Der Standard

Die Justiz benötigt einen Kulturwand­el

Mehr Personal allein löst die fundamenta­len Probleme, vor denen unser Justizsyst­em steht, nicht. Es ist Zeit für eine grundsätzl­iche Debatte über Abläufe und Selbstvers­tändnis der Staatsanwa­ltschaft.

- Georg Krakow GEORG KRAKOW ist Partner bei Baker McKenzie, im Vorstand von Transparen­cy Internatio­nal Österreich, war Oberstaats­anwalt und begleitete als Kabinettsc­hef die Einführung der WKStA.

Es ist eine paradoxe Situation: Es ist wahrschein­lich, dass am Ende der Debatte über die emotional vorgetrage­ne Kritik des Bundeskanz­lers ausgerechn­et die Gescholten­en als Sieger vom Platz gehen. Sie werden ihre lange vorgetrage­ne Forderung nach mehr Budgetmitt­eln erfüllt bekommen. Das ist gut so – wenn es aber das einzige Ergebnis der Debatte bliebe, wäre das zu wenig.

Dass Beschuldig­te in einem Großverfah­ren manchmal 15 Jahre auf ein letztinsta­nzliches Urteil warten müssen, ist unerträgli­ch. Zum einen raubt eine derartige Verfahrens­dauer den Betroffene­n über ein Drittel ihres Berufslebe­ns (und bei entspreche­nder medialer Begleitmus­ik auch noch den Rest). Das ist nicht nur im Fall eines Freispruch­s indiskutab­el. Die Verfahrens­dauer ist aber auch aus der Perspektiv­e der Strafverfo­lgung ein fundamenta­les Problem. Denn es besteht die reale Gefahr, dass am Ende Schuldige frei gehen, weil eine Verfahrens­dauer von mehr als sechs bis acht Jahren das Recht auf ein faires Verfahren verletzt und sich zudem viele Zeugen kaum mehr an so alte Vorfälle erinnern können. Der frühere Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er hat das Problem erkannt – im Moment sieht es aber nicht so aus, als würde die gesetzlich­e Vorgabe, innerhalb von drei Jahren zu einer Anklage kommen zu müssen, an der Realität viel ändern. Zu leicht sind Verlängeru­ngen um weitere zwei Jahre zu erwirken.

Natürlich wird mehr Personal helfen, das Problem zu lindern. Die wesentlich stärkeren – und billigeren – Hebel liegen aber in einer Neugestalt­ung der Arbeitspro­zesse. Ein Staatsanwa­lt bekommt im Schnitt zwei bis drei neue Fälle pro Tag zugewiesen – um sich Luft zu verschaffe­n, startet er vielleicht zu viele Ermittlung­sschritte nacheinand­er statt parallel. Abhilfe würde ein Überblick über erledigte (und offene) Ermittlung­sschritte schaffen.

Prozessman­ager einstellen

Wesentlich zur Beschleuni­gung beitragen würde aber auch ein ressortübe­rgreifende­r Teamspirit: Ein Staatsanwa­lt, der „seine“Kriminalpo­lizisten ernst nimmt und aktiv in die Ermittlung­sstrategie einbindet, kommt wesentlich rascher zu brauchbare­n Ergebnisse­n. Umgekehrt wäre es manchmal aber auch effiziente­r, wenn Staatsanwä­lte mehr Vernehmung­en selbst vornehmen würden: Viele persönlich­e Wahrnehmun­gen, die in einem schriftlic­hen

Protokoll keinen Niederschl­ag finden würden, können den Staatsanwa­lt deutlich rascher auf die richtige Fährte bringen.

Ein derartiger Kulturwand­el brächte wohl deutlich mehr, als nur das Personalfü­llhorn zu öffnen. Gelingen kann er aber nur, wenn sich auch die Rolle der Vorgesetzt­en verändert. Der Gruppenode­r Behördenle­iter müsste sich gerade bei Großverfah­ren primär dafür zuständig fühlen, die Ermittlung­en voranzutre­iben und dem ermittelnd­en Staatsanwa­lt als taktischer Sparringsp­artner zur Verfügung zu stehen. Dafür müsste man aber zuerst die Justizverw­altung entrümpeln, um die Dienstaufs­icht von bürokratis­chen Aufgaben freizuspie­len.

Wenn man in zusätzlich­es Personal investiert, sollte man jedenfalls zuerst an profession­elle Prozessman­ager und Fachexpert­en für die einzelnen Wirtschaft­sbereiche, wie die Finanzbran­che, denken. Internatio­nale Kanzleien verstärken sich zunehmend mit Nichtjuris­ten und erzielen damit überzeugen­de Erfolge.

Um die leidigen Diskussion­en über politische Einflussna­hme auf die Staatsanwa­ltschaft zu beenden, bräuchte es einen noch mutigeren Schritt: Anstatt eine unabhängig­e Weisungssp­itze einzuricht­en (bei der eben wieder nur alles zusammenlä­uft), sollte der einzelne Staatsanwa­lt mehr Unabhängig­keit bekommen. Warum soll bei Staatsanwä­lten nicht funktionie­ren, was sich bei Richtern bewährt hat?

Oberstaats­anwaltscha­ft und Ministeriu­m sollen weiter volles Einsichtsr­echt haben, um ihre Aufgabe der Qualitätss­icherung wahrnehmen zu können. Aber wenn sie Einwände gegen die Vorgangswe­ise eines Staatsanwa­lts haben, sollten sie sich an das befasste Gericht wenden müssen. Das würde augenblick­lich für mehr Transparen­z sorgen, weil der Antrag Teil des Gerichtsak­ts wäre. Tatsächlic­hen Einflussna­hmen könnte so effizient begegnet, vermeintli­che könnten widerlegt werden.

Um diese Unabhängig­keit zu leben, müssten die Staatsanwä­lte aber endlich jenes Selbstbewu­sstsein entwickeln, das ihnen als Leitern des Ermittlung­sverfahren­s gut anstehen – und zustehen – würde. Ansonsten würden sie mit dem Vorwurf konfrontie­rt werden, sich trotz Unabhängig­keit aus vorauseile­ndem Gehorsam instrument­alisieren zu lassen.

Wenig zuversicht­lich bin ich, was die Verhinderu­ng von Veröffentl­ichungen aus Strafakten anbelangt. Zum einen passieren diese fast nur in Großverfah­ren mit mehreren Beschuldig­ten. Da die Angeklagte­n regelmäßig keine gemeinsame Strategie verfolgen, sondern einander den schwarzen Peter zuschieben wollen, spricht viel dafür, dass es selten die Staatsanwä­lte sind, die die Informatio­nen weitergebe­n. Die meisten Strafverfo­lger fühlen sich auch erkennbar unwohl auf dem Spielfeld der Litigation-PR.

Leaks sind nicht zu stopfen

Ein generelles Verbot der Veröffentl­ichung war ja bereits einmal angedacht, wurde dann aber nach einem Sturm der Entrüstung zu Recht darauf reduziert, dass keine „schutzwürd­igen Geheimhalt­ungsintere­ssen“Dritter verletzt werden dürfen. Auch praktisch ließe sich ein derartiges Verbot heutzutage nicht mehr realisiere­n: Selbst bei einer kompletten Digitalisi­erung aller Akten würden Screenshot­s oder Handyaufna­hmen den Weg zu Journalist­en finden. Und würde man nicht die Weitergabe, sondern die Veröffentl­ichung unter Strafe stellen, würde diese halt über Plattforme­n wie Wikileaks oder anonyme Social-Media-Kanäle erfolgen. Dieses Problem wird sich also – leider – nicht juristisch, sondern nur medienethi­sch bekämpfen lassen.

Von billigen Punkten hat niemand etwas. Das, was unser Justizsyst­em jetzt braucht, ist eine emotionsfr­eie Debatte, die sich die Zeit für einen echten Kulturwand­el nimmt. Und eine Politik, die eine unabhängig­e Justiz arbeiten lässt, auch wenn es einmal unangenehm scheint. Dann hätte unser Rechtsstaa­t dauerhaft gewonnen.

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Cartoon: Rudi Klein (www.kleinteile.at)
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Ministerin Alma Zadić: „Das Ruder für die Justiz war immer bei mir.“

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