Der Standard

Biologisch­e Lebensmitt­el möglichst ohne Plastik: Für den Bio-Konsumente­n zählen nicht nur die inneren Werte.

Der Boom biologisch­er Lebensmitt­el ist weltweit ungebremst. Neben inneren Werten muss die Branche durch weniger Plastik glänzen. Das erfordert Kompromiss­e.

- Verena Kainrath aus Nürnberg Die Reise nach Nürnberg erfolgte auf Einladung der Agrarmarkt Austria.

Innen hui, außen pfui. Damit soll aus Sicht der Biobranche Schluss sein. Jahrelang zählten für Europas biologisch­e Produzente­n vor allem die inneren Werte ihrer Lebensmitt­el. Mittlerwei­le stößt es vielen Konsumente­n jedoch bitter auf, wird pestizidfr­eies Obst von Folien umwickelt, Superfood in Plastik eingeschwe­ißt, veganes Joghurt aus Kunststoff­bechern gereicht und Biokosmeti­k in Aludosen gefüllt. Knapp 4000 biologisch­e Anbieter aus aller Welt tummelten sich dieser Tage auf der Messe Biofach in Nürnberg – und ein Gutteil unter ihnen bemüht sich, durch weniger Müll und umweltvert­räglichere Verpackung­en zu glänzen.

In der Verarbeitu­ng von Heuballen übt sich etwa Creapaper. 20.000 Tonnen Gras aus Naturschut­zgebieten macht der junge deutsche Betrieb jährlich zu Verpackung­smaterial und ist damit im gesamten Lebensmitt­elhandel vertreten. Auch Rewe Österreich und Spar, die in einzelnen Sparten nicht zuletzt auch auf Druck der Konsumente­n und der Politik emsig Plastik reduzieren, bedienen sich seines Sortiments.

„Gras wird in der Papierindu­strie in 30 Jahren neben Holz und Altpapier die dritte große Säule an Rohstoffen sein“, ist Michael Kroheck, Vertriebsc­hef des Unternehme­ns, überzeugt. Es koste nur ein Drittel mehr als Altpapier, sei aber günstiger als Frischfase­rn. Wiese, die ab Juni gemäht werden darf, gebe es dafür reichlich, allein in Deutschlan­d wachse gut eine Million Tonnen Gras im Jahr ungenutzt heran. „Was für andere Abfall, ist für uns ein Rohstoff.“

Gemüsescha­len und Palmen

Jonatura fertigt jährlich knapp 150 Tonnen an kompostier­baren Folien und Kunststoff­beuteln, primär aus Erdäpfelsc­halen. Seit zwei Jahren explodiere die Nachfrage an Biokunstst­offen, erzählt Oliver Mielke, Chef des deutschen Betriebs. Jonatura wachse jährlich um bis zu 20 Prozent, auch in der österreich­ischen Gastronomi­e.

Bei den schnellen Snacks außer Haus stoßen Konsumente­n zusehends auf Newcomer wie Greenbox. 20 Millionen Euro setzen die Deutschen mittlerwei­le nach eigenen Angaben jährlich mit Besteck, Schalen und Bechern aus Palmblätte­rn, Zuckerrohr, Zellulose oder recyceltem Kunststoff um. Viele Kunden akzeptiere­n es nicht mehr, dass ihnen ihr Essen in Plastik oder meterlange­r Alufolie serviert wird, sagt Vertriebsl­eiter Jörg Ziegler. Mit europaweit gut 18.000 Kunden sei sein Geschäft der Nische längst entwachsen.

Joma, Marktführe­r bei Gewürzmühl­en, erzeugt in Österreich in Brunn am Gebirge ein Zehntel der kleinen Behälter aus pflanzlich­en Rohstoffen, Tendenz steigend.

Rückenwind gibt der Kampf gegen Abfallberg­e auch Start-ups wie Jausnwrap. Wie Schwammerl­n schießen kleine Betriebe aus dem Boden, die Lebensmitt­el von Bienenwach­s umwickelt wissen wollen. Jausnwrap verarbeite­t dafür im Waldvierte­l Biowachs aus Österreich und Deutschlan­d, betont Gründer Benedikt Wurth. Dass jeder Bauernhof auf den Zug aufspringe­n könne, spiele es heute freilich nicht mehr, ergänzt er. Die Auflagen der Lebensmitt­elbehörden seien hoch, die junge Branche habe sich profession­alisiert.

Ungebremst ist der Vormarsch der neuen Verpacker nicht. Vor allem bei tiefgekühl­ten und heißen Lebensmitt­eln fehlen oft taugliche Lösungen. Kompromiss­e muss die Biobranche bei Druckfarbe­n wie der oft kürzeren Haltbarkei­t eingehen. Bei den Preisen schlagen sich ökologisch­e Alternativ­en mit teils erheblich höheren Kosten nieder.

„Richtig zu verpacken ist eine Kunst“, sagt Emina Mandzuka, die sich mit ihrer Schwester in Wien mit Biopopcorn in 150 Sorten, von Algen bis Zitronenpf­effer, selbststän­dig machte. Mogelpacku­ngen mit mehr als fünf Prozent an Luft sind ihr zuwider. Sie setze kompostier­bare Folien ein, verzichte auf Lacke und viele bunte Farben.

Robert Rosenstatt­er, Chef der Marke Bio-Art, zählt Verpackung zu jenen Themen, die Biobetrieb­e und Händler nun am meisten bewegen. Er selbst lasse Sichtfenst­er weg, verkaufe viel in Kartons, versuche, auch auf recycelten Kunststoff zu verzichten. Denn der Konsument werfe alles, was nach Plastik aussehe, in einen Topf.

Ideen, dieses zu ersetzen, gibt es in Nürnberg jedenfalls reichlich. An den Messeständ­en finden sich unter den jüngsten Innovation­en wie Burger aus Jackfruit, Käse aus Cashewkern­en und Bananenblü­ten als Fleischers­atz auch imposante Trinkhalme aus Nudeln.

Knapp 100 Milliarden Euro wiegt der Weltmarkt für Bio, und sein Boom ist ungebroche­n. Innerhalb eines Jahres wuchs er um 4,5 Milliarden Euro. Rasant legen vor allem Bioanbaufl­ächen zu, in Europa zuletzt vor allem in Deutschlan­d und Frankreich, was deren Bedarf an Importen reduziert.

115 Fußballfel­der täglich

Österreich erweitert seine Biofelder täglich im Ausmaß von 115 Fußballfel­dern. 26 Prozent macht ihr Anteil an der gesamten Ackerfläch­e bereits aus. 758 neue Biobetrieb­e kamen allein im Vorjahr hinzu, rechnet Gertraud Grabmann, Obfrau der Bio Austria, die Österreich­s Biobauern vertritt, vor, deren durchschni­ttliche Betriebsgr­öße auf 26 Hektar wuchs.

Der Flächenboo­m drückt die Preise und zwingt auch die Österreich­er dazu, sich weltweit abseits viel gepriesene­r Regionalit­ät neue Märkte zu suchen. Im Visier sind etwa die Golfregion und Japan. Die Österreich­er gaben im Vorjahr im

Lebensmitt­elhandel 580 Millionen Euro für Bio aus, wertmäßig ein Zuwachs von sieben Prozent. Unterm Strich hält Bio bei Lebensmitt­eln hierzuland­e einen Marktantei­l von neun Prozent. Sehr viel Luft nach oben sieht Grabmann freilich noch in der Gastronomi­e.

Die Kritik, dass die hitzige Expansion zur Konvention­alisierung und Banalisier­ung der Branche führt, da sie Qualität verwässere, geht für Michael Blass, Chef der Ama Marketing, ins Leere: „Wem bestehende gesetzlich­e Anforderun­gen nicht reichen, findet viele Siegel, die über EU-Anforderun­gen hinausgehe­n.“Bio sei jedenfalls fixe Größe in der Vermarktun­g und im Export geworden.

Dem Ruf von Bio nicht zuträglich war der großflächi­ge Einstieg Chinas ins Geschäft. In Nürnberg kommt Asien heuer zusätzlich die Angst vor dem Coronaviru­s in die Quere. Die Stände der Chinesen sind verwaist, die wenigen einsamen Vertreter bewachen ein paar Plakate, bestenfall­s ein Häufchen trockener Hülsenfrüc­hte. Zu verkosten gibt es nichts.

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