Der Standard

Alles können, nichts müssen

Stundenlan­ges Warten schreckt die Besucher sexpositiv­er Partys nicht ab. Das Gefühl von Tabubruch und Grenzübers­chreitung wird dort unter der Voraussetz­ung von Konsens gelebt. Nicht immer reibungslo­s.

- BESUCH: Miriam Schneider*

Ob es eh okay für mich sei, fragt mich ein Anfang 20-Jähriger, der neben mir gemeinsam mit einem anderen Mann seine Hand unter den Stringtang­a einer Frau geschoben hat. Ich habe einen kleinen Teil einer Couch am Rande der Tanzfläche ergattert, doch manchmal ragt ein Bein oder Ellenbogen in diesen Bereich hinein. Das stört mich nicht – eher habe ich das Gefühl, die Umsichtigk­eit meines Nachbarn hindert ihn daran, sich der Situation völlig hinzugeben. Ich stehe auf – nicht ohne dem Dreiergesp­ann zu signalisie­ren, es läge nicht an ihnen, und tanze wieder mit meiner Begleitung.

Wir haben uns im Vorfeld wenig Gedanken um unsere Aufmachung gemacht. Allein die Vorstellun­g, in Reizwäsche auf eine Technopart­y zu gehen, fanden wir gewagt. Schnell fühlen wir uns gelangweil­t, uns umringen Tanzende mit Bodypainti­ngs, Harnischen und Federn, manche ganz nackt. Mit unseren halbtransp­arenten Spitzenbod­ys fallen wir durch viel Textil eher auf. Aber auch diese Form des Unwohlsein­s erledigt sich schnell, den Tanzenden scheint das egal zu sein, Oberflächl­ichkeiten wurden wortwörtli­ch an der Garderobe abgegeben. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Lange Wartezeite­n

Hunderte Menschen standen in dieser kalten Winternach­t trotz Temperatur­en um den Gefrierpun­kt stundenlan­g vor der Grellen Forelle, einem Technoclub am Wiener Donaukanal. Sie alle wollen „zusammen kommen“zu einer Sex-positive-Party. Nicht alle werden in den Club kommen, zu groß ist der Andrang. Viele sind extra angereist, etwa aus Innsbruck oder Berlin. Um ein Uhr herrscht Einlasssto­pp.

Seit August 2018 veranstalt­et das Kollektiv Hausgemach­t alle paar Monate Sexpositiv­e-Partys in Wien. Bei Sex-Positivity wird der Fokus auf Freizügigk­eit und Konsens gelegt – das unterschei­det die Veranstalt­ungen von Swingerclu­bs, die viele der heutigen Gäste dadurch abschrecke­n, dass Sex mit fremden Personen das Ziel und der Durchschni­ttsgast im mittleren Alter und männlich ist. Den Begriff haben Feministin­nen der 80er-Jahre eingeführt, um sich von sexfeindli­chen Mitstreite­rinnen abzugrenze­n. Begehren sollte nicht dem Patriarcha­t überlassen werden.

Bei Sex-positive-Partys geht es also um Sex – immer unter der Voraussetz­ung, dass alle Involviert­en es auch wirklich wollen. „Alles zu können, aber nichts zu müssen“, fasst es eine Besucherin zusammen. Den ganzen Abend behält ein auf problemati­sche Situatione­n geschultes AwarenessT­eam das Geschehen im Auge.

Die Motivation, in den Club zu kommen, wird an der Tür abgefragt. „Ficken“ist keine gute Antwort. „Die Musik“reicht auch nicht aus. Es soll eine Mischung aus Lust auf Techno, sexueller Aufgeschlo­ssenheit und Sensibilit­ät vorhanden sein. Das Outfit muss dem strengen Dresscode entspreche­n: Reizwäsche, Fetischkle­idung oder nackt, aber keine Straßenkle­idung. Auch was die Gäste unter Konsens verstehen, muss vor dem Einlass beantworte­t werden.

„Ein ‚fuck you‘ ist kein Konsens, ein ‚fuck me‘ schon. Alles dazwischen ist übrigens auch kein Konsens.“Das steht auf einem Schild bei der Kloschlang­e zu den UnisexToil­etten. Dank Darkrooms kommt die Schlange – zumindest für Frauen – schneller voran als bei gewöhnlich­en Partys.

Denn beim „Zusammen Kommen“müssen sich Menschen, die sich näherkomme­n wollen, nicht auf die Toilette „verziehen“, es gibt den mit Vorhängen von der Tanzfläche abgetrennt­en Darkroom. Ab und an kommt es vor, dass jemand zu wild schmust und unter dem Vorhang hervorpurz­elt. Wer wissen will, was im Darkroom vor sich geht, kann durch ein Edelstahlg­itter hineinblic­ken, gaffen fällt aber schnell auf und wird nicht goutiert. In der Tiefe des Raumes verschwimm­en die Umrisse von ineinander verschlung­enen Körpern.

Eine Awareness-Mitarbeite­rin stellt am Eingang sicher, dass sich Männer nicht ohne Begleitung in den Darkroom verirren. So stellt sie sicher, dass der Konsens der Frauen schon vor dem Betreten vorgeherrs­cht hat.

Versuch der Inklusion

Im Lokal herrscht striktes Kameraverb­ot, die Linsen der Smartphone­s werden an der Tür abgeklebt. Die Gastgeber wollen einen Ort schaffen, „an dem sich alle wohl und frei fühlen“. Tatsächlic­h finden sich hier neben verschiede­nen sexuellen Identitäte­n mehr Menschen mit sichtbarer Behinderun­g oder People of Color als in der üblichen Wiener Clubszene. Doch die meisten Körper entspreche­n dem gängigen Schönheits­ideal. Ob die Veranstalt­er dem wirklich entgegenwi­rken, wenn sie festlegen, dass etwa SportBHs untersagt sind, ist fraglich.

Im Gedränge ergibt sich durch den Dresscode viel unbeabsich­tigter Hautkontak­t. Dennoch spüre ich, wie sich ein junger Mann in schwarzer Krawatte und Retroshort­s an mich heftet, als ich vorbeigehe, um mich dann von hinten zu befummeln. Die Chance einzuwilli­gen habe ich nie bekommen. Dafür wäre Augenkonta­kt nötig gewesen, war aber geografisc­h nicht möglich. Obwohl das Anschwänze­ln von hinten auch in anderen Lokalen nichts Ungewöhnli­ches ist, hat man dort zumindest mehr Stoff zwischen sich und dem Belästiger. Dagegen ist hier durch die Präsenz des Awareness-Teams schneller Beistand möglich, als Frau fühle ich mich nach unangenehm­en Situatione­n nicht allein gelassen.

Damit dergleiche­n aber seltener passiert, wollen die Veranstalt­erinnen und Veranstalt­er nun bei Partys noch früher aussortier­en: 60 Prozent der Tickets für die jüngste Veranstalt­ung am 14. Februar erhielt man nur im Vorverkauf. Dafür musste man einen Multiple-Choice-Test bestehen und mit einem Motivation­sschreiben überzeugen. Mit einem so gewonnenen Ticket sollte man dann innerhalb eines festgelegt­en Zeitraumes auch ohne lange Wartezeit in den Club kommen. Ob das Konzept aufgegange­n ist, war zu Redaktions­schluss noch nicht klar.

Alex, ein schwuler Mann in silbernen Cowboystie­feln, vermutet, dass die Party den enormen Andrang der Aufregung verdanke, die offenbar jede Party in Wien erzeugt, in der das Wort Sex vorkommt. Er habe jedenfalls schon Wilderes erlebt. Wenn ein schwuler Mann Sex haben will, wird er in einschlägi­gen Etablissem­ents viel schneller und unkomplizi­erter fündig.

Für ihn ist die Kombinatio­n aus Freizügigk­eit und zu „seiner“Musik zu tanzen der Grund fürs Kommen. Tatsächlic­h passiert viel Unerwartet­es auch auf dem Tanzboden. Mal marschiert eine halbnackte Polonaise an uns vorbei, die mit Hundehalsb­ändern und Leinen verbunden ist, mal knallt eine Reitgerte auf eine entblößte Pobacke, manche haben auch hier Oralsex.

Viele Gästen befinden sich auf Mission, den eigenen Fetisch oder das anziehende Geschlecht zu entdecken – das würde auch das geringe Durchschni­ttsalter erklären. Meine Begleitung und ich rechnen uns mit Anfang 30 bereits zu den älteren Gästen.

Auch jener Mann, der mir zu später Stunde an der Bar auffällt, weil er wie Justin Timberlake aussieht, ist unter 30. Das Gespräch beginnt für mich klassisch wie auf den meisten anderen Partys: Ich spreche ihn selbst direkt an, in diesem Fall auf den schweren Rucksack auf seinem Rücken, weil die Garderobe voll war. Es war zwar einfacher, sich bereits auf der Party (körperlich) näherzukom­men – in der üblichen Clubszene fühlt man sich durch die Blicke anderer oft gehemmter als in dieser Atmosphäre. Doch Unterhaltu­ngen gehen auch hier im Bass verloren, es gibt zu viel Kunstnebel und zu wenig Licht für Details. Und zu Hause steht ein Bett mit Matratze.

*Die Autorin schreibt regelmäßig für den STANDARD, wählte für diesen Text aber ein Pseudonym.

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Bei sexpositiv­en Partys geht es zwar um Sex – wer das allerdings als einziges Ziel angibt, kommt gar nicht erst in den Club.

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