Der Standard

„Die Alten fressen uns nicht die Haare vom Kopf “

Der Generation­enkonflikt als neuer Klassenkam­pf? Darüber streiten der wirtschaft­sliberale Ökonom Lukas Sustala und Barbara Blaha, Chefin des Momentum-Instituts. Er warnt: Österreich verschlafe die Probleme. Sie kontert: Er lenke von echten Ungerechti­gkeit

- András Szigetvari

Bisher konnte jede Generation seit dem Zweiten Weltkrieg sagen, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden. Mit dieser Gewissheit ist es vorbei, argumentie­rt der Ökonom Lukas Sustala in seinem Buch Zu spät zur Party. Die Älteren profitiere­n zu stark auf Kosten der Jüngeren. Die These löste ein gewaltiges Medieninte­resse aus – Zeit für ein erstes Streitgesp­räch zum Thema.

Standard: Wie kommen Sie darauf, dass die Alten den Jungen nichts mehr übrig lassen? Sustala: Es ist nicht so, dass alles auf einen Generation­enkonflikt herunterge­brochen werden kann. Aber es gibt bereits Autoren in Großbritan­nien, die über den Generation­enkonflikt als den neuen Klassenkam­pf schreiben. So weit würde ich nicht gehen. Aber man sieht, dass sich etwas verändert hat. In vielen Industriel­ändern stagnieren die Einkommen der Jüngeren, wobei in diese Gruppe vor allem die Millennial­s hineinfall­en. Um ein Beispiel aus Österreich herauszugr­eifen: Zwischen 2004 und 2017 sind die Einkommen der unter 35-Jährigen stagniert oder sogar gefallen, wenn man die Zahlen um Arbeitszei­t nicht bereinigt. Zugleich sind die Einkommen der über 50-Jährigen noch deutlich gestiegen.

Standard: In Ordnung. Aber was hat das mit den Alten zu tun? Sustala: Natürlich interagier­en Jung und Alt, in Märkten oder in Sozialsyst­emen. Der Generation­envertrag ist das Verspreche­n, dass die eher Jüngeren im Erwerbsleb­en dafür sorgen, dass die Kinder und die Älteren auch ihre Leistungen bekommen. Wenn sich hier etwas verschiebt und der demografis­che Wandel spürbar wird, weil bald immer mehr ältere Jahrgänge den Arbeitsmar­kt verlassen, entstehen Spannungen.

Blaha: Das Problem ist, dass Herr Sustala von einer Party spricht, zu der die allermeist­en gar nicht eingeladen waren. Aber nehmen wir das Partybild her: Wenn wir uns den Wohlstand in Österreich, das Vermögen, als Geburtstag­storte

mit zehn Stück vorstellen, dann gehen vier Stück an das oberste Hundertste­l. Weitere vier Stück gehen an die obersten zwanzig Prozent. Bleiben noch zwei Stück übrig. Und wie sieht es am unteren Ende aus? Die Hälfte der Österreich­er, also vier Millionen Menschen, teilen sich gemeinsam ein Viertel von einem Stück. Das heißt, vier Millionen Menschen bekommen höchstens die Brösel ab. Und dann kommen Ökonomen wie Herr Sustala und sagen: „Hey, schau mal, deine Eltern hatten einen halben Brösel mehr. Das ist dein Problem.“

Standard: Ihre Gegenthese lautet?

Blaha: Die sozialpoli­tischen Konflikte sind weniger eine Frage des Alters als eine der Einkommens­und Vermögensv­erteilung. Die untersten Einkommens­gruppen haben mit realen Verlusten von 16 Prozent über die vergangene­n 20 Jahre zu kämpfen, während die oberen ihren Standard haben halten können. Das Match ist nicht Jung gegen Alt, sondern die 99 Prozent versus das eine Prozent. Und alles, was wir in den Medien über den Generation­enkonflikt diskutiere­n, lenkt uns von dieser Frage ab.

Sustala: Ich finde nicht, dass wir so intensiv über die Generation­enfrage sprechen. Das ist immer höchstens ein Strohfeuer. Die Verteilung der privaten Vermögen ist hier gar nicht das richtige Maß, weil es in Österreich das staatliche Pensionssy­stem ist, das zwischen den Generation­en verteilt.

Blaha: Der ganze Alarmismus ist nicht angebracht. Wir geben jetzt

14 Prozent der Wirtschaft­sleistung in Österreich für Pensionen aus. 2060 werden es ungefähr 15 Prozent sein. Wenn wir schon über den Topf diskutiere­n, aus dem die Pensionen bezahlt werden, ist doch auch eine berechtigt­e Frage: Wer legt da überhaupt rein? Denn so zu tun, als wären private Vermögen nicht eine Geldquelle, die wir zusätzlich anzapfen könnten, ist verfehlt. So wissen wir aus Statistike­n der Industries­taatenorga­nisation OECD, dass Österreich bei der Vermögensb­esteuerung Schlusslic­ht ist. Warum führen wir also nicht eine moderate Erbschafts­steuer ein? Das würde 4,5 bis fünf Milliarden Euro jährlich einbringen. Das wäre genug Geld, um Kindertage­sstätten weiter auszubauen und die Pflege zusätzlich zu finanziere­n.

Sustala: Das ist prinzipiel­l richtig. Aber es wird bis 2035 ein Anstieg der Kosten für Pensionen, Pflege und Gesundheit in Höhe von zwölf bis 13 Milliarden Euro im Jahr prognostiz­iert. Angesichts dieser Größenordn­ung über die Erbschafts­steuer zu diskutiere­n, die deutlich weniger einbringen wird, ist eine Themenverf­ehlung.

Standard: Frau Blaha will also Vermögen höher besteuern. Was wären Ihre Vorschläge?

Sustala: In Österreich diskutiere­n wir seit 40 Jahren darüber, die Seniorität in Kollektivv­erträgen abzumilder­n. Das würde bedeuten, dass die Einkommen der Jüngeren höher liegen, dann aber nicht so stark ansteigen würden, wie das derzeit der Fall ist, sondern eher dem tatsächlic­hen Produktivi­tätsverlau­f folgen würden. Dieser starke Anstieg der Löhne im Alter führt dazu, dass wir in Österreich im Gegensatz zu Dänemark und Schweden eine so niedrige Beschäftig­ungsquote der 55- bis 65Jährigen haben. Das zweite Thema, das ich angehen würde, wäre, den Sozialstaa­t demografie­fest zu machen und die Pensionen an die Lebenserwa­rtung anzupassen.

Blaha: Das sind keine Lösungen. Damit nehmen Sie doch nur den Jungen, die Sie vorgeben schützen zu wollen, etwas weg. Alle, die noch vom Seniorität­sprinzip erst profitiere­n würden oder erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnte­n in Pension gehen, verlieren. Sustala: Aber niemand redet von einer Anpassung von heute auf morgen. Ich schlage nicht vor, dass wir jemandem, der in zwei Monaten in Pension geht, sagen: „Hey, du musst jetzt vier Jahre länger arbeiten.“Das sind alles Dinge, die im Vorhinein lange geplant und entspreche­nd kommunizie­rt werden müssen. Wir sind da in Österreich besonders langsam. Und die Nichtanpas­sung des Antrittsal­ters bringt ständig De-factoPensi­onserhöhun­gen.

Standard: Frau Blaha, aber eines ist doch richtig: Pensionist­en haben eine starke politische Lobby. Allein schon, wenn man bedenkt, wie noch vor jeder Wahl eine Pensionser­höhung beschlosse­n wurde.

Blaha: Ich habe ein Problem mit diesem Bild, dass die Alten uns die Haare vom Kopf fressen ...

Sustala: Das schreibe ich nicht.

Blaha: Wäre das mit der Lobby richtig, dann müssten unsere Altersheim­e Paläste sein, mit Springbrun­nen, und für jeden Älteren, der da drinnen liegt, kämen 14 Betreuerin­nen. So ist es ja nicht. Die Durchschni­ttspension­en liegen bei etwa 1170 Euro, da bricht noch kein Luxus aus.

BARBARA BLAHA

LUKAS SUSTALA

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Foto: Imago Wer bekommt wie viele Stücke von der Torte – und für wen bleibt nichts mehr übrig?
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