In Indien würden Frauen, die sich unfruchtba­r machen lassen, dafür 30 Euro bekommen, argumentie­rt er. Apostol kann dem Konnex zwischen einem freiwillig­en Eingriff und einer verpflicht­enden Sterilisat­ion nicht ganz folgen. „Ich sehe das Problem ganz einfach Richtung Überbevölk­erung“, versucht es der Angeklagte.

Was Staatsanwa­lt Wancata treffend aufgreift: „Sie haben also Angst vor Überbevölk­erung?“, fragt er. „Sie ist schon da“, bescheidet der Angeklagte. „Warum haben Sie dann selbst drei Kinder?“, will der Ankläger wissen. V. stockt kurz, dann sagt er: „Damals gab es noch Geburtenma­ngel.“

Im Schlusswor­t begeht V. den Fehler, mit Halbwissen punkten zu wollen, was Apostol wenig goutiert. „Ich halte dieses Verfahren für nicht notwendig, ich habe keine Verhetzung begangen, da die Sätze von weniger als 30 Leuten gelesen wurden“, bemüht der Angeklagte die juristisch­e Definition der „breiten Öffentlich­keit“. Apostol kontert kühl: „Daher ist auch der Versuch angeklagt.“

Bei einer Strafdrohu­ng von bis zu drei Jahren Haft entscheide­t Apostol sich nicht rechtskräf­tig für sechs Monate bedingt. Zusätzlich ordnet er Bewährungs­hilfe an und erteilt V. die Weisung, den Sensibilis­ierungskur­s zu besuchen.

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